07.03.2025
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
OLG Karlsruhe
16.04.2024
12 W 27/23
NZG 2024, 1178
Angemessene Abfindung der ausgeschlossenen Minderheitsaktionäre [ PDF ]
Die Beteiligten streiten um eine angemessene Barabfindung gem. § 327a AktG wegen der Übertragung von Anteilen auf die Hauptaktionärin.
Am 17.7.2012 kündigten die M-AG und die D-AG per ad-hoc Mitteilung ihre Absicht an, die beiden Gesellschaften unter Ausschluss der Minderheitsaktionäre der M-AG zu verschmelzen. Unter der aufschiebenden Bedingung, dass im Zuge der Verschmelzung die Minderheitsaktionäre der M-AG ausgeschlossen werden, schlossen sie im Oktober 2012 einen Verschmelzungsvertrag. Sodann wurde beschlossen, dass die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre der M-AG auf die Hauptaktionärin gegen eine Barabfindung iHv. 3,73 € pro Aktie erfolgen soll, was dem durchschnittlichen, volumengewichteten Börsenkurs zum Stichtag 16.7.2012 entsprach. Unter Anwendung des Ertragswertverfahren nach dem IDW-S1-Standard wurde ein Unternehmenswert der M-AG zum Bewertungsstichtag 18.12.2012 von 1,75 € pro Aktie ermittelt.
Die außerordentliche Hauptversammlung der M-AG beschloss am 18.12.2012 im Rahmen der Verschmelzung der M-AG auf die Antragsgegnerin die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre der M-AG auf die Antragsgegnerin als Hauptaktionärin gegen Gewährung einer Barabfindung von 3,73 € je Aktie. Im Spruchverfahren haben die Antragssteller geltend gemacht, dass die von der Antragsgegnerin gewährte Barabfindung zu niedrig sei. Sie argumentieren insbesondere, dass der Börsenwert zum Zeitpunkt der Hauptversammlung als maßgeblicher Stichtag berücksichtigt werden sollte, da in diesem Zeitraum der Branchenindex erheblich gestiegen ist. Sie fordern, dass die Aktionäre an der positiven Branchenentwicklung seit der Bekanntgabe der Verschmelzung teilnehmen, indem eine Hochrechnung erfolgt.
Das OLG Karlsruhe hält die Barabfindung für angemessen, mithin die Beschwerden für unbegründet. Ob die Abfindung angemessen ist, ist eine Rechtsfrage, die vom Gericht zu beantworten ist. Unangemessen ist die angebotene Abfindung, wenn sie den übrigen Aktionären keine volle Entschädigung für den Verlust ihres Aktieneigentums bietet. Die Minderheitsaktionäre eines börsennotierten Unternehmens dürfen nicht weniger erhalten, als sie bei einer freien Desinvestitionsentscheidung zum Zeitpunkt des Squeeze-Out erhalten hätten.
Die angemessene Abfindung ist nach dem Börsenwert der Aktie zu bestimmen, wenn dieser über dem nach dem Ertragswertverfahren ermittelten Schätzwert liegt und keine Marktenge bestand. Der Börsenwert ist aufgrund eines nach Umsatz gewichteten inländischen Durchschnittskurses innerhalb einer dreimonatigen Referenzperiode vor der Bekanntmachung der Maßnahme zu ermitteln. Der maßgebliche Referenzzeitraum für die Ermittlung des Börsenwerts ist nach der Stollwerck-Entscheidung des BGH (BGHZ 186, 229 Rn. 10) grundsätzlich an dem erstmaligen Bekanntwerden von belastbaren Informationen über die beabsichtigte Strukturmaßnahme auszurichten. Dabei ist auf den Tag der ad-hoc Mitteilung (17.07.2012) abzustellen, da erst dann von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Strukturmaßnahme auszugehen ist, welche den Börsenkurs beeinflusst. Bloße Spekulationen über eine etwaige Squeeze-Out Absicht nach Kontrollerlangung genügen nicht, um die Mindestkriterien für das Kursbeeinflussungspotential zu erfüllen.
Der gewichtete durchschnittliche Börsenkurs nach § 5 Abs. 3 WpÜG-AngebotsVO ist nach dem Gesamtumsatz im Berechnungszeitraum dividiert durch die Gesamtzahl der umgesetzten Aktien zu berechnen. Anzeichen für eine Marktenge nach dem Maßstab des § 5 Abs. 4 WpÜG-AngebotsVO, also dass der Kapitalmarkt nicht hinreichend effizient und liquide sei, um den Börsenkurs für maßgeblich zu halten, lagen nicht vor. Hier wurde von der BaFin ein volumengewichteter Durchschnittskurs im maßgeblichen Referenzzeitraum in Höhe von 3,73 € ermittelt, welcher auch den Berechnungen des Sachverständigen entspricht.
Eine Hochrechnung des Börsenkurses auf den maßgeblichen Stichtag, welche dem Schutz der Minderheitsaktionäre dient, dass der mit dem Zeitpunkt der Bekanntgabe ermittelte Börsenwert zugunsten des Hauptaktionärs missbräuchlich fixiert wird, hat hier nicht zu erfolgen. Eine Hochrechnung hat entsprechend der allgemeinen und branchentypischen Wertentwicklung nur zu erfolgen, wenn zwischen der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme als dem Ende des Referenzzeitraums und dem Tag der Hauptversammlung ein längerer Zeitraum verstreicht und die Entwicklung der Börsenkurse eine Anpassung geboten erscheinen lässt. Dies ist nicht geboten, wenn die Maßnahme innerhalb eines üblichen Fahrplans durchgeführt wird, was nach allgemeiner Auffassung jedenfalls ein Zeitraum bis zu sechs Monaten ist (BGHZ 186, 229 Rn. 29; OLG München NZG 2022, 606 Rn. 57). Daran gemessen bedarf es vorliegend keiner Hochrechnung, liegen doch zwischen der Bekanntgabe des Squeeze-Out am 17.07.2012 und der Hauptversammlung am 18.12.2012 nur 5 Monate.
Eine Verzinsung des Börsenwerts bis zum Bewertungsstichtag scheidet aus. § 327b Abs. 2 AktG sieht eine Verzinsungspflicht erst ab der Bekanntmachung der Eintragung des Übertragungsbeschlusses im Handelsregister vor; darüber hinaus sind Zinsen bei der Ermittlung des Verkehrswerts der Aktie nicht zu berücksichtigen. Auch sind die gezahlten Vorerwerbspreise für die Barabfindung gem. § 327b AktG nicht relevant, sondern ist lediglich der Handel der Minderheitsaktionäre im Free Float maßgeblich. Begründet wird dies damit, dass Preise, die für den Kontrollerwerb gezahlt werden, den Grenznutzen wiederspiegeln, welchen der Mehrheitsaktionär aus dem Kontrollerwerb ziehen kann und nicht den „wahren“ Wert.
Erfreulicherweise hat das OLG Karlsruhe in seiner Entscheidung die Grundsätze der Stollwerck Entscheidung des BGH (NZG 2010, 939) für die Bestimmung des Börsenwerts bestätigt, so dass der volumensgewichtete Durchschnittskurs innerhalb der dreimonatigen Referenzzeit vor Ankündigung der Strukturmaßnahme maßgeblich ist. Zudem bestätigte die Entscheidung, dass keine Hochrechnung anhand der branchentypischen Wertentwicklung erfolgen muss, wenn der Squeeze-Out innerhalb von sechs Monaten nach dessen Bekanntgabe auf der Hauptversammlung beschlossen wird.
Hinsichtlich der Frage, ab wann ein Ereignis als relevante Ankündigung gilt, stellt das OLG Karlsruhe darauf ab, ob eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Strukturmaßnahme besteht, was zu einer erheblichen Kursbeeinflussung führen könnte. Der Erwerb des Anteils, welcher einen Squeeze-Out ermöglicht, soll demnach nicht ausreichen. Jedoch stellt dies kein eindeutiges, zwingendes Kriterium dar, so dass Rechtssicherheit geschaffen werden sollte, indem das Übernahmeangebot mit der Maßnahmenankündigung in einem zeitlichen Näheverhältnis stehen sollte.
Vorliegend wurde der Börsenwert als maßgeblich erklärt, überschritt er doch den Schätzwert nach dem Ertragswertverfahren deutlich. Die Minderheitsaktionäre sollten nicht weniger erhalten, als sie bei einer freien Desinvestitionsentscheidung zum Zeitpunkt des Squeeze-Out erlangt hätten. Jedoch bleiben für die Bewertungspraxis offene Fragen zum umgekehrten Fall vom Verhältnis von Börsen- und Ertragswert, also wenn der Ertragswert den Börsenwert überschreitet.