OLG Schleswig 9 U 62/23
Keine Ausnahme vom Gesellschafterdarlehensrecht für “faktischen Nichtgesellschafter“

11.11.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Schleswig
05.06.2024
9 U 62/23
ZIP 2024, 620

Leitsatz | OLG Schleswig 9 U 62/23

  1. Für die Zwecke der §§ 135 Abs. 1, 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO kommt es hinsichtlich der Gesellschafterstellung infolge einer Abtretung von Gesellschaftsanteilen entscheidend auf die materiell-rechtliche Inhaberschaft des Anteils, nicht die Eintragung in die Gesellschafterliste an, so dass der Geschäftsanteil unmittelbar mit dem Vertragsschluss vom Veräußerer auf den Erwerber mit allen mitgliedschaftlichen Rechten und Pflichten übergeht, sofern die notarielle Form der Abtretung gem. § 15 Abs. 3 GmbHG gewahrt ist und der dingliche Vertrag auch im Übrigen nicht an Wirksamkeitsmängeln leidet.
  2. Handelt es sich bei der Zessionarin um ein kaufmännisches Unternehmen und ist keine nachteilige Informationsasymmetrie im Verhältnis zum Zedenten ersichtlich, ist es unerheblich, ob die Zessionarin die insolvenzrechtlichen Konsequenzen eines Nachrangs von Gesellschafterdarlehen beim Abschluss des Abtretungsvertrags vollständig erfasst hat.
  3. Es ist für die Stellung als formelle Gesellschafterin einer Schuldnerin unerheblich, ob die Beklagte sich nur auf dringendes Bitten der Schuldnerin dazu bereit erklärt hatte, ein Pfandrecht an einer anderen Gesellschaft gegen die formale Gesellschafterstellung bei der Schuldnerin sicherheitshalber einzutauschen und ob überhaupt Interesse an einer dauerhaften Gesellschafterstellung bei der Schuldnerin bestand.

    (Leitsätze der ZIP-Redaktion)
     

Sachverhalt | OLG Schleswig 9 U 62/23

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH (im Folgenden die „GmbH“). Er nimmt die Beklagte in Folge von Insolvenzanfechtung auf Rückgewähr von Zahlungen in Anspruch.

Die Beklagte hatte ursprünglich einen Anspruch gegen die GmbH auf Darlehensrückzahlung von 300.000,- EUR nebst Zinsen (zur Vereinfachung wird einheitlich von „der Beklagten“ besprochen, obgleich die Beklagte die ursprüngliche Gläubigerin der Darlehensforderung durch Verschmelzung aufnahm). Dieser Anspruch wurde mit Urteil (im Folgenden „Urteil“) vom 04.06.2015 tituliert (rechtskräftig geworden am 01.03.2016 durch Berufungsrücknahme). Daraufhin betrieb die Beklagte die Zwangsvollstreckung in das Vermögen der GmbH und pfändete mit Pfändungsbeschluss vom 07.08.2015 Anteile an einer dritten Gesellschaft, deren Inhaber die GmbH war.

Am 13.11.2015 wurden mit notarieller Urkunde an die Beklagte von einem Gesellschafter 50 % der Geschäftsanteile der GmbH abgetreten. Diese Abtretung stand unter der aufschiebenden Bedingung (1) des Ablaufs von sechs Wochen nach Rechtskraft des Urteils und (2) dem Unterbleiben der Befriedigung der mit dem Urteil titulierten Forderung. Ebenfalls am 13.11.2015 wurde mit notarieller Urkunde an die Beklagte von der GmbH eine Eigentümerbriefgrundschuld an einer Eigentumswohnung zu 200.000 EUR nebst 18 % Zinsen jährlich abgetreten. Die Anweisung der GmbH, die Grundschuldbestellungsurkunde zum Vollzug beim Grundbuchamt vorzulegen stand gleichfalls unter der aufschiebenden Bedingung (1) des Ablaufs von sechs Wochen nach Rechtskraft des Urteils und (2) dem Unterbleiben der Befriedigung der mit dem Urteil titulierten Forderung.

Nach Eintritt der aufschiebenden Bedingung mit Ablauf des 12.04.2016 erfolgte die Aktualisierung der Gesellschafterliste der GmbH durch die mit der Sache befasste Notarin (datiert 12.05.2016). Die Eintragung der Eigentümerbriefgrundschuld und die Eintragung der Abtretung derselben im Grundbuch erfolgte am 17.05.2016.

In der Folge wurde die Eigentumswohnung verkauft und die Grundschuld vom Erwerber der Eigentumswohnung durch Zahlung von 218.283,70 Euro an die Beklagte abgelöst. Die Zahlung dieses Geldbetrags begehrte der Kläger mit der erstinstanzlichen Klage.

Das Landgericht hat der Klage erstinstanzlich stattgegeben.

Entscheidung | OLG Schleswig 9 U 62/23

Die Berufung ist zulässig, in der Sache aber unbegründet.

Der klägerische Anspruch folgt aus den §§ 143 Abs. 1 S. 2, 129, 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO iVm § 818 Abs. 2 BGB. Denn die GmbH hat der Beklagten für eine Forderung auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens ein Sicherungsmittel gewährt und diese Rechtshandlung wurde wirksam angefochten.

Das OLG stellt zunächst klar, dass die Aktualisierung der Gesellschafterliste nicht Wirksamkeitsvoraussetzung der Abtretung von GmbH-Gesellschaftsanteilen ist. Das entspricht der herrschenden Literaturansicht. Daher gilt (jedenfalls für Zwecke des § 135 Abs. 1 InsO), dass der Erwerber eines Geschäftsanteils ab dem Zeitpunkt Gesellschafter ist, in dem die Abtretung formwirksam erfolgt ist und etwaige Bedingungen eingetreten sind. Das war vorliegend mit Ablauf des 12.04.2016 der Fall (Rz. 47 ff.), denn zu diesem Zeitpunkt trat die aufschiebende Bedingung ein, unter der die formwirksame Abtretung der GmbH-Geschäftsanteile stand.

Unerheblich für Wirksamkeit der Geschäftsanteilsabtretung ist, ob die Beklagte sich bei der Erlangung der Gesellschafterstellung über die insolvenzrechtlichen Konsequenzen einer Gesellschafterstellung im Klaren war (Rz. 50). Denn als kaufmännisches Unternehmen und in Ermangelung einer Informationsasymmetrie zum Zedenten, fällt es in die Risikosphäre der Beklagten, sich umfassend über die sie betreffenden rechtlichen Folgen des Rechtsgeschäfts zu informieren. Ein die Wirksamkeit der Abtretung der Geschäftsanteile betreffender Willensmangel jedenfalls liegt nicht vor.

Bei dem titulierten Anspruch auf Darlehensrückzahlung handelte es sich mithin ab Erlangung der Gesellschafterstellung mit Ablauf des 12.04.2016 um einen Anspruch auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens. Das OLG stellt klar, dass die Regelung des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO auch dann Anwendung findet, wenn die Gesellschafterstellung erst nach Gewährung der Finanzierungshilfe erlangt wurde (Rz. 57). Obiter positioniert sich das OLG zu dem Fall, dass der Erwerb der Forderung oder die Erlangung der Gesellschafterstellung erst nach der Sicherheitengewährung erfolgt: Dann soll nach Ansicht des OLG keine anfechtbare Rechtshandlung vorliegen (Rz. 57).

Für die Forderung auf Rückgewähr des Gesellschafterdarlehens hat die GmbH der Beklagten am 17.05.2016 ein Sicherungsmittel in Form der Grundschuld gewährt (Rz. 55). Erst am 17.05.2016, also nach Erlangung der Gesellschafterstellung, wurde die Grundschuld im Grundbuch eingetragen und ist damit wirksam entstanden (§ 873 Abs. 1 BGB, § 140 Abs. 1 InsO). Zwar kann gem. § 140 Abs. 2 InsO auch der Zeitpunkt des Eingangs des Eintragungsantrags beim Grundbuchamt maßgebend sein. Die hierfür darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat jedoch nicht dargelegt, dass der Eintragungsantrag vor dem 13.04.2016 beim Grundbuchamt eingegangen ist (Rz. 61).

Die Sicherheitengewährung erfolgte auch innerhalb der Frist des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO (höchstens zehn Jahre vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens). Im vorliegenden Fall wurde zwar im Rahmen der Ablösung der Grundschuld Befriedigung erlangt. Dennoch findet die zehnjährige Frist des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Sicherheitengewährung) und nicht die einjährige Frist der Nr. 2 (Befriedigung) Anwendung (Rz. 65 ff.). Das OLG schließt sich insofern der Ansicht des BGH an, wonach die Befriedigungsvariante keine Sperrwirkung gegenüber der Sicherheitenvariante entfaltet. Jede Rechtshandlung ist selbstständig zu betrachten und auf ihre gläubigerbenachteiligende Wirkung hin zu untersuchen – auch wenn eine Sicherheitengewährung in einer späteren Befriedigung aufgeht (Rz. 69). Denn angefochten werden nicht Vermögensverschiebungen per se, sondern einzelne Rechtshandlungen.
Auch die Voraussetzung des § 39 Abs. 5 InsO (Beteiligungshöhe am Haftkapital von über 10 %) ist gewahrt.

Mithin ist die Abtretung der Grundschuld – als Gewährung eines Sicherungsmittels für den Anspruch auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens – eine anfechtbare Rechtshandlung iSd §§ 129, 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO.

Die Grundschuld befand sich zum Entscheidungszeitpunkt aufgrund der erfolgten Ablösung nicht mehr im Vermögen der Beklagten, sodass gem. §§ 143 Abs. 1 S. 2 InsO iVm § 818 Abs. 2 BGB Wertersatz zu leisten ist. Dieser ist in Höhe des Geldbetrags zu leisten, der als Surrogat für die abgelöste Grundschuld von der Beklagten erlangt wurde.

Das OLG führt weiter aus, dass auch der Einwand der Beklagten nicht verfängt, sie sei „faktische Nichtgesellschafterin“ gewesen, weil ihr in tatsächlicher Hinsicht keine Gesellschafterrechte eingeräumt worden sein. Ausreichend für die Wirkung des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist vielmehr die rein formale Gesellschafterstellung (Rz. 53).

Auch ist – entgegen der Ansicht der Beklagten – die Abtretung der Grundschuld kein masseneutraler Sicherheitentausch, welcher mangels Gläubigerbenachteiligung zur Unanwendbarkeit des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO führen könnte (Rz. 63). Denn die insofern darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat nicht dargelegt, inwiefern die Freigabe der gepfändeten Anteile in einem Austausch- und Gleichwertigkeitsverhältnis zur abgetretenen Grundschuld stand.

Neben § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO kann der Kläger seinen Anspruch auch auf die Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung nach § 133 Abs. 1, 2 InsO stützen (Rz. 77 ff.). Dieser Anfechtungsgrund setzt Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und Kenntnis dieses Vorsatzes seitens des begünstigten Gläubigers voraus.

Das OLG weist hier auf die Rechtsprechung des BGH hin, wonach eine „inkongruente Deckung in der Regel ein starkes Beweisanzeichen für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und für die Kenntnis des Gläubigers von diesem Vorsatz [bildet], wenn die Wirkungen der Rechtshandlung zu einem Zeitpunkt eintraten, als zumindest aus der Sicht des Empfängers der Leistung Anlass bestand, an der Liquidität des Schuldners zu zweifeln“ (Rz. 81). Anlass, an der Liquidität des Schuldners (also der GmbH) zu zweifeln bestand vorliegend insbesondere deshalb, weil die titulierte Forderung trotz Vollstreckungsdruck und erfolgter Pfändung nicht beglichen wurde (Rz. 93 f.).
 

Praxishinweis | OLG Schleswig 9 U 62/23

Der Fall verdeutlicht, wie wichtig es ist, bei Transaktionen in Insolvenznähe fachkundige Beratung in Anspruch zu nehmen. Das gilt umso mehr, wenn eine Gesellschafterstellung eingenommen werden soll. Denn die Rechtsfolgen des Insolvenzrechts treffen auch denjenigen, der sich über diese Rechtfolgen nicht im Klaren ist.

Die Entscheidung erinnert daran, dass auch im Falle der Erlangung einer Gesellschafterstellung erst nach Gewährung einer Finanzierungshilfe, die Regeln zum Gesellschafterdarlehen Anwendung finden. Intuitiv erschließt sich das womöglich nicht, denn die Finanzierungshilfe wird so gewissermaßen nachträglich umgewidmet. Die Folgen hingegen können verheerend sein – zum Beispiel im Falle der späteren Anfechtung von Vermögensübertragung oder Sicherheitengewährung.

Wenig überraschend schließt sich das OLG in der Entscheidung der Ansicht des BGH an, wonach die Befriedigungsvariante des § 135 Abs. 1 InsO keine Sperrwirkung gegenüber der Sicherheitenvariante entfaltet. Das hat praktisch eine bedeutsame Folge: Wurde innerhalb von zehn Jahren vor Stellung eines Insolvenzantrags eine Sicherheit gewährt, so ist diese anfechtbar. Im Fall der Befriedigung (ohne vorherige Besicherung) hingegen beträgt dieser Zeitraum nur ein Jahr. Wird eine Sicherheit gewährt und in der Folge auf die besicherte Forderung geleistet, findet dennoch die zehnjährige Frist Anwendung. Der Gläubiger eines Gesellschafterdarlehens sollte also wirtschaftlich immer abwägen, ob das Risiko einer späteren Insolvenz und Anfechtung nicht der Sicherheitengewährung (mit der Folge der zehnjährigen Frist) entgegensteht. Bei erhöhtem Insolvenzrisiko jedenfalls kann es unter Umständen wirtschaftlich zum Beispiel sinnvoll sein, nur einen Teil der Forderung befriedigen zu lassen und auf den Rest zu verzichten, anstelle sich für die gesamte Forderung eine Sicherheit gewähren zu lassen.