21.07.2010
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
KG Berlin
07.12.2009
23 U 24/09
Eine Unterbilanzhaftung wegen unterlassener Offenlegung der „wirtschaftlichen Neugründung“ einer Vorrats-GmbH kommt nicht in Betracht, wenn das statutarische Stammkapital der Gesellschaft vollständig eingezahlt und bei Aufnahme der Geschäftstätigkeit noch unverbraucht vorhanden ist.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH. Beklagte sind die Gesellschafter der GmbH sowie deren Geschäftsführer. Der Insolvenzverwalter verlangt von den Gesellschaftern und dem Geschäftsführer Zahlung der zur Tabelle angemeldeten Forderungen nach den Grundsätzen der Vorbelastungshaftung (Unterbilanzhaftung) sowie § 9a GmbH. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde. Die GmbH war eine Mantelgesellschaft. Dann wechselte die Firma, Gesellschafter und Geschäftsführer. Das alles wurde ordnungsgemäß zum Handelsregister angemeldet. Jedoch wurde nicht ausdrücklich offengelegt, dass es sich um eine wirtschaftliche Neugründung handelte. Das Stammkapital war zu diesem Zeitpunkt uneingeschränkt vorhanden.
Das KG Berlin hatte im Kern die Frage zu entscheiden, ob für den Fall der Aktivierung einer Vorrats-/Mantel-GmbH die Grundsätze der Unterbilanzhaftung auch dann Anwendung finden, wenn die Offenlegung der „Neugründung“ und Versicherung nach § 8 II GmbHG zwar unterblieben ist, das Stammkapital im Zeitpunkt der Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit aber unstreitig noch vollständig vorhanden war. Das KG Berlin hat diese Frage im Ergebnis verneint. Weder komme eine Haftung nach § 9a GmbHG noch nach den Grundsätzen der Vorbelastungshaftung (Unterbilanzhaftung) in Betracht. Eine Haftung als Geschäftsführer entsprechend § 9a GmbHG komme nicht in Betracht, weil es keine Differenz zwischen dem tatsächlichen Zustand und dem Zustand gibt, wie er bei ordnungsgemäßer Anmeldung bestünde. Denn der Anspruch nach § 9a I GmbHG richte sich nur auf Herstellung des Zustandes, der bestünde, wenn die unterbliebene Offenlegung ordnungsgemäß und richtig abgegeben worden wäre. Richtigerweise hätte dann der Geschäftsführer wahrheitsgemäß versichern müssen, dass das Stammkapital eingezahlt und durch keinerlei Auszahlungen oder Passiva gemindert war. Die Grundsätze des BGH zur Unterbilanzhaftung seien nach Auffassung des KG dann nicht anwendbar, wenn das satzungsmäßige Stammkapital im Moment der wirtschaftlichen Neugründung vollständig vorhanden ist. Das KG begründet seine Entscheidung mit verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Anwendung der Grundsätze der Unterbilanzhaftung bei einer wirtschaftlichen Neugründung einer existenten Vorrats-/Mantel-GmbH. Zudem erfordere der Gläubigerschutz in diesem Fall keine zusätzliche Offenlegung.
Das KG grenzt mit seiner Entscheidung die Anwendbarkeit der durch den BGH entwickelten Grundsätze der Vorbelastungshaftung (Unterbilanzhaftung) bei wirtschaftlicher Neugründung auf die Fälle ein, in denen das Stammkapital bei wirtschaftlicher Neugründung nicht mehr vollständig vorhanden ist. Die Ausführungen des KG zur Offenlegungspflicht und damit zur Unterbilanzhaftung bei wirtschaftlicher Neugründung stehen damit im Widerspruch zur bislang herrschenden Rechtsprechung, die bei wirtschaftlicher Neugründung einer bereits existenten Vorrats- oder Mantel-GmbH eine Offenlegung der „wirtschaftlichen Neugründung“ sowie die Versicherung, dass das satzungsmäßige Stammkapital vorhanden ist, verlangt. Es bleibt abzuwarten, ob der BGH der Entscheidung des KG folgt. Bis zu einer klärenden Entscheidung des BGH sollte daher bei einer Verwendung von Vorrats- oder Mantelgesellschaften in jedem Fall, d. h. auch bei Vorhandensein des Stammkapitals, unmittelbar im Anschluss an die Übernahme der Anteile eine Offenlegung gegenüber dem Gericht sowie eine Versicherung nach § 8 II GmbHG analog erfolgen. Unterbleibt die Offenlegung und/oder Versicherung, droht den Gesellschaftern auch bei Vorhandensein des Stammkapitals eine Unterbilanzhaftung.