BGH VIII ZR 362/19
Unwirksamkeit eines Kaufvertrages über den Patientenstamm einer Zahnarztpraxis

27.06.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
09.11.2021
VIII ZR 362/19
NJW-RR 2022, 336

Leitsatz | BGH VIII ZR 362/19

  1. Die Vereinbarung über die Veräußerung eines Patientenstammes mit der Verpflichtung zur Weiterleitung von Anrufen und Seitenaufrufen im Internet und zur Empfehlung der Behandlung durch den Nachfolger gegen Entgelt ist nichtig. (nichtamtl. Ls.)
  2. § 8 Abs. 5 der Berufsordnung für die Bayerischen Zahnärzte vom 18.01.2006 in der ab dem 01.03.2014 geltenden Fassung ist ein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB. (nichtamtl. Ls.)

 

Sachverhalt | BGH VIII ZR 362/19

Der Kläger ist niedergelassener Zahnarzt in Regensburg, wo auch die Beklagte bis zum 30.06.2018 eine Zahnarztpraxis mit einem Stamm von rund 600 Patienten, betrieb. Da die Beklagte ihre Praxis aufgeben wollte, unterzeichneten die Parteien am 25.05.2017 einen „Kaufvertrag [über den] Patientenstamm“, wonach die privat- und vertragsärztlich versicherten Patienten an den Kläger veräußert und durch diesen zukünftig versorgt werden sollten. Soweit eine schriftliche Einwilligungserklärung der Patienten vorliege, solle sodann mit vollständiger Zahlung des Kaufpreises (12.000 Euro) die Patientenkartei der Beklagten mit sämtlichen Krankenunterlagen in das Eigentum und den Besitz des Klägers übergehen. Zudem sollte der Kläger die manuell geführte und elektronische Patientenkartei, auch ohne die Einwilligung der Patienten, in Verwahrung nehmen. Außerdem verpflichtete sich die Beklagte, ihre Patienten mit einem Rundschreiben über die Übernahme zu informieren und deren Behandlung durch den Kläger zu empfehlen, sowie Anrufe und Seitenaufrufe im Internet weiterzuleiten auf das Telefon bzw. die Website des Klägers.

Die Beklagte holte sich nach Unterzeichnung des Vertrages zu dessen Inhalt eine Auskunft der Landesärztekammer ein und verweigerte aufgrund dessen die Erfüllung des Vertrages. Die auf Erfüllung gerichtete Klage des Klägers hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg.

Entscheidung | BGH VIII ZR 362/19

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Eine Rechtssache habe nach ständiger Rechtsprechung des BGH grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und daher allgemein von Bedeutung ist. Die Rechtsfrage, welche das Berufungsgericht im Zusammenhang mit den Vorschriften der §§ 299a, 299b StGB aufgeworfen hat, sei weder entscheidungserheblich noch umstritten.

Die von dem Berufungsgericht im Ergebnis rechtsfehlerfrei angenommene Nichtigkeit des Kaufvertrages gemäß § 134 BGB ergebe sich schon daraus, dass die darin vereinbarte Veräußerung des Patientenstammes gegen berufsrechtliche Standesvorschriften verstößt. Insbesondere liege ein Verstoß gegen § 8 Abs. 5 der Berufsordnung für die Bayerischen Zahnärzte vom 18.01.2006 in der ab dem 01.03.2014 geltenden Fassung (Berufsordnung) vor. Danach ist es einem Zahnarzt verboten, für die Zuweisung von Patienten oder Untersuchungsmaterialien ein Entgelt zu fordern, sich versprechen oder gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren. Die Norm sei ein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB. Da die Parteien mit ihrem Kaufvertrag über den Patientenstamm der Beklagten gegen diese Verbotsnorm verstoßen haben, sei die gesamte vertragliche Vereinbarung der Parteien gemäß §§ 134, 139 BGB nichtig.

Eine Revision sei auch nicht zur Fortbildung des Rechts erforderlich. Denn die vom Berufungsgericht aufgeworfenen Rechtsfragen seien schon nicht entscheidungserheblich. Außerdem seien die Maßstäbe für die Beurteilung der Nichtigkeit des Vertrags durch die Rechtsprechung des BGH hinreichend geklärt.

Darüber hinaus habe die Revision keine Aussicht auf Erfolg, da die Ablehnung des Anspruchs auf Erfüllung des Kaufvertrages Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises rechtlicher Nachprüfung standhalte. Die vertragliche Vereinbarung sei wegen Verstoßes gegen § 8 Abs. 5 der Berufsordnung und damit gegen ein Verbotsgesetz insgesamt nichtig. Insbesondere liege ein Verstoß vor, indem sich die Beklagte verpflichtet hat auf ihre Patienten derart einzuwirken, um diese zu einer Fortsetzung ihrer Behandlung durch den Kläger zu bewegen. In welcher Form dieses Einwirken auf die Patienten geschieht sei unerheblich. Sowohl in dem Patientenanschreiben als auch in der Rufnummerumleitung, der Weiterleitung der Seitenaufrufe und der Einrichtung einer dauerhaften Rufweiterleitung liege damit eine Zuweisung i.S.d. § 8 Abs. 5 der Berufsordnung. Es sei grundsätzlich nicht verboten Empfehlungen auszusprechen, allerdings sei es verboten Empfehlungen gegen Entgelt auszusprechen.

Praxishinweis | BGH VIII ZR 362/19

Der BGH erklärt eine Vereinbarung über den Verkauf eines bloßen Patientenstammes für nichtig. Der Verkauf einer Arztpraxis im Ganzen soll zwar ausdrücklich noch möglich sein, Verpflichtungen wie Patientenanschreiben und Weiterleitung von Anrufen und Seitenaufrufen im Internet werden dabei vermutlich trotzdem nicht gestattet sein. Ärzte dürfen grundsätzlich, vor allem auf Nachfrage des Patienten, Empfehlungen für Kollegen aussprechen, sofern sie dafür von diesen Kollegen keine wirtschaftliche Gegenleistung erhalten. Im Vordergrund der Entscheidung steht der Schutz der ärztlichen Wahlfreiheit der Patienten und das Vertrauen des Patienten in die Sachlichkeit ärztlicher Entscheidungen. Zwar hat das Gericht nicht entschieden, ob auch der Tatbestand der §§ 299a, 299b StGB erfüllt ist, es sieht das Tatbestandsmerkmal der „Zuführung“ jedoch als erfüllt an.