BFH I R 54/20
Steuerermäßigung nach § 35 Abs. 2 S. 2 EStG gilt auch für persönlich haftende Gesellschafter einer KGaA

14.02.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BFH
24.01.2024
I R 54/20
DStR 2024, 988

Leitsatz | BFH I R 54/20

1. Für die Steuerermäßigung bei Einkünften aus Gewerbebetrieb (§ 35 des Einkommensteuergesetzes – EStG –) ist bei Mitunternehmerschaften im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG oder bei KGaA im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG der Betrag des Gewerbesteuermessbetrages, die tatsächlich zu zahlende Gewerbesteuer und der auf die einzelnen Mitunternehmer oder auf die persönlich haftenden Gesellschafter (phG) entfallende Anteil gesondert und einheitlich festzustellen (§ 35 Abs. 2 Satz 1 EStG). Auch wenn der dazu in § 35 Abs. 2 Satz 2 EStG für den Anteil am Gewerbesteuermessbetrag angeführte Aufteilungsmaßstab des "allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssels" nach dem Gesetzeswortlaut nur auf "Mitunternehmer" bezogen wird, gilt er auch für die phG einer KGaA.

2. Bei einer rechtsformspezifischen Auslegung dieses Begriffs ist der bei der körperschaftsteuerrechtlichen Ermittlung des Einkommens der KGaA abziehbare "Teil des Gewinns", der an phG "als Vergütung (Tantieme) für die Geschäftsführung verteilt wird" (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes) und der zu den gewerblichen Einkünften der phG (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Alternative 2 EStG) führt, Gegenstand dieses Aufteilungsmaßstabs.

Sachverhalt | BFH I R 54/20

In den Streitjahren 2012 und 2013 waren an der Klägerin, eine KGaA, mehrere persönlich haftende Gesellschafter beteiligt: der Beigeladene zu 1., die X-GmbH & Co. KG (Beigeladene zu 2.) und die Y-GmbH. Die letzteren beiden Gesellschaften erhielten jährliche gewinnunabhängige Vergütungen. Der Beigeladene zu 1. erhielt in den Jahren 2012 und 2013 sowohl gewinnabhängige als auch gewinnunabhängige Vergütungen.

In den Erklärungen zur Feststellung des anteiligen Gewerbesteuermessbetrages und der zu zahlenden Gewerbesteuer für die Streitjahre teilte die Klägerin die anteilig auf die Beigeladenen zu 1. und zu 2. entfallenden Feststellungsgrundlagen unter Einbeziehung ihrer Vergütungen in den Verteilungsschlüssel auf. Die GmbH, die aufgrund ihrer Rechtsform keine Steuerermäßigung gemäß § 35 EStG erhielt, berücksichtigte sie nicht.

Das Finanzamt (FA) erließ am 22.10.2014 Bescheide, die den Gewerbesteuermessbetrag der Klägerin und die Anteile der Beigeladenen für die Streitjahre feststellten. Nach einer Außenprüfung änderte das FA die Gewerbesteuermessbescheide im August 2016 und vertrat die Auffassung, dass für die Verteilung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 35 Abs. 2 EStG der allgemeine Gewinnverteilungsschlüssel maßgeblich sei. Vorabgewinne sowie gewinnabhängige und gewinnunabhängige Sondervergütungen seien dabei nicht zu berücksichtigen. 
Nach erfolglosen Einsprüchen erhob die Klägerin Klage vor dem FG Münster. Während des Verfahrens erließ das FA am 5.10.2017 einen Änderungsbescheid für 2012 über den Gewerbesteuermessbetrag. Zudem erließ das FA in der mündlichen Verhandlung vor dem FG einen geänderten Bescheid über die Feststellung der Einkommensbesteuerungsgrundlagen 2013, was zur Änderung des Gewerbesteuermessbetrages und der zu zahlenden Gewerbesteuer führte. Das FG wies die Klage ab.

Die Klägerin legte hiergegen Revision ein.
 

Entscheidung | BFH I R 54/20

Die Revision ist (überwiegend) begründet.

Gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 EStG ermäßige sich unter bestimmten Voraussetzungen die tarifliche Einkommensteuer, soweit sie anteilig auf im zu versteuernden Einkommen enthaltene gewerbliche Einkünfte entfällt. Dabei sei nach § 35 Abs. 2 S. 1 EStG bei Mitunternehmerschaften im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG oder bei KGaA im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG der Betrag des Gewerbesteuermessbetrages, die tatsächlich zu zahlende Gewerbesteuer und der auf die einzelnen Mitunternehmer oder auf die phG entfallende Anteil gesondert und einheitlich festzustellen. § 35 Abs. 2 S. 2 EStG bestimme, dass sich der Anteil eines Mitunternehmers am Gewerbesteuermessbetrag nach seinem Anteil am Gewinn der Mitunternehmerschaft nach Maßgabe des allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssels richtet; Vorabgewinnanteile seien nicht zu berücksichtigen.

Streitig sei nun, ob die Vorgaben des § 35 Abs. 2 S. 2 EStG unmittelbar oder zumindest rechtsanalog auf einen phG einer KGaA anzuwenden sind und die Berücksichtigung gewinnabhängiger Tätigkeitsvergütungen ausschließen. Der BGH geht davon aus, dass für die in § 35 Abs. 2 S. 1 EStG angeordnete „Anteilsfeststellung“ für den Anwendungsbereich der phG einer KGaA der in § 35 Abs. 2 S. 2 EStG angeführte Aufteilungsmaßstab des „allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssels“ (für Mitunternehmer) entsprechend anzuwenden sei. Die Gleichstellung beider Personengruppen – Mitunternehmer und phG – stelle eine gesetzgeberische Grundentscheidung dar, die sich im Gesetz auch an anderer Stelle (§ 35 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Abs. 4 EStG) finde. Dies spreche für einen gesetzgeberisch gewollten Gleichklang für beide Personengruppen auch bezogen auf den Aufteilungsmaßstab. 

Was genau in den „allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel“ einzubeziehen sei, ergebe sich nach Maßgabe des Gesetzestelos rechtsformspezifisch. Zweck des § 35 Abs. 1 S. 1 EStG sei die Ermöglichung einer subjektübergreifenden gewerbesteuerlichen Entlastung eines phG im Zusammenhang mit der Besteuerung seiner Gewinnanteile auf Ebene der KGaA nach § 8 Nr. 4 GewStG. Für phG einer KGaA lasse sich insoweit der geeignete Maßstab aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG und der korrespondierenden Regelung des § 8 Nr. 4 GewStG entnehmen, wo beschrieben wird, welche Elemente der Gesetzgeber bei der KGaA in die Gewinnverteilung einbeziehe. „Teil des Gewinns“ der KGaA (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG) bzw. gewerbesteuerrechtlich hinzuzurechnender „Gewinnanteil“ der phG (§ 8 Nr. 4 GewStG) und somit in den Verteilungsmaßstab einzubeziehen seien – neben der auf eine etwaige Sondereinlage der phG entfallende Gewinnbeteiligung – auch gewinnabhängige Tätigkeitsvergütungen (Tantiemen) der phG für die Geschäftsführung. Gewinnunabhängige Tätigkeitsvergütungen der phG nach § 288 Abs. 3 AktG seien hingegen als „Vorabgewinne“ im Sinne des § 35 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 EStG nicht zu berücksichtigen.
 

Praxishinweis | BFH I R 54/20

Die Kommanditgesellschaft auf Aktien ist eine Kapitalgesellschaft, an der verschiedene Gesellschafter beteiligt sind: die persönlich haftenden Gesellschaftern (phG) und die Kommanditaktionären. Gewinne, die vom Gewerbebetrieb der KGaA erzielt werden und (anteilig) auf die phG entfallen, werden gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG von den Gewinnen der KGaA abgezogen. Diese Gewinnanteile werden den phG im Rahmen einer einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung (§ 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a AO) als Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG) zugerechnet. Zur Vermeidung einer Doppelbelastung mit Einkommensteuer und Gewerbesteuer sieht § 35 EStG eine Einkommensteuerermäßigung bei Einkünften aus Gewerbebetrieb vor.

Der Gewerbesteuermessbetrag wird entsprechend dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel, grundsätzlich nach der handelsrechtlichen Gewinnverteilung zum Stichtag am Ende des Erhebungszeitraums (§ 18 GewStG), aufgeteilt.

Nach den Grundätzen der vorliegenden BFH-Rechtsprechung können vorab vereinbarte Gewinnanteile nur gewinnunabhängige Vergütungen darstellen, während gewinnabhängige Vergütungen als Teil des Gewinns bei der Berechnung des Aufteilungsschlüssels berücksichtigt werden müssen. Gewinnabhängige Vergütungen erhöhen somit den anteiligen Gewerbesteuermessbetrag, was zu einem höheren Anrechnungsbetrag für die Gewerbesteuer führt und sich einkommensteuermindernd auswirkt.

Die Entscheidung des BFH bietet zudem eine zusätzliche Möglichkeit, die Vertragsgestaltung mit den phG zu beeinflussen, um die Einkommensteuerbelastung durch die Wahl der Vergütungsart zu optimieren. Dabei muss jedoch darauf geachtet werden, dass der Gewinnverteilungsschlüssel nicht zu einer verdeckten Gewinnausschüttung führt (§ 8 Abs. 3 S. 2 KStG) und die Einstufung der Gestaltung als missbräuchliche Steuerumgehung ausgeschlossen ist (§ 42 AO).