OLG Frankfurt a.M. 21 W 13/23
Zur Besetzung des Aufsichtsrates bei grenzüberschreitender Verschmelzung

13.11.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Frankfurt a.M.
23.08.2023
21 W 13/23
NZG 2024, 109

Leitsatz | OLG Frankfurt a.M. 21 W 13/23

  1. Zur Abgrenzung des aktienrechtlichen Statusverfahrens von arbeitsgerichtlichen Wahlanfechtungsverfahren.
  2. Zur Auslegung von § 25 Abs. 1 S. 3 MgVG.
  3. Die Frage nach dem richtigen Wahlorgan ist nämlich nicht Gegenstand des Statusverfahrens, da sie weder die Größe noch die Zusammensetzung des Aufsichtsrats nach § 96 AktG betrifft, sondern eine konzernrechtliche Vorfrage behandelt. Die ausschließliche Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für das Statusverfahren bezieht sich nur auf die Zusammensetzung und die Größe des Aufsichtsrats. Demgegenüber sind die Arbeitsgerichte im Beschlussverfahren befugt, über sonstige gesellschafts- und konzernrechtliche, das Wahlrecht der Arbeitnehmer zum Aufsichtsrat und dessen personelle Zusammensetzung betreffende Vorfragen zu entscheiden.
  4. Bereits aufgrund der unterschiedlichen Streitgegenstände kommt eine Sperrung des Statusverfahrens aufgrund einer nicht angefochtenen Wahlentscheidung zum Aufsichtsrat nicht in Betracht.
  5. Nach dem Wortlaut des § 25 Abs. 1 S. 3 MgVG hat das besondere Verwaltungsgremium den letzten zu verteilenden Sitz einem bisher unberücksichtigten Mitgliedstaat zuzuweisen. Die Formulierung „hat zuzuweisen“ sieht einen Ermessenspielraum des Gremiums nicht vor, sondern weist einen zwingenden Charakter auf.
  6. Es ist dem multinationalen Charakter bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung der neu entstandenen Gesellschaft bei einer effektiven Mitbestimmung Rechnung zu tragen. In welcher Form dies der Fall ist, bestimmt § 25 Abs. 1 S. 3 MgVG nämlich dahingehend, dass wenigstens der letzte zu verteilende Sitz dann ausschließlich nach nationalen Gesichtspunkten zu erfolgen hat und für diesen Sitz die Anzahl der vertretenen Arbeitnehmer nur noch eine nachgeordnete Rolle spielt. (Leitsätze 3-6 nach NZG 2024, 109)

Sachverhalt | OLG Frankfurt a.M. 21 W 13/23

Die Beteiligten streiten nach grenzüberschreitender Verschmelzung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrates der Antragsgegnerin. Diese ist Anbieterin im Bereich Corporate Payment. Der Antragsteller ist der Betriebsrat in dem Betrieb der Antragsgegnerin in Stadt S.

Die Antragsgegnerin beschloss die Verschmelzung mit der belgischen X. Die Geschäftsführung der Antragsgegnerin und der Vorstand der X beschlossen dabei, keine Verhandlungen über die Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der Antragsgegnerin aufzunehmen, sondern die gesetzliche Auffanglösung der §§ 23ff. MgVG zu wählen. Im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Verschmelzung beschäftigten die Antragsgegnerin und die X insgesamt 1088 Arbeitnehmer in elf europäischen Staaten. Ein Anteil von 80,8 % war in Deutschland beschäftigt. Für die Sitzverteilung für die Arbeitnehmervertreter wurde ein „besonderes Verhandlungsgremium“ gebildet. Dieses beschloss, dass beide der Arbeitnehmervertretung zustehenden Sitze aus Deutschland zu besetzen seien. Der Antragsteller wählte sodann die Herren A und B zu den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat der Antragsgegnerin. Daraufhin verkündete die Antragsgegnerin, sie halte die Zusammensetzung für nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechend. Daraufhin hat der Antragsteller eine gerichtliche Entscheidung angestrebt, § 98 AktG iVm § 24 Abs. 2 MgVG.

Der Antragsteller begehrt die Feststellung, dass der mit insgesamt sechs Mitgliedern besetzte Aufsichtsrat den gesetzlichen Vorschriften entsprechend zusammengesetzt wurde, insb. wenn beide Arbeitsnehmervertreters aus Deutschland kommen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Antrag des Antragstellers abzuweisen und darüber hinaus festzustellen, dass a) die beiden Sitze der Arbeitnehmervertretung gem. § 25 Abs. 1 S. 3 MgVG aus unterschiedlichen Staaten zu besetzen seien, sowie b) die Verteilung gem. § 25 Abs. 2, 3 MgVG zu erfolgen habe und c) die übrigen vier Sitze mit Vertretern der Gesellschaft zu besetzen seien.

Erstinstanzlich hat das LG den Antrag des Antragstellers abgewiesen und den Gegenanträgen der Antragsgegnerin vollumfänglich entsprochen. Der Beschwerde des Antragstellers hat das LG nicht abgeholfen.

Mit der Beschwerde vor dem OLG verfolgt der Antragsteller sein erstinstanzliches Ziel weiter.

Entscheidung | OLG Frankfurt a.M. 21 W 13/23

Die Beschwerde ist überwiegend unbegründet. Lediglich der Gegenantrag zu b) ist unzulässig. Diesbezüglich ist das Urteil des LG abzuändern.

Der zweite Sitz hätte gem. § 25 Abs. 1 S. 3 MgVG nicht an einen weiteren Vertreter aus Deutschland verteilt werden dürfen. Zwar trägt der Antragsteller vor, dass das besondere Verhandlungsgremium nicht an § 25 Abs. 1 S. 3 MgVG gebunden sei. Dem folgt das OLG jedoch nicht. Der Wortlaut des § 25 Abs. 1 S. 3 MgVG, insbesondere die Formulierung „hat zuzuweisen“, spricht für einen zwingenden Charakter und gegen etwaiges Ermessen.

Dieses Verständnis wird auch durch die Systematik bestätigt. Denn in § 25 Abs. 1 S. 4 MgVG ist sodann eine eindeutige „Soll-Vorschrift“ normiert. Damit muss bei Nichtberücksichtigung eines Mitgliedsstaates zwingend von der Regel des § 25 Abs. 1 S. 2 MgVG abgewichen werden. Inwiefern zwischen den insgesamt nicht berücksichtigten Mitgliedsstaaten gewählt wird, steht sodann im Ermessen des Gremiums, § 25 Abs. 1 S. 4 MgVG.

Zudem spricht auch der Normzweck für eine multinationale Besetzung. Hier handelt es sich um eine grenzüberschreitende Verschmelzung, wodurch eine Gesellschaft mit multinationalem Charakter entsteht, der sich auch in der Besetzung des Aufsichtsrates niederschlagen soll.

Dieses Auslegungsergebnis steht auch im Einklang mit dem Willen des historischen Gesetzgebers. So heißt es in der Gesetzesbegründung zum MgVG: „Der grenzüberschreitende Bezug der Verschmelzung soll sich in der Besetzung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan widerspiegeln. […] In diesem Fall [gemeint ist: Nicht alle Mitgliedsstaaten sind vertreten, Anm.] ist der letzte Sitz – zulasten eines Mitgliedstaates mit größerer Arbeitnehmerzahl – zwingend an einer der Staaten zuzuweisen, die bisher noch keinen Sitz erhalten haben“.

Letztlich steht diesem Ergebnis auch eine richtlinienkonforme Auslegung nicht im Wege - im Gegenteil. Der durch § 25 MgVG umgesetzte Art. 133 Abs. 3 lit. h) Gesellschafts-RL nimmt ausdrücklich auf Teil 3 lit. b) des Anhangs zur RL 2011/86/EG Bezug, der keinen Ermessens- oder Beurteilungsspielraum für die Entscheidung vorsieht, dass der letzte Sitz durch einen nicht berücksichtigten Mitgliedsstaat wahrgenommen werden muss. Auch hier besteht Ermessen nur hinsichtlich der Wahl zwischen den nichtberücksichtigten Mitgliedsstaaten: „Bleiben Arbeitnehmer aus einem oder mehreren Mitgliedstaaten bei der anteilmäßigen Verteilung unberücksichtigt, so bestellt das Vertretungsorgan eines der Mitglieder aus einem dieser Mitgliedstaaten, und zwar vorzugsweise – sofern angemessen – aus dem Mitgliedstaat, in dem die SE ihren Sitz haben wird“.

Praxishinweis | OLG Frankfurt a.M. 21 W 13/23

Angesichts des eindeutigen Auslegungsergebnisses im Hinblick auf § 25 Abs. 1 S. 3 MgVG ist die Entscheidung des OLG Frankfurt wenig überraschend. Spannender würde die Frage, wenn der Gesellschaft nach grenzüberschreitender Verschmelzung kein ausländischer Arbeitnehmer mehr angehört, der den Sitz im Aufsichtsrat wahrnehmen könnte. In diesem Fall erscheint eine teleologische Reduktion durchaus möglich. Diese Frage musste das OLG jedoch nicht beantworten.