27.10.2017
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
OLG Stuttgart
15.03.2017
14 U 3/14
ZIP 2017, 868
1. Rein kapitalistische Minderheitsbeteiligungen eines Gesellschafter-Geschäftsführers an einer Konkurrenzgesellschaft ohne Einfluss auf deren Geschäftsführung, ohne Tätigkeit im Unternehmen und ohne Möglichkeit, dieses zu beherrschen oder Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen zu nehmen, sind im Regelfall unbedenklich und von der sachlichen Reichweite eines Wettbewerbsverbots des Gesellschafter-Geschäftsführers nicht umfasst.
2. Eine gesellschaftsvertragliche Regelung oder eine Regelung im Anstellungsvertrag, die ein Wettbewerbsverbot des Gesellschafter-Geschäftsführers vorsieht, muss im Lichte von Art. 12 Abs. 1 GG ausgelegt werden; sie erfasst ihrem rechtlich unbedenklichen Sinn und Zweck nach, die Gesellschaft vor der Aushöhlung von innen her zu schützen, im Regelfall nicht den rein kapitalistischen Erwerb einer Minderheitsbeteiligung an einem Konkurrenzunternehmen und ist ggf. entsprechend einschränkend auszulegen.
3. Zu den Anforderungen an die Darlegung eines Schadens, der Wahrscheinlichkeit eines Schadens bzw. gezogenen Vorteilen, soweit Ansprüche auf Schadensersatz, Auskunft, Vorteilsherausgabe sowie ein Eintrittsrecht analog § 113 HGB auf den Verstoß gegen ein gesellschaftsrechtliches Wettbewerbsverbot gestützt werden.
4. Einem Minderheitsgesellschafter stehen eigene Ansprüche aus der Verletzung eines gesell-schaftsvertraglichen Wettbewerbsverbots durch einen Mitgesellschafter nur dann zu, wenn er einen über den durch die Minderung des Gesellschaftsvermögens im Wert seines Geschäftsanteils eingetretenen Reflexschaden hinausgehenden eigenen Schaden erlitten hat.
5. Eine im Gesellschaftsvertrag enthaltene Klausel, wonach eine anlässlich des Ausscheidens eines Gesellschafters zu leistende Abfindung nach dem im sog. "Stuttgarter Verfahren" ermittelten Wert seines Anteils berechnet wird, ist grundsätzlich wirksam und für die Parteien verbindlich.
6. Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Schiedsgutachten zur Ermittlung des Anteilswertes nach dem "Stuttgarter Verfahren" offenbar unrichtig im Sinne von § 319 Abs. 1 S. 1 BGB ist und welche Umstände bei der Bewertung nach dem Stuttgarter Verfahren im Einzelnen zu berücksichtigen sind.
7. Eine gesellschaftsvertragliche Abfindungsregelung, die an eine Anteilsbewertung nach dem Stuttgarter Verfahren anknüpft, kann unanwendbar und der Abfindungsbetrag anzupassen sein, wenn der sich nach dem Stuttgarter Verfahren ergebende Anteilswert vom tatsächlichen Verkehrswert des Anteils erheblich abweicht. Das gilt auch dann, wenn der tatsächliche Verkehrswert deutlich niedriger liegt als der nach Stuttgarter Verfahren ermittelte Anteilswert.
8. Zur Berechnung des tatsächlichen Wertes eines Gesellschaftsanteils auf der Grundlage des Ertragswertverfahrens
Der Beklagte (B) war im Jahr 2006 mit 49 % an der Klägerin zu 1 (K1) beteiligt und deren einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer. Außerdem war zu einem Prozent W und zu 50 % die Klägerin zu 2 (K2) an der K1 beteiligt. K1 ist die deutsche Vertriebsgesellschaft der K2, einem Konzern der insbesondere vollautomatische Packmaschinen herstellt. Zum 31.12.2006 kündigte B wirksam seine Gesellschaftsbeteiligung, die er auf die K1 übertrug, und auch seinen Anstellungsvertrag als Geschäftsführer. Die Klägerinnen machen nun gegen B Unterlassungs-, Auskunfts- und Schadensersatzansprüche geltend, weil er noch im Laufe des Jahres 2006 Gesellschaftsanteile an einer Konkurrenzgesellschaft erwarb. Im Gesellschaftsvertrag der K1 stand folgende Regelung: „Ein Gesellschafter darf, solange er Gesellschafter ist, der Gesellschaft in deren Geschäftszweig weder mittelbar noch unmittelbar, gelegentlich oder gewerbsmäßig Konkurrenz machen, noch sich an einem Konkurrenzunternehmen beteiligen, mit Ausnahme von einem bereits bei Gründung der Gesellschaft von einem Gesellschafter bereits betriebenem Geschäftszweig oder einer bereits gehaltenen Beteiligung.“
B macht widerklagend u.a. seinen Abfindungsanspruch gegenüber der K1 geltend. Dazu stand im Gesellschaftsvertrag folgendes: „Zur Berechnung des Entgelts […] ist auf den für die Bewertung des Geschäftsanteils maßgeblichen Stichtag eine Bilanz aufzustellen. Gleichzeitig ist eine Unternehmensbewertung nach dem Stuttgarter Verfahren durch einen Wirtschaftsprüfer durchzuführen. “ B und K1 hatten sich auf einen Wirtschaftsprüfer geeinigt, der den Wert der Beteiligung des B ausrechnete.
Das Landgericht wies die Klage ab und gab der Widerklage hinsichtlich des Abfindungsanspruchs statt.
Das OLG Stuttgart entschied in den Punkten wie das Landgericht.
Zunächst sei K2 schon nicht aktivlegitimiert. K1 habe allerdings ebenso keinen Anspruch gegen B, da dieser nicht gegen ein Wettbewerbsverbot verstoßen habe. Als Minderheitsgesellschafter und gleichzeitiger Geschäftsführer habe er zwar einem gesetzlichen Wettbewerbsverbot in dem Zeitraum bis zur Beendigung seiner Stellung am 31.12.2006 unterlägen, aber verletzt wurde dieses aufgrund des Anteilserwerbs nicht. Ein Verstoß sei nur gegeben, wenn er eine Mehrheitsbeteiligung einer Konkurrenzgesellschaft halte oder diese anders beherrsche und unternehmerische Entscheidungen beeinflussen könne. Dies sei auch der Fall, wenn er Einfluss auf die Geschäftsführung hätte. Eine Minderheitsbeteiligung (siehe Tenor Ziff. 1) wie vorliegend reiche nicht aus. Die Klägerseite hätte indes darlegen müssen, dass B Einfluss auf das Konkurrenzunternehmen gehabt hat. Ebenso wenig habe er damit vertragliche Regelungen verletzt. Dies ergebe sich aus der einschränkenden Auslegung am Maßstab von Art. 12 Abs. 1 GG, § 138 BGB (siehe Tenor Ziff. 2). Im Übrigen sei der Klägervortrag nicht ausreichend gewesen.
Dafür stehe B der vom Wirtschaftsprüfer ermittelte Abfindungsbetrag zu. Entgegen der Auffassung der K1 ist der Wert nicht unzutreffend ermittelt. Im Gesellschaftsvertrag wurde geregelt, dass sich der Abfindungsbetrag aus dem im „Stuttgarter Verfahren“ ermittelten Wert des Anteils ergebe. Diesen Wert habe der Gutachter in seiner Stellungnahme auch festgestellt. Die gesellschaftsvertragliche Regelung zur Abfindung stelle eine Schiedsklausel dar und das Gutachten des Wirtschaftsprüfers sei damit ein Schiedsgutachten, welches analog der §§ 317 ff. BGB zu überprüfen sei. Nach § 319 Abs. 1 BGB sei ein solches Gutachten verbindlich, mit der Ausnahme es sei offenbar unrichtig. Dies läge nur vor, wenn sich dem sachkundigen und unbefangenen Beobachter offensichtliche Fehler aufdrängen, die das Gesamtergebnis verfälschen. Darlegungs- und beweispflichtig sei die K1. Das zugrunde gelegte „Stuttgarter Verfahren“ sei zwar nicht empfehlenswert, aber von der Vertragsfreiheit gedeckt und deshalb verbindlich. Auch greife das Argument nicht durch, dass die Bewertung zu korrigieren sei, weil das Ergebnis offensichtlich unzutreffend sei. Die von der K1 vorgebrachten Nachteile (Ausscheiden weiterer Mitarbeiter nach B, Entstehung neuer Wettbewerbssituation) seien nicht zu berücksichtigen gewesen, da sie ein typisches unternehmerisches Risiko darstellen und überdies der Sachvortrag der K1 nicht ausreichend war. Zuletzt sei die Abfindungsregelung nicht unanwendbar und anzupassen (wie Tenor Ziff. 7), denn der tatsächliche Anteilswert könnte sogar noch den ermittelten übersteigen.
Das Verfahren ist bereits beim BGH unter dem Aktenzeichen II ZR 136/17 anhängig.
Arens (GWR 2017, 193, 195) stimmt der Entscheidung in dem Punkt zu, dass das „Stuttgarter Verfahren“ in gesellschaftsrechtlichen Regelungen Anwendung finden kann. Das BVerfG habe es nur in steuerlichen Angelegenheiten für verfassungswidrig erklärt. Trotzdem sei dieses Verfahren nicht zu empfehlen, da es die Vermögensverhältnisse nur unzutreffend widergebe. Zudem führe es überwiegend zu einer zu hohen Abfindungsforderung und könne somit problematisch für die Gesellschaft sein. Arens empfiehlt daher alternative Gestaltungsmethoden (Einzelheiten siehe dort).