OLG Köln I-18 AktG 1/21, 18 AktG 1/21
Keine Aussetzung des Freigabeverfahrens gegen Bestätigungsbeschluss

21.03.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Köln
20.05.2021
I-18 AktG 1/21, 18 AktG 1/21
AG 2021, 686

Leitsatz | OLG Köln I-18 AktG 1/21, 18 AktG 1/21

  1. Eine Verfahrensaussetzung gemäß § 148 Abs. 1 ZPO ist mit dem Wesen des Freigabeantrags insbesondere dann nicht vereinbar, wenn der nachweislich fehlende Mindestanteilsbesitz eine Freigabeentscheidung ohne inhaltliche Prüfung des Sachvortrags der Minderheitsaktionäre rechtfertigt.
  2. Das Freigabeverfahren ist auch bei Bestätigungsbeschlüssen im Sinne des § 244 AktG statthaft.
  3. Die in § 319 Abs. 6 AktG i.d.F. des ARUG v. 30. Juli 2009 vorgesehene Eingangszuständigkeit des Oberlandesgerichts und die Unanfechtbarkeit der Entscheidung sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
  4. Der Gesichtspunkt der Angemessenheit der Höhe der Barabfindung nach § 327b AktG hat bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Freigabeantrags im Sinne von § 327e Abs. 2 i.V.m. § 319 Abs. 6 AktG außer Betracht zu bleiben.
  5. Die Ermittlung des durch § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG vorgegebenen Mindestquorums stellt auf den anteiligen Nennbetrag am Grundkapital ab.
  6. § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG ist nicht verfassungswidrig.

Sachverhalt | OLG Köln I-18 AktG 1/21, 18 AktG 1/21

Die vormals als „C AG“ firmierende Antragstellerin ist nicht börsenorientiert, ist im Handelsregister eingetragen und hat ihren Sitz in B. Ihr Grundkapital ist auf 14.000 Stückaktien aufgeteilt. 14.335 Aktien erhält die Hauptaktionärin, die restlichen Aktien verteilen sich auf Minderheitsaktionäre, darunter die Antragsgegner, die weder einzeln noch zusammen mindestens 20 Aktien haben. Am 23.11.2001 wurde der zwischen der Antragstellerin als beherrschte Gesellschaft und der Hauptaktionärin geschlossene Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag in das Handelsregister eingetragen. Der Vertrag beinhaltet eine Garantiedividende in Höhe von jährlich 167,76 (netto) pro Aktie für außenstehende Aktionäre der Antragstellerin.

Mit einer Mehrheit an Stimmen hat die Antragstellerin in einer ordentlichen Hauptversammlung am 01.08.2006 einen Übertragungsbeschluss gefasst. Darin sollen die Aktien der Minderheitsaktionäre auf die Hauptaktionärin gegen eine Barabfindung in Höhe von 3.715,48 Euro je auf den Inhaber laufende Stückaktie übertragen werden.

In der Folgezeit wurde auf gerichtlichem Wege mehrmals über die Wirksamkeit des Übertragungsbeschlusses gestritten. Am 18.11.2020 fasst die Antragstellerin dann einen Bestätigungsbeschluss, welcher den Übertragungsbeschluss nach § 244 Satz 1 AktG bestätigte. Auch hiergegen wurde geklagt.

Mit Schriftsatz vom 02.02.2021 leitet die Antragstellerin das vorliegende Freigabeverfahren zur Durchsetzung des Bestätigungsbeschlusses ein. Sie beantragt gemäß §§ 327e Abs. 2, 319 Abs, 6 AktG festzustellen, dass die anhängigen Klagen der Antragsgegner gegen den Bestätigungsbeschluss der Eintragung des Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister nicht entgegenstehen. Die Antragsgegner beantragen den Antrag zurückzuweisen. Unter anderem beantragt die Antragsgegnerin zu 5 das vorliegende Verfahren auszusetzen bis über das Freigabeverfahren des Übertragungsbeschlusses entschieden worden ist.

Entscheidung | OLG Köln I-18 AktG 1/21, 18 AktG 1/21

Der Aussetzungsantrag nach § 148 Abs. 1 ZPO der Antragstellerin zu 5 sei zurückzuweisen. Die Verfahrensaussetzung sei mit dem Wesen des Freigabeantrags, dessen Ziel Beschleunigung ist, nicht vereinbar. Insbesondere ergibt sich die Unvereinbarkeit, wenn der – wie hier – nachweislich fehlende Mindestanteilbesitz eine Freigabeentscheidung ohne inhaltliche Prüfung des Sachvortrags der Minderheitsaktionäre rechtfertige.

Der Freigabeantrag der Antragstellerin sei zulässig und begründet und mithin stattzugeben.

Das Freigabeverfahren sei entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin zu 6 auch bei Bestätigungsbeschlüssen i.S.d. § 244 AktG eröffnet. Der Zulässigkeit stehe auch nicht gemäß § 319 Abs. 6 S. 2 AktG i.V.m. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO die Rechtshängigkeit des Freigabeverfahrens bzgl. des Übertragungsbeschlusses entgegen. Den Verfahren liege wegen verschiedener Lebenssachverhalte schon nicht derselbe Streitgegenstand zugrunde. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei der Umstand, dass § 319 Abs. 6 AktG in der Fassung des ARUG für das vorliegende Freigabeverfahren eine Zuständigkeit des Oberlandesgerichts und die Unanfechtbarkeit der Entscheidung vorsieht.

Auch sei der Vorwurf der Rechtsmissbräuchlichkeit des Freigabeantrags nicht begründet. Die Antragsgegner stützen diesen darauf, dass die Barabfindung auf eine Bewertung des Jahres 2006 abstelle und die Bewertung bei einer Abstellung auf das Jahr 2020 signifikant höher ausfiele. Die Einrede der Rechtsmissbräuchlichkeit der Antragsgegner wird in der Sache auf eine unzulässige Verfolgung von Sondervorteilen der Hauptaktionärin gestützt, welche nach § 243 Abs. 2 AktG einen Anfechtungsgrund begründe. Dies ist allerdings für die Frage der Zulässigkeit des Freigabeverfahrens unbeachtlich. Die Überprüfung der Angemessenheit der Höhe der Barabfindung sei vielmehr gemäß § 327f Satz 2 AktG einem Spruchverfahren vorbehalten. Der Einwand des Rechtsmissbrauchs könne sich nur gegen den Bestätigungsbeschluss, nicht aber isoliert gegen den Freigabeantrag richten.

Der Freigabeantrag sei schon deshalb begründet, weil die Antragsgegner nicht innerhalb der einwöchigen Frist nach Zustellung des Antrags durch Urkunden wirksam nachgewiesen haben, dass sie jeweils Aktien im Nennwert von 1.000 Euro an der Antragstellerin halten. Es stehe vielmehr fest, dass keiner der Minderheitsaktionäre die erforderliche Mindestzahl von Aktien an der Antragstellerin hält, um das gesetzlich vorgeschriebene Mindestquorum erfüllen zu können. Daran ändere auch die Behauptung des Antragsgegners zu 1 nicht, seine Barabfindung belaufe sich auf 74.309,60 Euro und sei damit keine Bagatelle. Das Gesetz stelle für die Ermittlung des Mindestquorums von 1.000 Euro ausschließlich auf den anteiligen Nennbetrag am Grundkapital ab.

Liege wie im vorliegenden Fall einer der in § 319 Abs. 6 S. 3 AktG festgeschriebenen Freigabegründe vor, sei die Freigabe zwingend anzuordnen. Das Gericht hat dabei keinen Ermessensspielraum.

Praxishinweis | OLG Köln I-18 AktG 1/21, 18 AktG 1/21

Trotz der Zulässigkeit und Begründetheit des Freigabeverfahrens ist Aktionären, die sich in einer vergleichbaren Situation wie die Antragsgegner wiederfinden, anzuraten den Übertragungsbeschluss bzw. den Bestätigungsbeschluss an sich gerichtlich anzuzweifeln. Das Freigabeverfahren schließt nämlich bei einer Nichtigkeitserklärung desjenigen Beschlusses, gegen den sich das Freigabeverfahren richtet, etwaige Schadensersatzansprüche, die daraus resultieren, nicht aus. Demnach könnte bei Kenntniserlangung vom Freigabeverfahren die Einreichung einer Nichtigkeitsklage gegen den Beschluss hilfreich sein.