OLG München 23 AktG 3/13
Keine Zustimmungspflicht des Aktionärs zu einem Kapitalschnitt ohne Sanierungskonzept

09.05.2014

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG München
16.01.2014
23 AktG 3/13
DB 2014, 943

Leitsatz | OLG München 23 AktG 3/13

  1. Ein Aktionär ist aus der gesellschafterlichen Treuepflicht heraus nicht verpflichtet, einem Beschluss über eine Kapitalherabsetzung und anschließende Kapitalerhöhung zuzustimmen oder sich der Stimme zu enthalten, wenn kein Sanierungskonzept vorgelegt wird und eine vergleichbare Kapitalherabsetzung und -erhöhung bereits vor drei Jahren ohne nachhaltigen Sanierungserfolg durchgeführt wurde.
  2. Werden in einem derartigen Fall gezielt Nein-Stimmen als ungültig gewertet, um die erforderliche qualifizierte Mehrheit für die vom Vorstand gewünschte Kapitalherabsetzung zu erreichen, liegt ein besonders schwerer Rechtsverstoß i.S. des § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG vor.

Sachverhalt | OLG München 23 AktG 3/13

In der Hauptversammlung der Antragstellerin am 30.08.2013 wurde die Kapitalherabsetzung durch Einziehung sowie die anschließende ordentliche Kapitalherabsetzung des Grundkapitals der Gesellschaft zur Abstimmung gestellt. In der Abstimmung wurden jeweils 1.399.422 Ja- und 995.627 Nein-Stimmen abgegeben, wobei der Versammlungsleiter 987.116 Nein-Stimmen als treuwidrig abgegeben und mithin ungültig wertete. So ergab sich ein Abstimmungsergebnis von 1.399.442 Ja- und 8.511 Nein-Stimmen, womit die Beschlüsse als mit der erforderlichen Mehrheit angenommen festgestellt wurden.

In einem weiteren Beschlussvorschlag wurde eine Kapitalerhöhung des herabgesetzten Grundkapitals zur Abstimmung gestellt. Der Versammlungsleiter stellte die Annahme des Beschlussvorschlags durch die Hauptversammlung fest.

Mit Anfechtungsklagen vom 26.09.2013, eingegangen beim Landgericht München I am selben Tag, beantragten die Antragsgegner die besagten Beschlüsse für nichtig zu erklären. Die Antragstellerin behauptet, sie müsse ohne sofortiges Wirksamwerden der beschlossenen Kapitalmaßnahmen spätestens Ende Februar bzw. Ende März 2014 Insolvenzantrag wegen Zahlungsunfähigkeit stellen. Ein ausreichendes Sanierungskonzept liege vor. Daher hätten nach Ansicht der Antragstellerin die Antragsgegner aufgrund ihrer gesellschafterlichen Treuepflicht sich der Stimme zumindest enthalten müssen.

Die Antragstellerin begehrt im Freigabeverfahren nach § 246 a AktG die Feststellung, dass die Erhebung von Anfechtungsklagen durch die Antragsgegner der Handelsregistereintragung dreier Hauptversammlungsbeschlüsse zur Kapitalherabsetzung und -erhöhung nicht entgegenstehen.

Entscheidung | OLG München 23 AktG 3/13

In seinem Beschluss erklärte das OLG den Freigabeantrag mangels Freigabegrund nach § 246 a Abs. 2 AktG für unbegründet:

Eine Freigabe nach § 246 a Abs. 2 Nr. 1 AktG kommt gemäß den Ausführungen des Gerichts nicht in Betracht, da die Anfechtungsklage der Antragsgegner weder offensichtlich unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist. Als durchgreifender Anfechtungsgrund genügt hier die fehlende erforderliche Mehrheit hinsichtlich der Beschlussfassung zur Kapitalherabsetzung. Die nach § 222 Abs. 1 Satz 1 AktG nötige Dreiviertelmehrheit wurde nicht erreicht, da die 987.116 Nein-Stimmen nicht als treuwidrig und nicht abgegeben gewertet werden durften.

Eine Pflicht zur Stimmenthaltung lässt vorliegend auch nicht aus der gesellschafterlichen Treuepflicht herleiten, da die Antragstellerin weder hinreichend dargetan noch glaubhaft gemacht hat, dass es ein Sanierungskonzept gab, das die Verfolgung des Gesellschaftszwecks nachhaltig sichergestellt hätte und den Aktionären vorgestellt worden wäre. Ein reiner Kapitalschnitt stellt nach Auffassung des OLG kein ausreichendes Sanierungskonzept dar. Eine Pflicht der Aktionäre bei der Hauptversammlung den Kapitalschnitt nicht zu verhindern, lässt sich aus dem Businessplan nicht ableiten.

Die Voraussetzungen für eine Freigabe nach § 246 a Abs. 2 Nr. 3 AktG liegen, so das Gericht, ebenfalls nicht vor:

Im vorliegenden Fall ist nicht davon auszugehen, dass die von der Antragstellerin dargelegten wesentlichen Nachteile für die Gesellschaft die Nachteile für die Antragsgegner überwiegen. Auch wenn zugunsten der Antragstellerin unterstellt wird, dass ihr Ende März 2014 die Insolvenz droht, überwiegt ihr wirtschaftliches Interesse vorliegend nicht die berechtigen Interessen der Antragsgegner zur Vermeidung einer sofortigen Verwässerung ihrer Anteile im Zuge des Kapitalschnitts. Die gilt umso mehr als die Antragstellerin es versäumt hat, am 30.08.2013 zur Hauptversammlung ein Sanierungskonzept vorzulegen, das eine nachhaltige Sanierung bei objektiver Betrachtung erwarten ließe. Hinzu kommt, dass ein bereits 2010 durchgeführter erheblicher Kapitalschnitt nicht zu einer nachhaltigen Verbesserung der wirtschaftlichen Situation führen konnte.

Zudem kommt eine Freigabe nach § 246 a Abs. 2 Nr. 3 AktG auch deshalb nicht in Betracht, da ein besonders schwerer Rechtsverstoß vorliegt. Der Ausschluss von Aktionären von Hauptversammlung und Stimmrecht stellt eine massive Verletzung elementarer Aktionärsrechte dar, die auch durch Schadensersatz nicht angemessen kompensiert werden kann. Durch die Umwertung der Nein-Stimmen als ungültige Stimmabgaben wurde das qualifizierte Mehrheitserfordernis ausgehebelt und die erforderliche Mehrheit für die vom Vorstand gewünschte Kapitalherabsetzung herbeigeführt. Darin liegt ein besonders schwerer Rechtsverstoß i.S. des § 246 a Abs. 2 Nr. 3 AktG.

Praxishinweis | OLG München 23 AktG 3/13