OLG Stuttgart 20 U 30/24
Keine Gesellschafterzustimmung für Einleitung des StaRUG-Verfahrens bei drohender Insolvenz einer GmbH

26.09.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Stuttgart
21.08.2024
20 U 30/24
BeckRS 2024, 22200

Leitsatz | OLG Stuttgart 20 U 30/24

Ein Gesellschafterbeschluss ist für die Einleitung eines Verfahrens nach dem StaRUG jedenfalls nicht erforderlich, wenn das Restrukturierungsverfahren die einzige hinreichend erfolgversprechende Alternative zu einem Insolvenzverfahren ist. (redaktioneller Leitsatz)

Sachverhalt | OLG Stuttgart 20 U 30/24

Die Klägerin, eine Gesellschafterin der Beklagten, wendet sich im Wege einer einstweiligen Verfügung gegen die Vollziehung eines Gesellschafterbeschlusses der Beklagten. Die Beklagte eine Holding-Gesellschaft, entwickelte aufgrund sinkender Umsätze und wirtschaftlichen Schwierigkeiten Anfang 2021 ein Restrukturierungskonzept im Wege eines StaRUG-Verfahrens und leitete einen Restrukturierungs- und Sanierungsprozess ein, um eine Insolvenz zu vermeiden. Im Rahmen dessen wurde ein Großteil der Anteile an zwei verschiedene Treuhänder übertragen, um die Beteiligung an der Beklagten zu verwalten und die Sanierung zu fördern. Im Rahmen einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung wurde im Juni 2024 über die Umsetzung des Restrukturierungskonzepts abgestimmt und eine Restrukturierungsanzeige nach § 31 StaRUG eingereicht. Die Klägerin war dabei aufgrund zwei vorher gegen sie ausgesprochenen Vertragsverletzungsmitteilungen von ihrem Stimmrecht ausgeschlossen. Sie argumentierte, dass sie nicht ausreichend Informationen über das Sta-RUGVerfahren erhalten habe und dadurch in ihren Rechten verletzt worden sei.

Entscheidung | OLG Stuttgart 20 U 30/24

Der Beschluss der Gesellschafterversammlung ist weder nichtig noch anfechtbar.

Die Beschlüsse sind mit 100% der stimmberechtigten Stimmen zustande gekommen und kein stimmberechtigter Gesellschafter wurde an der Abstimmung gehindert, da die Klägerin zu Recht aufgrund der im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Vertragsverletzungsmitteilung von ihrem Stimmrecht ausgeschlossen war. Infolgedessen war auch der Treuhänder an der Ausübung des Stimmrechts gehindert. Nach der gesetzlichen Regelung des § 47 Abs. 4 GmbHG sind von einem Stimmverbot alle Mit- oder Nichtgesellschafter erfasst, die das Stimmrecht fremdnützig ausüben, was insbesondere für Treuhänder gilt. Diese Grundsätze sind auch auf den Ausschluss vom Stimmrecht nach Erhalt einer Vertragsverletzungsmitteilung anwendbar. Zwar war der Treuhänder grundsätzlich an die Weisungen der Klägerin gebunden, jedoch ist der Gesellschaftsvertrag so auszulegen, dass der Treuhänder auch vom für den Treugeber geltenden Stimmrechtsverbot umfasst ist. Der Zweck der Regelung, Fehlverhalten der Gesellschafter zu sanktionieren, würde ins Leere laufen, wenn ein von der Abstimmung ausgeschlossener Gesellschafter im Wege der Erteilung von Weisungen an den jeweiligen Treuhänder das gewünschte Abstimmungsergebnis dennoch erreichen könnte.

Darüber hinaus liegt auch kein Verstoß gegen Informationspflichten vor. Bei wichtigen Grundlagenentscheidungen besteht die Pflicht, in Verbindung mit der Einberufung der Gesellschafterversammlung alle für die Entscheidung maßgeblichen Informationen zu erteilen und den Gesellschaftern genaue Kenntnis von den zu behandelnden Themen zu vermitteln. Informationen über komplexe oder bedeutende Sachverhalte müssen daher spätestens mit der Einladung erteilt werden. Wird das Informationsbegehren (erst) während der Gesellschafterversammlung gestellt, besteht grundsätzlich eine Erklärungspflicht noch während der Versammlung, soweit es sich nicht um umfangreiche und schwierige Auskünfte handelt, mit denen die Geschäftsführer nicht zu rechnen brauchten. Die in der Einladung enthaltenen Informationen und beigefügten Anlagen mit dem Entwurf des Restrukturierungskonzepts waren ausreichend, um der Klägerin die Vorbereitung auf die Beschlussfassung zu ermöglichen.

Davon abgesehen, ist nach der Auffassung des Senats im Innenverhältnis eine vorherige Zustimmung der Gesellschafterversammlung zur Antragstellung nach dem StaRUG jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn ein Restrukturierungsplan bzw. ein Restrukturierungsverfahren die einzige hinreichend erfolgversprechende Alternative zu einem Insolvenzverfahren ist. In diesen Fällen werden die Vorgaben des Gesellschaftsrechts und der satzungsmäßigen Regeln durch die die Willensbildung betreffenden Regelungen des StaRUG verdrängt, weshalb es ohne Bedeutung ist, ob es sich bei der Frage der Einleitung eines solchen Verfahrens um eine Grundlagenentscheidung oder zumindest eine besonders bedeutsame und außergewöhnliche Maßnahme handelt. Würde man einen vorherigen Gesellschafterbeschluss für notwendig erachten, so würde der Anwendungsbereich des StaRUG erheblich reduziert und der Schuldnerin häufig allein der Weg des Insolvenzantrags bleiben. Auch § 28 StaRUG, welcher die Möglichkeit von Restrukturierungsmaßnahmen auch gegen den Widerstand der Gesellschafter vorsieht, zeigt das gesetzgeberische Ziel, dem Schuldner die Blockadehaltung einzelner Beteiligten zu überwinden. Zudem spricht eine richtlinienkonforme Auslegung gegen einen vorherigen Gesellschafterbeschluss, da nach der Restrukturierungsrichtlinie Anteilsinhaber die Annahme und Bestätigung eines Restrukturierungsplans nicht grundlos verhindern oder erschweren dürfen. Dem Schutzbedürfnis der Anteilseigener wird ausreichend durch die in §§ 63 ff. StaRUG vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten sowie die gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans Rechnung getragen.

Nach der vorzunehmenden Interessenabwägung würden der Beklagten im Falle der Vollstreckung der einstweiligen Verfügung irreversible Nachteile entstehen, insbesondere bei einer unmittelbaren Insolvenzantragstellung. Da die Interessen der Klägerin auch noch im Rahmen des StaRUG-Verfahrens gewahrt werden können, entschied das Gericht zugunsten der Beklagten. Die Durchführung des StaRUG-Verfahrens bot die einzig realistische Möglichkeit, eine Insolvenz abzuwenden und die Interessen aller Beteiligten zu wahren.

Praxishinweis | OLG Stuttgart 20 U 30/24

In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob die Einleitung eines StaRUG-Verfahrens jedenfalls im Innenverhältnis einen Gesellschafterbeschluss erfordert.

Nach einer Auffassung ist vor der Einleitung eines solchen Verfahrens vorher grundsätzlich kein Gesellschafterbeschluss erforderlich, da die damit verbundene Zeitverzögerung den gesetzgeberischen Zweck der schnellen Restrukturierung bei drohender Zahlungsunfähigkeit konterkarieren würde (AG Dresden, Beschluss vom 9.8.2023 – 572 RES 1/23; Kümpel AG 2024, 426, 429 Rn. 15; Mock, NZI 2023, 585 f.). Eine andere Auffassung verlangt die vorherige Zustimmung der Gesellschafterversammlung jedenfalls dann nicht, wenn ein Restrukturierungsverfahren die einzig hinreichend erfolgversprechende Alternative zu einem Insolvenzverfahren darstellt (AG Nürnberg, Beschluss vom 21.6.2023 – RES 397/23 zur AG; Spahlinger in BeckOK-StaRUG, Stand 01.07.2024, § 17 Rn. 31a mit zahlreichen weiteren Nachweisen zum Streitstand). Dies wurde vor allem für die Aktiengesellschaft angenommen und kann dann in Betracht kommen, wenn bei einer Überschuldung die positive Fortbestehensprognose nur noch auf die mehrheitliche Unterstützung des Restrukturierungskonzepts durch die Gläubiger gestützt werden kann (Flöther/Wilke, ZRI 2023, 1029, 1042).

Die Gegenauffassung sieht die Einleitung eines StaRUG-Verfahrens jedenfalls im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) einen Gesellschafterbeschluss als notwendig an, wenn durch das Verfahren in Gesellschafterrechte eingegriffen werden soll (LG Berlin, Beschluss vom 31.5.2023 – 100 O 18/23 –; Baumert, NZI 2023, 952, 953). Teilweise wird auch generell ein Gesellschafterbeschluss gefordert, da es sich um ein den Gesellschaftszweck änderndes Grundlagengeschäft bzw. eine besonders bedeutsame und außergewöhnliche Maßnahme handele (Schluck-Amend in Münchener Anwaltshandbuch GmbHRecht, 5. Aufl., § 23 Rn. 129; Scholz, ZIP 2021, 219, 226; Herweg/Wirth, DB 2021, 886, 887; LG Berlin, Beschluss vom 31.5.2023 – 100 O 18/23; Gehrlein BB 2022, 1096, 1097). Zudem wird argumentiert, dass das Schutzbedürfnis der Anteilseigener dies erfordere (Ristelhuber, NZI 2021, 417, 419).

Geht man, wie vorliegend das OLG Stuttgart, von der Entbehrlichkeit eines Gesellschafterbeschlusses aus, so muss geprüft werden, ob das Restrukturierungsverfahren tatsächlich die einzig hinreichend erfolgversprechende Alternative zu einem Insolvenzverfahren ist. Dazu ist zu ermitteln, ob sich die Gläubiger mit ihrem letzten Wort entsprechend positioniert haben oder doch von einer Fälligstellung ihrer Forderungen absehen und auch eine andere Lösung außerhalb der Insolvenz unterstützen würden (FD-InsR 2024, 818137).

Offengelassen wurde vom OLG Stuttgart jedoch, ob die Zustimmung der Gesellschafter auch jenseits der Alternativlosigkeit eines Insolvenzverfahrens entbehrlich ist. In der noch ausstehenden Entscheidung über die Berufung kann daher auch noch eine Positionierung des BGH erfolgen.