14.07.2023
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
BGH
28.06.2022
II ZR 112/21
ZIP 2022, 1606
Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO muss nicht durch Aufstellung einer Liquiditätsbilanz, sondern kann auch mit anderen Mitteln dargelegt werden.
Der Insolvenzverwalter eines Insolvenzverfahrens nimmt den Geschäftsführer der schuldnerischen GmbH aus § 64 GmbHG in der damals geltenden Fassung in Anspruch. Gesellschafter der Schuldnerin waren die M GmbH zu 90 % und der Beklagte zu 10 %. Die schuldnerische Gesellschaft war Teil einer Unternehmensgruppe, innerhalb derer ein Cashpoolverfahren vereinbart war. Dabei wurden Guthaben auf den Konten der Tochtergesellschaft, darunter die Schuldnerin, am Ende eines jeden Arbeitstages auf das „Masterkonto“ der Muttergesellschaft übertragen und etwaige Sollsalden der Tochterunternehmen von dem Masterkonto ausgeglichen. Außerdem wurde vereinbart, dass Zuflüsse der Tochtergesellschaften an die Muttergesellschaft als kurzfristige verzinsliche Darlehen angesehen und die Zinsen quartalsweise berechnet wurden. Der Insolvenzverwalter verlangt von dem Geschäftsführer die Erstattung zweier Überträge von dem schuldnerischen Konto auf das Masterkonto der Muttergesellschaft i.H.v. jeweils ca. 1,6 Mio. € im November und Dezember 2013. Er geht dabei davon aus, dass die Schuldnerin bereits am 31.12.2012 zahlungsunfähig gewesen sei.
Das LG und OLG Schleswig haben die Klage abgewiesen. Sie gingen davon aus, dass kein Nachweis der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin erbracht wurde. Um die Liquidität feststellen zu können, bedürfe es einer konsolidierten Gesamtbetrachtung, also einer Gesamtliquiditätsplanung der Unternehmensgruppe. Der vorgelegte Bericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sei unzureichend, da er u.a. die Forderungen aus dem Cashpooling nicht berücksichtige. Eine Haftung des Geschäftsführers scheidet aber in jedem Fall aus, da in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Zahlungen auch Zuflüsse an die Schuldnerin von dem Masterkonto erfolgt waren. Nach den streitgegenständlichen Zahlungen seien der Schuldnerin im Rahmen des Cashpoolings mehr Zuflüsse von dem Masterkonto zugutegekommen seien, als sie Abflüsse erlitten habe.
Die Revision hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache.
Nach Ansicht des BGH hat das Berufungsgericht die Anforderungen an den Vortrag des Klägers zur Zahlungsunfähigkeit überspannt. Nach ständiger Rechtsprechung genügt die Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die geeignet sind, das geltend gemachte Recht substantiiert darzulegen. Weitere Einzeltatsachen müssen dann nicht mehr vorgetragen werden. Eine Zahlungsunfähigkeit ist regelmäßig anzunehmen, wenn eine Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr beträgt und sie nicht innerhalb von drei Wochen beseitigt werden kann. Ausnahmen sind nur möglich, wenn davon ausgegangen werden kann, dass die Lücke demnächst geschlossen wird und ein Warten dem Gläubiger ausnahmsweise zuzumuten ist.
Vorliegend hat der Gläubiger eine solche Lücke und damit die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin dargestellt. Dabei ist irrelevant, dass er sich nicht auf eine Liquiditätsbilanz bezieht. Dem BGH nach kann eine Zahlungsunfähigkeit auch durch einen Liquiditätsstatus auf den Stichtag und einem Finanzplan für die auf diesen Tag folgenden drei Wochen dargestellt werden. In diesem sind tagesgenau Ein- und Auszahlungen gegenüberzustellen. Alternativ genügt es auch, dass für den Prognosezeitraum mehrere tagesgenaue Liquiditätsstatus erstellt werden, wenn die am Stichtag vorliegende erhebliche Liquiditätslücke an keinem der betrachteten Tage in relevanter Weise geschlossen werden kann. Von diesem Standpunkt aus hat der Kläger seiner Darlegungslast genügt. Unter Bezugnahme auf den Wirtschaftsprüfungsbericht hat er die Unterdeckung für den 31.12.2012 sowie weitere drei Kalendertage in dem Prognosezeitraum von drei Wochen bis zum 21.1.2013 dargestellt. Dabei hat er die nicht ausgeschöpfte Kreditlinie der Muttergesellschaft in voller Höhe als verfügbare Liquidität der Schuldnerin berücksichtigt. Die am 31.12.2012 bestehende Liquiditätslücke betrug 54,8 % und konnte innerhalb von drei Wochen auf nur 45,7 % gesenkt werden. Damit wurde die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin hinreichend dargelegt. Diese war weder vorübergehend noch unerheblich. Eine konsolidierte Gesamtbetrachtung der Unternehmensgruppe bedurfte es nicht.
Zwar entfällt die Ersatzpflicht des Organs nach Insolvenzreife gem. § 64 Satz 1 GmbHG aF, wenn die durch die Zahlung verursachte Schmälerung in unmittelbarem Zusammenhang mit ihr ausgeglichen wird. Dies ist vorliegend jedoch nicht erfolgt. Ein Zufluss auf das Konto der Schuldnerin von dem Masterkonto ist aber nur im Wege eines Soll-Ausgleichs erfolgt, dadurch wurde ihr verteilungsfähiges Vermögen nicht gemehrt.
Der BGH erleichtert im vorliegenden Urteil die Nachweispflicht der Zahlungsunfähigkeit für den klagenden Insolvenzverwalter. Nun bedarf es keiner Liquiditätsbilanz oder eines stichtagsbezogenen Liquiditätsstatus mit Finanzplan für die nächsten drei Wochen inklusive tagesgenauer Einzahlungs- und Auszahlungsdarstellung mehr. Vielmehr reicht die Erstellung von vier Liquiditätsstatus für den Prognosezeitraum von drei Wochen. Zwar ist die Entscheidung zur alten Anspruchsgrundlage (§ 64 GmbHG aF) erfolgt, es ist jedoch davon auszugehen, dass sie auch im Bereich des § 15b InsO Anwendung findet.