BFH IX R 5/24
Keine Steuerpflicht bei Ablösung eines Nießbrauchs ohne wirtschaftliches Eigentum des Berechtigten

23.04.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BFH
20.09.2024
IX R 5/24
GmbHR 2025, 147

Leitsatz | BFH IX R 5/24

  1. Ob das wirtschaftliche Eigentum an GmbH-Anteilen dem Nießbrauchsberechtigten zuzurechnen ist, ist Gegenstand der tatrichterlichen Würdigung durch das Finanzgericht und daher wegen § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend.
  2. Ist der Vorbehaltsnießbraucher nicht wirtschaftlicher Eigentümer der GmbH-Anteile, ist die Ablösung des Nießbrauchs ein für ihn nicht steuerbarer Vorgang.
     

Sachverhalt | BFH IX R 5/24

Die Klägerin (Kl.) übertrug ihre Anteile an der Z-GmbH im Jahr 2012 an ihren Sohn (S) im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge. Der Übergang erfolgte unter Vorbehalt eines Nießbrauchs, der insbesondere das Gewinnbezugsrecht umfasste. Bei der Veräußerung der Anteile im Jahr 2018 vereinbarten die Kl. und S die Aufhebung des Nießbrauchs gegen Zahlung eines Ablösebetrags. Das Finanzamt behandelte den Ablösebetrag im Einkommensteuerbescheid der Kl. für 2018 als Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 17 in Verbindung mit § 24 EStG. Der Einspruch der Kl. gegen diese Entscheidung blieb erfolglos.

Im finanzgerichtlichen Verfahren argumentierte die Kl., dass die Zahlung des Ablösebetrags eine nicht steuerbare Umschichtung im privaten Bereich darstelle. Diese Argumentation war jedoch zunächst erfolglos. Das Finanzgericht (FG) stellte jedoch fest, dass S bereits im Jahr 2012 als wirtschaftlicher Eigentümer der GmbH-Anteile anzusehen war. In Übereinstimmung mit dieser Feststellung gab das Gericht dem hilfsweisen Antrag der Kl. statt, der Ablösebetrag bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen.

Entscheidung | BFH IX R 5/24

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat das Urteil des FG aufgehoben und der Klage stattgegeben. Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Frage, ob die Ablösung eines Nießbrauchsrechts an GmbH-Anteilen einen steuerpflichtigen Vorgang darstellt. Der BFH verneinte dies mit Verweis darauf, dass eine solche Ablösung nur dann steuerlich erfasst werden kann, wenn zuvor tatsächlich wirtschaftliches Eigentum beim Nießbraucher bestand.

Im konkreten Fall hatte das FG festgestellt, dass das wirtschaftliche Eigentum bereits im Jahr 2012 auf den S übergegangen war, der zugleich zivilrechtlicher Eigentümer der Anteile wurde. Diese tatrichterliche Feststellung ist gemäß § 118 Abs. 2 FGO für das Revisionsgericht bindend. Die Kl. war somit weder zivilrechtlich noch wirtschaftlich Eigentümerin der Anteile, sodass die Ablösesumme nicht als steuerbare Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 a EStG zu qualifizieren ist. Zwar regelt diese Vorschrift, dass Entschädigungen derjenigen Einkunftsart zugeordnet werden, an deren Stelle sie treten, jedoch fehlte es hier an einer vorherigen einkommensteuerlich relevanten Einkunftserzielung durch die Kl.

Darüber hinaus betont der BFH, dass die Ablösesumme auch nicht den Einkünften aus Gewerbebetrieb (§ 17 EStG) zugeordnet werden kann, sondern allenfalls unter die Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) fällt. Allerdings konnte die Kl. diese Einkünfte nicht mehr realisieren, da sie infolge der vorweggenommenen Erbfolge bereits seit 2012 weder Anteilseignerin war, noch als Nießbraucherin gemäß § 20 Abs. 5 Satz 3 EStG einer solchen gleichgestellt werden konnte. Entscheidend hierfür war, dass ihr nicht mehr die wesentlichen vermögens- und mitgliedschaftsrechtlichen Befugnisse zustanden, die für das wirtschaftliche Eigentum erforderlich sind.
Der BFH stellt damit klar, dass das bloße Bestehen eines Nießbrauchsrechts für die steuerliche Zurechnung von Einkünften nicht ausreicht. Vielmehr ist erforderlich, dass der Nießbraucher tatsächlich eine umfassende Verfügungsmacht über die Anteile ausübt. Da dies hier nicht der Fall war, handelt es sich bei der Ablösesumme um eine nicht steuerbare Vermögensumschichtung innerhalb der privaten Sphäre der Kl.

Praxishinweis | BFH IX R 5/24

Die Entscheidung des BFH bringt bedeutende Klarstellungen zur einkommensteuerlichen Behandlung von Nießbrauchsrechten an GmbH-Anteilen mit sich. Zentrale Aussage des Urteils ist, dass die Ablösung eines Nießbrauchs keine steuerbare Entschädigung beim Nießbraucher auslöst, sofern dieser nicht als wirtschaftlicher Eigentümer der Anteile anzusehen ist. Damit wird betont, dass Einkünfte aus Kapitalvermögen ausschließlich dem wirtschaftlichen Eigentümer zuzurechnen sind – also jenem, der tatsächlich die Verfügungsmacht über die Dividenden hat (Burbaum/Uphues, DStRK 2025, 3).

In der steuerlichen Praxis bedeutet dies, dass eine Einkünftezurechnung zum Nießbraucher künftig nur noch in Ausnahmefällen in Betracht kommt. Die bisher verbreitete Praxis der Finanzverwaltung, Dividendenerträge dem Nießbraucher zuzuschlagen, wird damit erheblich eingeschränkt. Ein Umdenken bei der Gestaltung entsprechender Verträge dürfte unumgänglich sein, da bisher oftmals der Nießbraucher als Empfänger der Einkünfte vorgesehen war (Viskorf/Steger, ZEV 2025, 56).
Auch im Zusammenhang mit Entschädigungszahlungen nach § 24 EStG spielt das wirtschaftliche Eigentum eine entscheidende Rolle. Nur wenn der Steuerpflichtige als wirtschaftlicher Eigentümer gilt, ist eine solche Zahlung steuerlich relevant. Diese Abhängigkeit verdeutlicht, wie essenziell die korrekte Zuweisung des wirtschaftlichen Eigentums für die steuerliche Einordnung ist (Viskorf/Steger, ZEV 2025, 56).

Besondere Herausforderungen ergeben sich dabei in Schenkungsfällen. Die Anforderungen an die Anerkennung wirtschaftlichen Eigentums sind hoch und lassen sich nicht immer mit den Gestaltungszielen der Beteiligten in Einklang bringen. Eine denkbare Lösung könnte darin bestehen, die Übertragung durch einen Widerrufsvorbehalt abzusichern, um so die Einflussnahme des Schenkenden und damit das wirtschaftliche Eigentum des Nießbrauchers zu stärken. Dennoch bleibt eine gewisse Unsicherheit, da selbst vertragliche Maßnahmen keine absolute Gewähr für die steuerliche Anerkennung wirtschaftlichen Eigentums bieten (Viskorf/Steger, ZEV 2025, 56).

Ein weiterer Aspekt betrifft die Rolle von Stimmrechtsvollmachten. Der BFH erkennt deren grundsätzliche Relevanz an, sieht sie im konkreten Fall jedoch nicht als ausschlaggebend für die Zuweisung des wirtschaftlichen Eigentums an. Zwar hatte das FG eine umfassende Stimmrechtsvollmacht als ausreichend angesehen, um das wirtschaftliche Eigentum beim Nießbraucher zu verorten, doch der BFH wies diese Ansicht zurück, da die Kl. bereits als wirtschaftliche Eigentümerin der Anteile anzusehen war (BFH v. 29.9.2023 – 7 K 1029/21). Maßgeblich ist demnach nicht allein die formale Übertragung von Rechten, sondern deren tatsächliche Ausgestaltung (Viskorf/Steger, ZEV 2025, 56).

Nach § 20 Abs. 5 S. 3 EStG kann ein Nießbraucher steuerlich dem Anteilseigner nur dann gleichgestellt werden, wenn er nicht lediglich ein auf die Nutzungen beschränktes Recht innehat, sondern auch umfassende Vermögens- und Verwaltungsrechte – etwa das Stimmrecht – übertragen bekommt. Nur unter diesen Bedingungen liegt eine Gleichstellung mit dem wirtschaftlichen Eigentümer im Sinne von § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO vor (Viskorf/Steger, ZEV 2025, 56).

Die Entscheidung des BFH eröffnet jedoch auch neue Gestaltungsmöglichkeiten. Wenn beispielsweise eine Körperschaft sowohl zivilrechtlich als auch wirtschaftlich Eigentümerin von GmbH-Anteilen ist, kann sie Dividendeneinkünfte unter bestimmten Voraussetzungen steuerfrei vereinnahmen. Dies macht entsprechende Gestaltungen zur steueroptimierten Ausschüttung attraktiver. Dabei ist jedoch stets das Risiko verdeckter Gewinnausschüttungen im Blick zu behalten, das bei unangemessenen Konstruktionen entstehen kann (Viskorf/Steger, ZEV 2025, 56).

Abschließend lässt sich feststellen, dass sich die Praxis künftig auf eine deutlich strengere Abgrenzung der Einkünftezurechnung einstellen muss. Eine von den tatsächlichen Eigentumsverhältnissen abweichende Zurechnung sollte nur noch ausnahmsweise erfolgen. Wie sich die Finanzverwaltung zu dieser neuen Rechtsprechung positionieren wird, bleibt abzuwarten – insbesondere hinsichtlich der steuerlichen Behandlung von Ablösezahlungen für Nießbrauchsrechte (Viskorf/Steger, ZEV 2025, 56).

Für die Gestaltung von Nießbrauchsvereinbarungen ergibt sich daraus ein klarer Handlungsbedarf. Soll der Nießbraucher als Empfänger der Einkünfte anerkannt werden, muss ihm ein umfassendes Bündel an Gesellschafterrechten übertragen werden. Dies umfasst neben dem Nutzungsrecht auch zentrale Vermögens- und Verwaltungsbefugnisse wie das Stimmrecht. Ein schuldrechtlicher Vertrag, der dem Nießbraucher zudem Informationsrechte sowie unwiderrufliche Stimmrechts- und Verwaltungsvollmachten einräumt, kann dabei eine wichtige Absicherung bieten. Zusätzlich empfiehlt es sich, vertraglich festzulegen, dass der Gesellschafter seine Stimmrechte nur auf Weisung des Nießbrauchers ausüben darf, um eine rechtssichere Gestaltung zu gewährleisten (Kollrus, GWR 2025, 54).