25.04.2025
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
BGH
10.04.2024
VIII ZR 286/22
NJW-RR 2024, 692
Die Beklagten bewohnen seit 1977 eine Dreizimmerwohnung in Berlin. Im September 1982 schlossen sie einen schriftlichen Mietvertrag, der rückwirkend ab dem 1. Juli 1982 gelten sollte. Das Mietverhältnis sah nach zehnjähriger Mietdauer eine Kündigungsfrist von zwölf Monaten vor.
2013 wurde das Gebäude in Eigentumswohnungen in Eigentumswohnungen aufgeteilt. Der Kläger erwarb 2018 die von den Beklagten bewohnte Wohnung. Mit Schreiben vom 24.01.2021 kündigte er das Mietverhältnis ordentlich zum 31.10.2021 unter Berufung auf § 573 Abs. 1 BGB. Er gab an, die Wohnung künftig überwiegend für seine berufliche Tätigkeit als Rechtsanwalt sowie als Wohnsitz nutzen zu wollen, da das bisherige Mietverhältnis für seine bisherigen Kanzlei- und Wohnräume endete. Dies stelle ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses dar („Betriebsbedarf“).
Das Bezirksamt bestätigte im Februar 2021 den Eingang der Anzeige des Klägers zur beabsichtigten teilgewerblichen Nutzung und stellte im August 2021 eine Genehmigung in Aussicht, sofern es sich bei der Wohnung um den Hauptwohnsitz des Klägers handele.
Im September 2021 erhob der Kläger Klage auf Räumung und Herausgabe der Wohnung und erklärte vorsorglich erneut die ordentliche Kündigung wegen „Betriebsbedarfs“. Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Räumungsbegehren weiter.
Die Revision hat Erfolg.
Zwar kämen die Kündigungstatbestände des § 573 Abs. 2 Nr. 2 und 3 im vorliegenden Fall mangels vollständiger Erfüllung nicht in Betracht, jedoch das berechtigtes Interesse des Klägers an der Beendigung des Mietverhältnisses im Sinne von § 573 Abs. 1 S. 1 BGB. Ob ein berechtigtes Interesse des Klägers tatsächlich vorliegt, konnte der BGH mangels diesbezüglicher tatsächlicher Feststellungen nicht beurteilen.
Das Vorliegen eines berechtigten Interesses nach der Generalklausel des § 573 Abs. 1 S. 1 BGB sei aufgrund einer einzelfallbezogenen Bewertung und Abwägung der beiderseitigen Belange der betroffenen Mietvertragsparteien festzustellen. Ein berechtigtes Interesse erfordere, dass der Vermieter vernünftige Gründe für die Inanspruchnahme der Wohnung geltend macht, die den (ernsthaften) Nutzungswunsch nachvollziehbar erscheinen lassen. Zudem müsse dieses geltend gemachte Interesse mit einem der in § 573 Abs. 2 BGB beispielhaft genannten Kündigungsgründe vergleichbar sein und ebenso schwer wiegen.
Das ernsthafte, nachvollziehbare Interesse des Vermieters, die Mietwohnung zu Wohnzwecken und zugleich überwiegend (frei-)beruflichen Zwecken zu nutzen, stehe dem Eigenbedarf nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB näher als der Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB. In diesen Fällen verfolge der Vermieter nicht nur geschäftliche Zwecke, sondern wolle auch einen persönlichen Lebensmittelpunkt schaffen, was durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt sei.
Da jedoch ein Merkmal des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB („alleinige oder überwiegende Nutzung zu Wohnzwecken“) fehle, sei ein weiterer Gesichtspunkt erforderlich, der für das Erlangungsinteresse des Vermieters spricht. Angesichts der Nähe zur Eigenbedarfskündigung genüge jedoch ein beachtenswerter, nicht zwingend gewichtiger Nachteil für den Vermieter. Regelmäßig überwiege das Erlangungsinteresse das Bestandsinteresse, wenn der ernsthaft verfolgte Nutzungswunsch auf vernünftigen, nachvollziehbaren Gründen beruht und die Verweigerung der Räume einen anerkennenswerten Nachteil für den Vermieter darstellt – was bei einer nachvollziehbaren und vernünftigen Lebens- und Berufsplanung häufig der Fall sein dürfte. Höhere Anforderungen seien zu stellen, wenn die Nutzung zu Wohnzwecken einen völlig untergeordneten Raum einnimmt, was von den Umständen des Einzelfalls abhängt.
Die Würdigung des Berufungsgerichts halte rechtlicher Nachprüfung nicht stand, da es zu hohe Anforderungen an das Vorliegen eines berechtigten Interesses des Klägers i.S.v. § 573 Abs. 1 S. 1 BGB an der Beendigung des Mietverhältnisses gestellt habe. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts seien die Wertungen des § 577a Abs. 1, 2 BGB im Rahmen der Interessenabwägung des § 573 Abs. 1 S. 1 BGB nicht dergestalt zu berücksichtigen, dass die Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Vermietern einen gesteigerten, „gewichtigen Nachteil“ darstellen müsse.
Denn die mit § 577a BGB getroffene gesetzgeberische Entscheidung, eine Kündigungsbeschränkung in Fällen der Veräußerung nach Überlassung in Wohnungseigentum umgewandelten Wohnraums allein bei bestimmten Kündigungstatbeständen vorzusehen und sie in Gestalt einer Sperrfrist des Vermieters an der Geltendmachung des berechtigten Interesses zu regeln, schließt es aus, in anderen, nicht von § 577a BGB erfassten Fällen unter Verweis auf vermeintliche Wertungswidersprüche (bereits) die Anforderungen an das Vorliegen eines berechtigten Interesses des Vermieters gemäß § 573 Abs. 1 S. 1 BGB zu erhöhen.
Abschließend führt der BGH aus, dass es der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung nicht entgegenstehe, wenn in der Kündigungserklärung ein vor der maßgeblichen Kündigungsfrist liegender Kündigungstermin bzw. kein Kündigungstermin angegeben ist. Weder die unzutreffende noch die gänzlich fehlende Angabe des Beendigungszeitpunkts führe zur Unwirksamkeit der Kündigungen. Mangels Aufführung in § 568 BGB und § 573 Abs, 3 BGB gehöre die Angabe der Kündigungsfrist nicht zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen der (ordentlichen) Kündigung. Ergibt die Auslegung der Kündigungserklärung gemäß §§ 133, 157 BGB, dass der Vermieter – wie hier – ordentlich und unter Einhaltung der Frist kündigen wolle (§§ 573, 573c BGB), entspreche es in der Regel seinem erkennbaren (hypothetischen) Willen, dass die Kündigung das Mietverhältnis mit Ablauf der (gesetzlichen oder vertraglich vereinbarten) Kündigungsfrist zum nächstmöglichen Termin beendet. Dies gelte sowohl bei fehlender Angabe eines Kündigungstermins als auch bei der Nennung eines zu frühen Termins, sofern der (unbedingte) Wille des Vermieters zur Beendigung des Mietverhältnisses erkennbar ist.
Der 8. Senat des BGH führt mit diesem Urteil seine Rechtsprechung fort, wonach die analoge Anwendung der Kündigungsbeschränkung des § 577a BGB bei Umwandlung von vermieteten Wohnräumen in Wohnungseigentum auf Kündigungen nach § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB mangels planwidriger Regelungslücke ausgeschlossen ist.
Ebenfalls streitrelevant war im vorliegenden Fall die Frage, ob die Wirksamkeit der Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses vom Vorliegen der (ggf. nach Landesvorschriften erforderlichen) Zweckentfremdungsgenehmigung im Zeitpunkt der Kündigungserklärung abhängt. Während dies insbesondere für Verwertungskündigungen nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB umstritten ist, wird die Problematik – wie hier – auch im Rahmen des § 573 Abs. 1 BGB diskutiert. Das LG Hamburg (Urteil vom 12.02.2021 – 307 S 16/20) vertritt die Auffassung, dass für ein berechtigtes Interesse nach § 573 Abs. 1 BGB erforderlich und ausreichend ist, wenn die Ernsthaftigkeit und Umsetzbarkeit der beabsichtigten Nutzung ausreichend dargelegt werden. Der BGH lässt die Frage explizit offen, folgt jedoch der Argumentation des LG Hamburg insoweit, dass es für das Vorliegen eines berechtigten Interesses i.S.d. § 573 BGB jedenfalls genügt, wenn der Vermieter das Genehmigungsverfahren parallel zur Kündigung ordnungsgemäß betreibt, Rückfragen der Behörden zum Nutzungskonzept zeitnah sowie vollständig beantwortet (kooperatives Verhalten) und das zuständige Amt die Genehmigung in Aussicht stellt.