OLG Hamm 10 W 107/22
Auslegung der Anordnung einer „Nachlassverwaltung“ und Ernennung eines Testamentsvollstreckers durch das Nachlassgericht

31.03.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Hamm
13.02.2024
10 W 107/22
BeckRS 2024, 11818

Leitsatz | OLG Hamm 10 W 107/22

1. Die Benennung eines „Nachlassverwalters“ kann als Anordnung der Testamentsvollstreckung und der Ernennung eines Testamentsvollstreckers ausgelegt werden.

2. Beim Wegfall des ernannten Testamentsvollstreckers darf das Nachlassgericht einen Ersatztestamentsvollstrecker ohne ausdrückliche testamentarische Anordnung nur ernennen, wenn das Testament in seiner Gesamtheit den Willen des Erblassers erkennen lässt, die Testamentsvollstreckung auch nach dem Wegfall der vom Erblasser benannten Person fortdauern zu lassen.

3. Für die Annahme eines dahingehenden Erblasserwillens ist entscheidend, ob der Erblasser bei Berücksichtigung der später eingetretenen Sachlage mutmaßlich die Ernennung eines Testamentsvollstreckers durch das Nachlassgericht gewollt hätte, was jedenfalls unvollkommen oder versteckt, im Testament zum Ausdruck komme muss.

Sachverhalt | OLG Hamm 10 W 107/22

Die Erblasserin setzte in ihrem handschriftlichen Testament vom 05.01.2017 den Beteiligten zu 1) als „Nachlassverwalter“ ein. Am 16.12.2020 beantragte der Beteiligte zu 1) die Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses. Dagegen erhob der Beteiligte zu 5) Einwendungen und argumentierte, das Testament enthalte keine Anordnung einer Testamentsvollstreckung und äußerte Zweifel an der Neutralität des Beteiligten zu 1). Dieser entgegnete, dass die Erblasserin zum Ausdruck gebracht habe, dass er sich um die Abwicklung der letztwilligen Verfügungen kümmern solle. Im weiteren Verlauf lehnte der Beteiligte zu 1) das Amt des Testamentsvollstreckers ab und erklärte sein Einverständnis mit der Ernennung einer neutralen Person. Schließlich einigten sich die Beteiligten zu 1) und 5) auf die Einsetzung eines neutralen Testamentsvollstreckers durch das Nachlassgericht.

Am 10.02.2022 ernannte das Nachlassgericht – mit Zustimmung des Beteiligten zu 1) – den Beteiligten zu 4) zum Testamentsvollstrecker, wogegen der Beteiligte zu 5) Beschwerde einlegte. Die Erblasserin habe weder den Testamentsvollstrecker zur Bestimmung eines Nachfolgers ermächtigt noch das Nachlassgericht ausdrücklich oder stillschweigend um eine Ernennung ersucht, da hierfür im Testament jegliche Anhaltspunkte fehlen würden. Zudem bestehe – nach dem zwischenzeitlichen Versterben des Beteiligten zu 1) – unter den Miterben Einigkeit über die Auseinandersetzung des Nachlasses, sodass die Anordnung einer Testamentsvollstreckung unzweckmäßig sei.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem OLG Hamm vorgelegt.

Entscheidung | OLG Hamm 10 W 107/22

Die Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

Zunächst führt das OLG Hamm aus, dass die testamentarische Benennung eines „Nachlassverwalters“ als Anordnung der Testamentsvollstreckung und der Ernennung eines Testamentsvollstreckers ausgelegt werden könne. Allerdings könne das Nachlassgericht eine andere Person, als diejenige die der Erblasser selbst ernannt hat (§ 2197 Abs 1 BGB), zum Testamentsvollstrecker nur ernennen, wenn der Erblasser testamentarisch darum ersucht hat (§ 2200 Abs. 1 BGB). Ein solches Ersuchen könne ausdrücklich vorliegen oder im Wege der ergänzenden Auslegung des Testaments (§§ 133, 2084) ermittelt werden, wenn ein hierauf gerichteter Wille des Erblassers festzustellen sei (konkludentes Ersuchen). Grundsätzlich sei es jedoch Sache des Erblassers, die Ernennung eines Testamentsvollstreckers zu regeln und im Falle der Nichtannahme des Amtes oder der vorzeitigen Amtsbeendigung Vorsorge zu treffen.
Hat der Erblasser eine Testamentsvollstreckung angeordnet und fällt der benannte Testamentsvollstrecker weg, sei ein konkludentes Ersuchen um Ernennung eines Nachfolgers nicht ohne Weiteres anzunehmen. Vielmehr müsse das Testament in seiner Gesamtheit erkennen lassen, dass der Erblasser die Fortführung der Testamentsvollstreckung in einem solchen Fall gewollt hat.

Ein Ersuchen der Erblasserin an das Nachlassgericht zur Ernennung eines anderen Testamentsvollstreckers sei vorliegend nicht erkennbar. Es sei bereits zweifelhaft, ob sie überhaupt gewollt hätte, dass eine familienfremde Person das Amt übernimmt, falls der Beteiligte zu 1) nicht infrage käme. Zudem spreche der überschaubare Nachlass, den die Erblasserin bereits konkret zugeordnet habe, dafür, dass sie im Falle des Verzichts oder Tods des Beteiligten zu 1) nicht an der Testamentsvollstreckung festgehalten hätte. Die von der Erblasserin befürchteten Streitigkeiten zwischen den Erben, die möglicherweise ausschlaggebend für die Testamentsvollstreckung gewesen sind, seien durch den Tod des Beteiligten zu 1) ohnehin ausgeschlossen.

Praxishinweis | OLG Hamm 10 W 107/22

Um im Erbfall Schwierigkeiten bei der Testamentsabwicklung zu vermeiden, empfiehlt es sich die gewünschte Testamentsvollstreckung klar und unmissverständlich im Testament festzuhalten. Andernfalls können die sachlichen Gründe für die Anordnung unberücksichtigt bleiben, was potenziell zu Streitigkeiten unter den Erben führt. Ebenso sollten Testierende eindeutig regeln, was geschehen soll, wenn der benannte Testamentsvollstrecker das Amt nicht antritt oder nachträglich wegfällt. Möchte der Erblasser, dass das Nachlassgericht einen Ersatz bestimmt, sollte auch dies ausdrücklich formuliert werden.

Zugleich zeigt die Entscheidung des OLG Hamm, dass ein – im Rahmen einer Gesamtschau des Testaments zu ermittelndes – konkludentes Ersuchen um Ernennung eines Testamentsvollstreckers ausreichend sein kann, falls die testamentarisch benannte Person als Testamentsvollstrecker wegfällt. Der Senat gibt konkrete Anhaltspunkte vor, was für die Ermittlung eines dahingehenden Erblasserwillens prozessual vorzutragen ist, und stellt hieran hohe Anforderungen. Entscheidend für die Annahme eines konkludenten Ersuchen ist, ob der Erblasser unter Berücksichtigung der späteren Umstände mutmaßlich die Ernennung eines Testamentsvollstreckers durch das Nachlassgericht gewollt hätte. Dabei sind insbesondere die Gründe für die Anordnung der Testamentsvollstreckung relevant und ob diese auch nach dem Wegfall der benannten Person fortbestehen. Der Wille des Erblassers, das Nachlassgericht zu beauftragen, muss jedoch stets – sei es auch nur unvollkommen oder versteckt – im Testament zum Ausdruck kommen.