BSG B 12 KR 1/22 R
Sozialversicherungspflicht eines nur an der Mutter-GmbH beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführers

26.03.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BSG
20.02.2024
B 12 KR 1/22 R
RFamU 2024, 424

Leitsatz | BSG B 12 KR 1/22 R

1. Über eine die abhängige Beschäftigung ausschließende Rechtsmacht verfügen nicht nur Geschäftsführer mit einer Kapitalbeteiligung von zumindest 50 % oder – bei geringerer Kapitalbeteiligung – einer umfassenden Sperrminorität in der von ihnen geführten GmbH. 

2. Die Rechtsmacht kann auch daraus resultieren, dass der (Fremd-)Geschäftsführer kraft seiner Stellung als Gesellschafter einer anderen (Mutter-)Gesellschaft in der Lage ist, Einfluss auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen der von ihm geführten (Tochter-)Gesellschaft zu nehmen. 

3. Eine entsprechende Rechtsmacht ist zu bejahen, wenn dem Geschäftsführer über seine Beteiligung an der Muttergesellschaft eine umfassende („echte“ oder „qualifizierte“) Sperrminorität in Bezug auf das Stimmverhalten in der von ihm geführten Tochter-GmbH eingeräumt ist.

4. Eine solche von der Beteiligung an einer anderen Gesellschaft abgeleitete Rechtsmacht ist sozialversicherungsrechtlich nur beachtlich, wenn sie durch Gesellschaftsvertrag eindeutig geregelt ist und unmittelbar auf das zu beurteilende Rechtsgeschäft durchschlägt.

Sachverhalt | BSG B 12 KR 1/22 R

Die Klägerin, eine GmbH, wendet sich gegen die Nachforderung der Beklagten wegen Sozialversicherungsbeiträgen (zur Renten- und Arbeitslosenversicherung).

Gesellschafter der Klägerin sind eine Holding-GmbH mit 50 % der Anteile und eine natürliche Person mit den restlichen 50 %. Die Beschlüsse in der Gesellschafterversammlung werden grundsätzlich mit einfacher Mehrheit gefasst. Geschäftsführer der Klägerin ist der Beigeladene, der auf Grundlage eines Geschäftsführervertrags tätig ist und in den Jahren 2010 und 2011 ein Entgelt erhielt. An der Holding-GmbH sind jeweils zur Hälfte der Beigeladene und dessen Ehefrau beteiligt, die beide deren alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer sind. Auch Gesellschafterbeschlüsse der Holding-GmbH werden grundsätzlich mit einfacher Mehrheit gefasst.

Nach einer Betriebsprüfung stellte die Beklagte fest, dass der Beigeladene sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei, da er nicht über ausreichende gesellschaftsrechtliche Rechtsmacht verfüge, um seine Tätigkeit bei der Klägerin frei zu gestalten. Widerspruch, Klage und Berufung der klagenden GmbH blieben ohne Erfolg.
 
Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, der Beigeladene sei nicht weisungsgebunden gewesen, da er als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Holding-GmbH jedwede Mehrheitsentscheidung der Klägerin habe verhindern können. Zudem sei eine mündliche Stimmrechtsvereinbarung zwischen dem Beigeladenen und seiner Ehefrau geschlossen worden, die bei Beschlussfassungen der Holding-GmbH zu berücksichtigen sei.

Entscheidung | BSG B 12 KR 1/22 R

Die Revision ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Zunächst führt das BSG allgemein aus, dass die Sozialversicherungspflicht abhängig vom Vorliegen einer Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV sei. Nach der st.Rspr. des BSG setze eine Beschäftigung die persönliche Abhängigkeit des Arbeitsnehmers vom Arbeitgeber voraus. Ist ein GmbH-Geschäftsführer zugleich Gesellschafter, sei die Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit maßgeblich vom Umfang seiner Kapitalbeteiligung und dem daraus resultierenden Einfluss auf die Gesellschaft abhängig. Die Rechtsmacht eines Gesellschafter-Geschäftsführers, die Entscheidungen der Gesellschafterversammlung maßgeblich beeinflussen zu können, schließe das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung aus. Eine solche Rechtsmacht sei in der Regel bei einer Kapitalbeteiligung von mindestens 50 % anzunehmen. Minderheitsgesellschafter seien hingegen grundsätzlich abhängig beschäftigt, es sei denn, ihnen werde vertraglich eine umfassende („echte“ bzw. „qualifizierte“) Sperrminorität eingeräumt, die alle unternehmerischen Entscheidungen erfasse. Eine „unechte“ Sperrminorität, die nur einzelne Bereiche betreffe, reiche für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit nicht aus. Fremdgeschäftsführer, die nicht am Kapital beteiligt seien, würden nach der st.Rspr. grundsätzlich als abhängig beschäftigt gelten, da ihnen die erforderliche Rechtsmacht fehle.
 
Nach Auffassung des BSG könne eine solche Rechtsmacht aber auch daraus resultieren, dass der (Fremd-) Geschäftsführer aufgrund seiner Stellung als Gesellschafter einer anderen Gesellschaft Einfluss auf die Gesellschafterbeschlüsse der von ihm geführten GmbH nehmen könne. Für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung sei eine solche von der Beteiligung an einer anderen Gesellschaft abgeleiteten Rechtsmacht jedoch nur relevant, wenn sie durch Gesellschaftsvertrag eindeutig geregelt ist und unmittelbar auf das beurteilte Rechtsverhältnis durchschlägt. Eine entsprechende Rechtsmacht habe der Senat bereits bejaht, wenn der Geschäftsführer über seine Beteiligung an einer Muttergesellschaft eine umfassende Sperrminorität hinsichtlich der Beschlüsse der von ihm geführten Tochter-GmbH verfüge.

In Anwendung der vorstehenden Grundsätze entschied das BSG, dass der Beigeladene im streitgegenständlichen Zeitraum mangels Beteiligung am Stammkapital der Klägerin als abhängig beschäftigter Geschäftsführer der Klägerin der Sozialversicherungspflicht (bzgl. der Renten- und Arbeitslosenversicherung) unterlegen habe. Seine Stellung als Gesellschafter-Geschäftsführer der Holding-GmbH verschaffe ihm keine ausreichende Rechtsmacht, um eine abhängige Beschäftigung auszuschließen. Denn er (allein) sei bereits nicht fähig gewesen, Initiativen des weiteren Gesellschafters der Klägerin zu verhindern, da seine Ehefrau gleichberechtigte Gesellschafterin-Geschäftsführerin der Holding-GmbH gewesen sei. Beide würden über einen identischen Geschäftsanteil verfügen und wären daher außerstande gewesen, sich gegenseitig Weisungen bezüglich des Abstimmungsverhaltens in der Gesellschafterversammlung der Klägerin zu erteilen. Als jeweils alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer der Holding-GmbH seien beide in die Lage versetzt gewesen, die Holding-GmbH in der Gesellschafterversammlung der Klägerin gemeinschaftlich zu vertreten. Selbst wenn – entgegen der h.M. – in einer solchen Konstellation eine uneinheitliche Stimmabgabe zulässig wäre, hätte dem Beigeladenen keine ausreichende Rechtsmacht zugestanden, da er nur 25 % der Stimmen repräsentiert hätte und somit von seiner Ehefrau und dem weiteren Gesellschafter überstimmt werden könnte.

Abschließend stellt das BSG fest, dass die Möglichkeit einer uneinheitlichen Stimmabgabe gesellschaftsrechtlich nicht durch die mündliche Vereinbarung ausgeschlossen worden sei. Stimmbindungsabreden zwischen Gesellschaftern außerhalb des Gesellschaftsvertrags würden nicht die erforderliche Rechtsmacht vermitteln, da nur im Gesellschaftsvertrag eingeräumte Rechte sozialversicherungsrechtlich relevant seien.

Praxishinweis | BSG B 12 KR 1/22 R

Das BSG hat mit der vorliegenden Entscheidung die Kriterien für die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung von (Fremd-)Geschäftsführern präzisiert und seine bisherige Rechtsprechung bestätigt. Ein Geschäftsführer kann als selbstständig eingestuft werden, wenn er durch eine nur mittelbare Beteiligung an der Muttergesellschaft die Rechtsmacht besitzt, maßgeblichen Einfluss auf Gesellschafterbeschlüsse der von ihm geführten Tochtergesellschaft zu nehmen. Dabei kann für die Annahme einer mittelbaren Rechtsmacht entscheidend sein, ob es neben dem Fremdgeschäftsführer weitere Geschäftsführer der Muttergesellschaft gibt oder der Fremdgeschäftsführer dort nicht bestellt ist. In solchen Fällen ist eine ausreichende Rechtsmacht nur gegeben, wenn der Fremdgeschäftsführer – gesellschaftsvertraglich abgesichert – Weisungen an die (Mit-)Geschäftsführer erteilen kann, wozu in der Regel eine Mehrheitsbeteiligung erforderlich ist.

In diesem Zusammenhang unterstreicht die Entscheidung, dass diese Rechtsmacht nicht auf faktischen Machtverhältnissen oder mündlichen Vereinbarungen basieren kann, sondern zwingend eine gesellschaftsvertragliche Grundlage benötigt. Arbeitgeber sollten daher sicherstellen, dass alle Vereinbarungen zur Rechtsmacht von Geschäftsführern eindeutig im Gesellschaftsvertrag festgelegt sind. Zudem empfiehlt es sich, die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung bereits vor Aufnahme einer Tätigkeit bzw. bei dessen Änderung zu klären – etwa durch ein Statusfeststellungsverfahren bei der DRV. Andernfalls können unerwartete Beitragsnachforderungen in erheblicher Höhe und Säumniszuschläge drohen.