BGH VIII ZR 276/23
„Cousin“-Bedarf an sperrfristgeschützter Wohnung – GbR-Eigenbedarf

28.03.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
10.07.2024
VIII ZR 276/23
NJW 2024, 2909

Leitsatz | BGH VIII ZR 276/23

  1. Als Familienangehörige im Sinne des § 577a Ia 2 BGB (Ausnahme von der Kündigungsbeschränkung bei einem Wohnungserwerb) sind – ebenso wie im Falle der Eigenbedarfskündigung gem. § 573 II Nr. 2 BGB – ausschließlich diejenigen Personen anzusehen, denen ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gem. § 383 ZPO, § 52 StPO zusteht. Ein entfernterer Verwandter, der – wie ein Cousin – hiernach nicht zur Zeugnisverweigerung berechtigt ist, gehört deshalb selbst im Falle einer engen persönlichen Verbundenheit nicht zu dem von den vorbezeichneten Bestimmungen privilegierten Personenkreis (Fortführung von Senat NJW 2021, 620 Rn. 19 f.; BGHZ 184, 138 = NJW 2010, 1290 Rn. 22).
  2. Offen bleibt, ob die zum 1.1.2024 in Kraft getretenen Neuregelungen des Rechts der Gesellschaft bürgerlichen Rechts durch das Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz (MoPeG) Auswirkungen auf das – bisher in ständiger Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH bejahte – Recht einer (Außen-)GbR hat, ein Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs eines Gesellschafters – hier: im August 2021 ausgesprochen – zu kündigen. (Leitsatz 2 von der Redaktion).

Sachverhalt | BGH VIII ZR 276/23

Die Beklagten sind seit 2009 Mieter einer Wohnung in Berlin. Mit notariellem Kaufvertrag vom 08.08.2013 erwarb die nun klagende GbR das betreffende Gebäude, woraufhin die Auflassung im Grundbuch am 05.03.2014 eingetragen wurde. Im Zeitpunkt des Eigentumserwerbs hatte die Klägerin zwei Gesellschafter. Diese waren Cousins. Nach dem Tod eines der Gesellschafter wurden dessen drei Kinder im Weg der Gesamtrechtsnachfolge Gesellschafter der Klägerin. Die Eintragung im Grundbuch erfolgte am 07.11.2016.

Mit Schreiben vom 16.08.2021 kündigte die Klägerin das mit den Beklagten bestehende Mietverhältnis ordentlich wegen Eigenbedarfs. Einer der 2016 eingetretenen Gesellschafter benötige die Wohnung für sich und seine Ehefrau.

Das Amtsgericht Berlin-Mitte wies die auf geräumte Herausgabe der Wohnung gerichtete Klage ab, während das Landgericht Berlin der Klage statt gab. Hiergegen wendeten sich die Beklagten mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

Entscheidung | BGH VIII ZR 276/23

Die Revision der Beklagten war erfolgreich. Der BGH stellte klar, dass die Begriffe „Familie“ in § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB sowie „Familienangehörige“ in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB inhaltlich gleichzusetzen seien. Als Personen im Sinne dieser Vorschriften gelten aus Sicht des Gerichts ausschließlich solche Personen, die ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen nach § 383 ZPO bzw. § 52 StPO besitzen.

Demnach gehörten entferntere Verwandte – wie etwa Cousins –, die nicht zu diesem privilegierten Personenkreis zählten, auch dann nicht zu den i.R.d. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB begünstigten Angehörigen, wenn sie dem Vermieter persönlich eng verbunden sind. Gleiches gelte für enge persönliche Bindungen zwischen Mitgesellschaftern, sofern deren verwandtschaftliche Beziehung zu weit entfernt sei, um ein Zeugnisverweigerungsrecht nach den genannten Vorschriften zu begründen.

Aus Sicht des Gerichts beabsichtigt der Gesetzgeber mit der Regelung in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB dem Umstand Rechnung zu tragen, dass enge Verwandtschaftsverhältnisse in der Regel mit einer besonderen persönlichen Nähe und gegenseitiger Solidarität einhergehen – ein Umstand, der es rechtfertige, Vermietern die Kündigung zugunsten von Familienangehörigen zu erleichtern. Auch § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB beruhe auf dieser Annahme: Die enge persönliche Verbundenheit begründe ein legitimes Interesse daran, Eigenbedarf möglichst zeitnah geltend zu machen.

Beiden Vorschriften liegt aus Sicht des Gerichts mithin eine typisierende Betrachtungsweise zugrunde: Die familiäre Beziehung selbst wird als ausreichend angesehen, um eine persönliche Nähebeziehung zu unterstellen. Ein konkreter Nachweis einer tatsächlichen emotionalen Bindung sei daher nicht erforderlich. Umgekehrt bedeute diese dem Gesetz zugrunde liegende typisierende Betrachtungsweise aber auch, dass keine Ausweitung des privilegierten Personenkreises auf andere, etwa besonders nahestehende Personen, erfolgen könne.

Maßgeblich sei somit, welche Verwandtschaftsverhältnisse der Gesetzgeber durch die Verwendung des Begriffs der Familie als Ausdruck einer typischerweise bestehenden besonderen sozialen Bindung ansehe. Zwar enthalte weder § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB noch § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB eine diesbezügliche Konkretisierung. Eine solche Bewertung finde sich jedoch im Bereich des Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen nach § 383 ZPO und § 52 StPO. Dort habe der Gesetzgeber objektive Kriterien nach dem Grad der familiären Beziehung aufgestellt und hierdurch den Personenkreis definiert, innerhalb dessen nach seiner Auffassung typischerweise eine persönliche Nähebeziehung bestehe. Es sei sachgerecht, diese gesetzgeberischen Wertungen auch für die ebenfalls in der persönlichen Verbundenheit begründeten Privilegierungen von Familienangehörigen nach § 573 II Nr. 2 BGB und § 577a Ia 2 BGB heranzuziehen.

Vor diesem Hintergrund sei eine Anwendung des § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB im vorliegenden Fall ausgeschlossen. Die beiden Gesellschafter der Klägerin, die zum Zeitpunkt des Eigentumserwerbs am Grundstück an der Klägerin beteiligt waren, seien Cousins – und somit lediglich in der Seitenlinie zum vierten Grad verwandt. Ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 ZPO oder § 52 StPO bestehe für sie nicht. Sie fielen daher nicht unter den Begriff der „Familie“ im Sinne der betreffenden mietrechtlichen Regelung.

Der Senat hat das Urteil des Berufungsgerichts aus diesem Grund aufgehoben und – da keine weiteren Tatsachenfeststellungen erforderlich waren – das Urteil des Amtsgerichts wiederhergestellt und die Berufung zurückgewiesen.

Praxishinweis | BGH VIII ZR 276/23

Die Entscheidung des BGH überzeugt durch ihre klare Praxisnähe und ist im Ergebnis uneingeschränkt zu begrüßen. Der BGH stellt unmissverständlich klar, dass unter dem Begriff „Familie“ bzw. „Familienangehörige“ im Sinne der betreffenden mietrechtlichen Vorschriften nur solche Personen zu verstehen sind, die nach § 383 ZPO oder § 52 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen zusteht. Damit grenzt der BGH den geschützten Personenkreis eindeutig auf enge Verwandte wie Ehepartner, Eltern oder Kinder ein.

Diese Auslegung war angesichts der früheren Rechtsprechung (BGH NZM 2009, 353 – Eigenbedarfskündigung zugunsten des Schwagers und BGH NJW 2010, 1290 mAnm Bub FD-MietR 2010, 299279 – Eigenbedarfskündigung zugunsten des Neffen) absehbar, in der bereits betont wurde, dass nicht jede verwandtschaftliche oder persönliche Nähe ausreiche, um den besonderen mietrechtlichen Kündigungsschutz zu durchbrechen. Verwandte wie Cousins, die lediglich in der Seitenlinie vierten Grades stehen, gehören nicht zu den gesetzlich privilegierten Angehörigen – auch dann nicht, wenn eine enge persönliche Beziehung besteht.

Offen bleibt jedoch, ob die bisherige Rechtsprechung (BGH NJW 2007, 2845 mAnm Bub FD-MietR 2007, 240330; BGH NJW 2009, 2738; BGH NJW 2017, 547 mAnm Bub FD-MietR 2016, 384746) zur Eigenbedarfskündigung durch eine GbR zugunsten eines Gesellschafters unter den neuen gesellschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen weiterhin Bestand haben kann. Mit dem Inkrafttreten des MoPeG ergeben sich neue Bewertungsmaßstäbe, deren Auswirkungen auf das Mietrecht noch nicht abschließend geklärt sind. Hier dürfte in Zukunft mit einer vertieften rechtlichen Auseinandersetzung zu rechnen sein.