OLG Hamm 10 U 28/22
Keine objektive Beeinträchtigung des Schlusserben bei Möglichkeit der Anfechtung durch den Erblasser

15.11.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Hamm
09.03.2023
10 U 28/22
ZEV 2024, 105

Leitsatz | OLG Hamm 10 U 28/22

  1. Voraussetzung für einen Anspruch des Erben gem. § 2287 BGB ist, dass dieser durch die unentgeltliche Verfügung objektiv beeinträchtigt worden ist. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn der Erblasser das für ihn bindend gewordene frühere Testament noch hätte gem. § 2079 BGB anfechten können.
  2. Der Erblasser kann daher zum Nachteil des Vertrags- oder Schlusserben noch innerhalb der Anfechtungsfrist des § 2283 Abs. 1 BGB Schenkungen vornehmen, auch wenn das Testament letztlich gar nicht angefochten wird.

Sachverhalt | OLG Hamm 10 U 28/22

Der Kläger ist das einzige Kind des Erblassers. Die Beklagte ist die zweite Ehefrau des Erblassers. Mit seiner ersten Ehefrau - der Mutter der Klägers - errichtete der Erblasser 1997 ein Berliner Testament, indem die beiden (damaligen) Eheleute gegenseitig als Alleinerben und der Kläger als Schlusserbe eingesetzt werden. 2001 verstarb die erste Ehefrau des Erblassers. Im weiteren Verlauf lernte der Erblasser die Beklagte kennen. Der Kontakt zum Kläger brach in der Folgezeit vollständig ab. 2008 heirateten der Erblasser und die Beklagte und erwarben anschließend je zu hälftigem Miteigentum die von ihnen bewohnte Wohnung. 2012 errichtete der Erblasser ein privatschriftliches Testament, indem er die Beklagte zu seiner Alleinerbin einsetzte. 2014 verstarb der Erblasser.

Die Beklagte ging aufgrund des privatschriftlichen Testamentes von ihrer Alleinerbschaft aus und wickelte daher in der Folge des Ablebens des Erblassers die Nachlassangelegenheiten ab. Bis heute bewohnt sie die Eigentumswohnung.

Die Beklagte beantragt 2016 einen Erschein, der sie als Alleinerbin ausweisen soll. Der Antrag wurde unter Verweis auf die bindende Schlusserbeneinsetzung des Klägers im Berliner Testament zurückgewiesen. In der Folge wurde dem Kläger ein Alleinerbschein erteilt.

Daraufhin verlangt der Kläger von der Beklagten anteilige Nutzungsentschädigungen für die von ihr bewohnte Eigentumswohnung. Außerdem verlangt der Kläger Übertragung des Miteigentumsanteils der Beklagten an der Eigentumswohnung. Der Kaufpreis sei seinerzeit allein vom Erblasser bezahlt worden. Im Übrigen verlangt der Kläger Ersatz für eine Zahlung des Erblassers an die Beklagte in Höhe von ca. 15.000 €.

Die Beklagte tritt dem Verlangen des Klägers entgegen. Insbesondere seien die Übertragung des Miteigentumsanteils an der Wohnung und die Zahlung in Höhe von 15.000 € keine den Schlusserben beeinträchtigende Schenkung nach § 2287 BGB. Jedenfalls hätte der Erblasser ein lebzeitiges Interesse gehabt, da die Beklagte insbesondere auch für dessen Pflege aufgekommen ist. Hilfsweise rechne die Beklagte in Höhe von ca. 13.000 € auf - dieser Betrag ergebe sich z.B. aus Beerdigungskosten und Pflichtteilsanspruch.

Das LG sprach dem Kläger einen Anspruch von knapp 1.500 € zu. Dieser ergebe sich maßgeblich aus Ersatz für den (gutachterlich festgestellten) Nutzungswert der Eigentumswohnung durch die Beklagte. Ein Anspruch auf Übertragung des Miteigentumsanteils an der Eigentumswohnung bestehe nicht. Ebenso wenig könne der Kläger Ersatz für die Zahlung in Höhe von 15.000 € verlangen. Der Anspruch des Klägers sei infolge der Hilfsaufrechnung der Beklagten in Höhe von 13.000 € erloschen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers. Dieser verfolgt insbesondere weiter die Übertragung des Miteigentumsanteils an der Eigentumswohnung, sowie Ersatz für die Zahlung in Höhe von 15.000 €.

Entscheidung | OLG Hamm 10 U 28/22

Die Berufung hatte überwiegend keinen Erfolg. Lediglich die zusätzliche Nutzungsentschädigung in der Zeit zwischen erstinstanzlichem Urteil und Berufungsurteil wurde dem Kläger vom OLG zugesprochen.

Dem Kläger steht dagegen kein Anspruch auf die Übertragung des Miteigentumsanteils an der Eigentumswohnung zu. Zwar ist § 2287 BGB analog auch auf bindend gewordene wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament anzuwenden - hier ist die Bindungswirkung mit dem Eintritt des Todes der ersten Ehefrau des Erblassers eingetreten. Jedoch setzt ein Anspruch nach § 2287 BGB eine objektive Beeinträchtigung des Erben durch die unentgeltliche Verfügung voraus. Diese Voraussetzung ist jedoch nicht erfüllt, wenn der Erblasser das bindend gewordene Testament noch hätte anfechten können, denn Schenkungen zum Nachteil des Schlusserben innerhalb der Anfechtungsfrist begründen - auch wenn letztlich nicht angefochten wird - keinen Anspruch aus § 2287 BGB. Hier erfolgte die Zahlung des Erblassers auf die Kaufpreisverpflichtung aus dem Erwerb der Eigentumswohnung lediglich wenige Monate nach der Eheschließung mit der Beklagten. Durch die Eheschließung war der Erblasser berechtigt, gem. § 2079 Abs. 1 BGB wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten anzufechten. Bis zum Ablauf der Jahresfrist des § 2283 Abs. 1 BGB gelten Schenkungen daher nicht als benachteiligend.

Außerdem besteht kein Anspruch auf Erstattung der Zahlung der 15.000 € nach §§ 2287 Abs. 1, 818 Abs. 2 BGB. Dafür fehlt es an der Benachteiligungsabsicht des Erblassers gegenüber dem Kläger. Die Benachteiligungsabsicht ist immer dann abzulehnen, wenn der Erblasser an der Zuwendung ein lebzeitiges Eigeninteresse hat. Dies ist der Fall, wenn die Gründe für die Schenkung ihrer Art nach durch den Vertragserben anzuerkennen und hinzunehmen wären, also billigenswert und gerechtfertigt erscheinen. So ist eine „Korrektur“ des Erbvertrages daher ebenso wenig gerechtfertigt, wie ein bloßer Sinneswandel. Hier jedoch ist mit dem zunehmenden Alter des Erblassers dessen Bedürfnis nach Versorgung und Pflege stetig gewichtiger geworden - durch die Zahlung hat er seine Versorgung für die kommende Zeit sicherstellen wollen. Außerdem gilt die Zahlung als Dank für noch zu leistende Dienste durch die Beklagte. Die Beklagte hat das lebzeitige Eigeninteresse des Erblassers überdies schlüssig dargestellt. Der Erblasser war deutlich älter als die Beklagte und litt an den Folgen einer Pankreatitis und später an Bauchspeichendrüsenkrebs. Der Kontakt zu seinem einzigen Kind war in der Zwischenzeit endgültig abgebrochen, sodass der Erblasser auf die Beklagte angewiesen war. Eine böswillige Absicht des Erblassers, den Kläger zu benachteiligen, vermochte der Kläger nicht zu belegen.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen.

Praxishinweis | OLG Hamm 10 U 28/22

Das OLG Hamm schließt sich in seiner Entscheidung der überwiegenden Auffassung an, dass benachteiligende Schenkungen innerhalb der Anfechtungsfrist nicht von § 2287 BGB geschützt seien. Dabei wird der Anspruch aus § 2287 BGB jedoch ziemlich „zahnlos“, so kann der Schenker schließlich selbst den Anfechtungsgrund des § 2079 Abs. 1 BGB herbeiführen, indem er z.B. erneut heiratet oder adoptiert.

Für die Schlusserben besteht daher eine erhebliche Gefahr, am Ende möglicherweise leer auszugehen, sodass den Kindern trotz möglicher Pflichtteilsstrafklausel mitunter zu raten sein kann, den Pflichtteil nach dem verstorbenen Ehegatten geltend zu machen.