BGH V ZR 205/22
Heimfall des Erbbaurechts – Verjährungsbeginn bei Pflichtverletzung –

16.09.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
20.10.2023
V ZR 205/22
DNotZ 2024, 180

Leitsatz | BGH V ZR 205/22

  1. Die Zuwiderhandlung gegen die vertraglich vereinbarte Pflicht des Erbbauberechtigten, Gebäude, Einfriedungen, Gärten und sonstige unbebaute Flächen stets in gutem Zustand zu erhalten, ist ein zulässiger Heimfallgrund nach § 2 Nr. 4 ErbbauRG.
  2. Kommt der Erbbauberechtigte der verletzten Pflicht nach, bleibt der infolge der Pflichtverletzung entstandene Heimfallanspruch davon unberührt. Mit dem Ende der Pflichtverletzung beginnt für den Grundstückseigentümer der Lauf der kenntnis- bzw. kenntnisunabhängigen Verjährungsfrist des § 4 ErbbauRG,

Sachverhalt | BGH V ZR 205/22

Mit notariellem Vertrag vom 2. Mai 1996 räumten die Kläger dem Beklagten, ihrem Vater bzw. Schwiegervater, ein Erbbaurecht an ihrem Grundstück für die Dauer von 99 Jahren ein. In Abschnitt II Ziffer 3 des Erbbaurechtsvertrages (nachfolgend ErbbV) verpflichtete der Erbbauberechtigte sich, das Grundstück innerhalb von zwei Jahren mit einem Mietwohngebäude zu bebauen und Gebäude, Einfriedungen und Gärten stets in gutem Zustand zu erhalten. Für den Fall, dass er dem nicht nachkommt, sind die Eigentümer berechtigt, die notwendigen Instandhaltungsarbeiten auf Kosten des Erbbauberechtigten selbst vorzunehmen. Gemäß Abschnitt II Ziffer 6 ErbbV ist der Erbbauberechtigte u.a. dann verpflichtet, das Erbbaurecht auf Verlangen des Eigentümers an diesen zu übertragen (sog. Heimfall), wenn der Erbbauberechtigte den Bestimmungen in Abschnitt II Ziffer 3 zuwiderhandelt. Bei Ausübung des Heimfallanspruchs haben die Eigentümer dem Erbbauberechtigten für die Bauwerke eine Entschädigung zu gewähren. Deren Zahlung hat gemäß Abschnitt II Ziffer 9 ErbbV unverzüglich nach Rückübertragung des Erbbaurechts zu erfolgen. Das Erbbaurecht wurde in das Erbbaugrundbuch eingetragen.

Der Beklagte ließ auf dem Grundstück ein Wohngebäude errichten und vermietete es an die Kläger. In der Folgezeit rügten die Kläger verschiedene Mietmängel und kürzten ab dem Jahr 2005 ihre Mietzahlungen. Der Beklagte erklärte die Kündigung des Mietverhältnisses und nahm die Kläger im Jahr 2008 in zwei getrennten Verfahren auf Räumung und Zahlung rückständiger Mieten in Anspruch. Daraufhin drohten die Kläger im Juli 2008 an, ihren Heimfallanspruch geltend zu machen. Nachdem sie im April 2018 zur Räumung und Zahlung von 51.598,31 € verurteilt worden waren, forderten sie den Beklagten mit Schreiben vom 20. Juli 2018 zur Rückübertragung des Erbbaurechts auf. Im Februar 2019 räumten die Kläger das Grundstück und erfüllten den titulierten Zahlungsanspruch.

Mit der im Jahr 2018 erhobenen Klage verlangen die Kläger von dem Beklagten die Rückübertragung des Erbbaurechts. Der Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung und meint hilfsweise, der Klage könne nur Zug um Zug gegen Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 200.000 € stattgegeben werden. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Oberlandesgericht den Beklagten zur Rückübertragung des Erbbaurechts verurteilt. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision möchte der Beklagte die Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung erreichen. Die Kläger beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidung | BGH V ZR 205/22

Die Revision hat keinen Erfolg; sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.

Zunächst ist festzuhalten, dass der Heimfallanspruch nicht verjährt ist nach § 214 Abs. 1 BGB. In dem Unterlassen von Erhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten liege eine fortdauernde Vertragswidrigkeit. Solange der Verstoß gegen die erbbaurechtliche Instandhaltungspflicht andauere, könne die Verjährung des Heimfallanspruchs nicht eintreten. Der Anspruch auf Zahlung der Heimfallentschädigung sei gemäß Abschnitt II Ziffer 9 ErbbV erst nach Rückübertragung des Erbbaurechts fällig. Die Ersatzvornahme durch den Eigentümer auf Kosten des Erbbauberechtigten gemäß Abschnitt II Ziffer 3 ErbbV lässt dessen Erhaltungspflicht nicht entfallen.

Gemäß § 4 ErbbauRG verjährt der Heimfallanspruch in sechs Monaten von dem Zeitpunkt an, in dem der Grundstückseigentümer von dem Vorhandensein der Voraussetzungen Kenntnis erlangt, ohne Rücksicht auf diese Kenntnis in zwei Jahren von dem Eintreten der Voraussetzungen an. Die Vorschrift regelt Beginn und Dauer der Verjährungsfrist für den Heimfallanspruch abweichend von §§ 196, 200 BGB; im Übrigen gelten die allgemeinen Bestimmungen der §§ 194 ff. BGB (vgl. Grüneberg/Wicke, BGB, 82 Aufl., § 4 ErbbauRG Rn. 1; Winkler/Schlögel, Erbbaurecht, 7. Aufl., § 4 Rn. 126). Während nach §§ 196, 200 BGB die Verjährung mit dem Entstehen des Anspruchs beginnt, wofür in der Regel der Zeitpunkt der Fälligkeit maßgeblich ist (vgl. Senat, Urteil vom 17. Dezember 1999 – V ZR 448/98, NJW-RR 2000, 647, 648 zu § 198 Satz 1 BGB; für gegenseitige Verträge vgl. Senat, Beschluss vom 29. Juni 2023 – V ZR 137/22, juris Rn. 2), stellt § 4 ErbbauRG für den Verjährungsbeginn ausdrücklich nicht auf die Entstehung des Heimfallanspruchs, sondern auf die Kenntnis des Eigentümers von dem Eintritt der Voraussetzungen für den Heimfall (Verjährungsfrist sechs Monate) bzw. unabhängig von der Kenntnis auf den Eintritt dieser Voraussetzungen ab (Verjährungsfrist zwei Jahre). Erlangt der Eigentümer Kenntnis von den Voraussetzungen für den Heimfallanspruch, muss er diesen also innerhalb von sechs Monaten gegenüber dem Erbbauberechtigten geltend machen. Macht der Grundstückseigentümer nach Eintritt eines Heimfallgrundes den Heimfallanspruch geltend, indem er die Übertragung auf sich oder einen Dritten gemäß § 3 ErbbauRG verlangt, wird dadurch – als unmittelbare rechtliche Folge – zwar die Übertragungspflicht des Erbbauberechtigten fällig gestellt (vgl. Senat, Urteil vom 18. Mai 1990 – V ZR 190/89, NJW-RR 1990, 1095, 1096). Der Beginn der Verjährung des § 4 ErbbauRG ist davon aber unabhängig.

Die Voraussetzungen der Verjährung gemäß § 4 ErbbauRG liegen nicht vor. Dabei kommt es nicht darauf an, wann die Kläger erstmals Kenntnis von dem nicht „stets guten Zustand“ der Immobilie erlangt haben. Die Kenntnis der Kläger von der Verletzung der Erhaltungspicht des Beklagten gemäß Abschnitt II Ziffer 3 ErbbV hat den Lauf der Verjährung gemäß § 4 ErbbauRG nicht in Gang gesetzt.

Bei der Verletzung von erbbaurechtsvertraglichen Pflichten ist, wie allgemein bei der Verletzung vertraglicher Pflichten, für die Verjährung danach zu unterscheiden, ob eine abgeschlossene oder fortdauernde Handlung vorliegt. Bei einer abgeschlossenen Verletzungshandlung beginnt die Verjährungsfrist für den Heimfallanspruch mit der Kenntnis des Grundstückseigentümers von dieser Pflichtverletzung bzw. mit dem Eintritt der Voraussetzungen für den Heimfall; der Umstand, dass der Eingriff noch fortbesteht, steht dem Beginn der Verjährung nicht entgegen (vgl. Senat, Urteil vom 28. September 1984 – V ZR 135/83, NJW 1985, 1464, 1465). Beruht die Vertragsverletzung auf wiederholten Handlungen, löst jeder neue Verstoß einen neuen Heimfallanspruch und damit eine neue Verjährungsfrist aus. Handelt es sich dagegen um eine fortdauernde Vertragswidrigkeit, kann die Verjährung des Heimfallanspruchs nicht eintreten, solange der Verstoß andauert.

Das führt allerdings, anders als das Berufungsgericht offenbar meint, nicht zur Unverjährbarkeit des Heimfallanspruchs. Die von ihm herangezogene Rechtsprechung des Senats zu dem Anspruch des Wohnungseigentümers auf ordnungsmäßige Verwaltung gem. § 18 Abs. 2 WEG ist auf den Heimfallanspruch nicht übertragbar. Der Anspruch auf ordnungsmäßige Verwaltung gem. § 18 Abs. 2 WEG betrifft eine in die Zukunft gerichtete Dauerverpflichtung, die gleichsam ständig neu entsteht und deshalb unverjährbar ist (vgl. BGH, Urt. v. 27.04.2012 - V ZR 177/11, NJW-RR 2012, 910 Rz. 10 = MDR 2012, 834 zu § 21 Abs. 4 WEG a.F.; ...). Wird eine im Interesse ordnungsmäßiger Verwaltung gebotene Maßnahme vorgenommen, ist der darauf bezogene Anspruch erfüllt. Anders ist es bei dem Heimfallanspruch als Sekundäranspruch. Kommt der Erbbauberechtigte der verletzten Pflicht nach, bleibt der infolge der Pflichtverletzung entstandene Heimfallanspruch davon unberührt (vgl. BGH, Urt. v. 28.9.1984 - V ZR 135/83, NJW 1985, 1464, 1465 = MDR 1985, 308; ...). Mit dem Ende der Pflichtverletzung beginnt für den Grundstückseigentümer der Lauf der kenntnis- bzw. kenntnisunabhängigen Verjährungsfrist des § 4 ErbbauRG.

Für die Frage, ob eine abgeschlossene oder fortdauernde Vertragspflichtverletzung vorliegt, kommt es auf den Inhalt der vertraglich übernommenen Verpflichtung an. Das Berufungsgericht geht davon aus, dass der Beklagte sich in Abschnitt II Ziffer 3 ErbbV zu einer fortwährenden und gleichbleibenden Erhaltung der Immobilie in gutem Zustand und damit zur Vornahme von Erhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten verpflichtet hat. Der Begriff des „Erhaltens“ eines guten Zustands ist nächstliegend so zu verstehen, dass dauerhaft die Verpflichtung besteht, Maßnahmen zu ergreifen, damit die Immobilie stets in einem guten Zustand ist. Mit dem Eintritt des „nicht mehr“ guten Zustandes ist die Pflichtverletzung nicht abgeschlossen. Deshalb ist der vereinbarte Heimfallgrund der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung, die Immobilie stets in einem guten Zustand zu halten, entgegen der Ansicht der Revision nicht vergleichbar mit dem Heimfallgrund einer rechtswidrigen Baumaßnahme. Während der zuletzt genannte Heimfallgrund nicht an die Pflicht zur Wiederherstellung des vertragsgemäßen Zustands knüpft, so dass die Verjährung mit der Kenntnis von der rechtswidrigen Baumaßnahme beginnt (vgl. Senat, Urteil vom 28. September 1984 – V ZR 135/83, NJW 1985, 1464, 1465), begründet jede Zuwiderhandlung gegen die Erhaltungspflicht wegen der Pflicht zum Tätigwerden den Heimfallanspruch von neuem. Verstößt der Erbbauberechtigte gegen seine im Erbbaurechtsvertrag vereinbarte Pflicht zur Erhaltung des Bauwerks, so beginnt die Verjährung des für diesen Fall vereinbarten Heimfallanspruchs des Eigentümers nicht zu laufen, solange die Pflichtverletzung andauert.

Etwas anderes folgt nicht aus dem Sinn und Zweck der kurzen Verjährungsfrist des § 4 ErbbauRG. Zwar sollen dadurch schnell klare Rechtsverhältnisse geschaffen werden; der Erbbauberechtigte soll innerhalb kurzer Zeit Gewissheit darüber erhalten, ob er das Erbbaurecht zurückübertragen muss und damit das Eigentum an dem Gebäude verliert (vgl. Senat, Urteil vom 11. Juli 2003 – V ZR 56/02, NJW-RR 2003, 1524, 1525; BeckOGK ErbbauRG/Toussaint [1.9.2023], § 4 Rn. 4; MüKoBGB/Weiß, 9. Aufl., § 4 ErbbauRG Rn. 1 f.; Staudinger/Rapp, BGB [2021], § 4 ErbbauRG Rn. 1a; Nagel in Nagel, ErbbauRG, § 4 Rn. 1). Verstößt der Erbbauberechtigte aber fortdauernd gegen seine vertraglichen Pflichten, ist sein Vertrauen auf die Untätigkeit des Grundstückseigentümers nicht schutzwürdig. Hinzu kommt, dass mit der kurzen Verjährungsfrist die mit einem größeren Zeitablauf verbundenen Beweisschwierigkeiten vermieden werden sollen (vgl. RGRK/Räfle, BGB, 12. Aufl., § 4 ErbbauVO Rn. 1). Bei einer fortdauernden Vertragswidrigkeit gibt es diese Beweisschwierigkeiten nicht. Insoweit liegt es auch im Interesse des Erbbauberechtigten, dass der Grundstückseigentümer nicht wegen der kurzen Verjährungsfrist zu einem schnellen Handeln gezwungen ist. Denn dadurch hat der Erbbauberechtigte die Möglichkeit, den Verlust des Gebäudes durch die Erfüllung seiner Pflichten abzuwenden. Der Grundstückseigentümer kann abwarten und seinen Heimfallanspruch erst als letzte und schärfste Sanktion geltend machen (vgl. MüKoBGB/Weiß, 9. Aufl., § 2 ErbbauRG Rn. 25).

Die von der Revision in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gezogene Wertungsparallele zu der Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses besteht nicht, weil es dafür an einer Vergleichbarkeit fehlt. Weder begründet der Vertrag über die Bestellung eines Erbbaurechts ein Dauerschuldverhältnis (vgl. Senat, Urteil vom 15. März 2013 – V ZR 201/11, NJW-RR 2013, 1318 Rn. 27 m.w.N.) noch ist der Heimfallanspruch ein Gestaltungsrecht.

Der Hilfsantrag bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Dem steht schon entgegen, dass der Beklagte sich gegenüber dem Erhaltungsanspruch der Kläger aus Abschnitt II Ziffer 3 ErbbV nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen hat, denn der Beklagte hat sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts gegenüber dem Instandhaltungsanspruch der Kläger aus Abschnitt II Ziffer 3 ErbbV nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB wegen ausstehender Mietzahlungen berufen. Ein Zurückbehaltungsrecht kann zwar auch durch schlüssige Handlung ausgeübt geltend gemacht werden; es muss jedoch – schon wegen der Abwendungsbefugnis nach § 273 Abs. 3 BGB – immer erkennbar sein, dass und insbesondere in welcher Höhe ein Zurückbehaltungsrecht ausgeübt wird (vgl. Senat, Urteil vom 27. Oktober 1982 – V ZR 136/81, NJW 1983, 565). Das ist dem Vortrag des Beklagten nicht zu entnehmen.

Praxishinweis | BGH V ZR 205/22

Die Entscheidung des BGH im vorliegenden Fall enthält einige praktische Hinweise inne. Zunächst hält der BGH fest, dass ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB zwar auch durch schlüssige Handlung ausgeübt geltend gemacht werden kann; es muss jedoch – schon wegen der Abwendungsbefugnis nach § 273 Abs. 3 BGB – immer erkennbar sein, dass und insbesondere in welcher Höhe ein Zurückbehaltungsrecht ausgeübt wird. Sodann ist festzuhalten, dass die Ersatzvornahme durch den Eigentümer auf Kosten des Erbbauberechtigten – wie im dargestellten Fall gemäß Abschnitt II Ziffer 3 ErbbV – dessen Erhaltungspflicht nicht entfallen lässt. Zum Knackpunkt der Rechtsprechung, nämlich der Klärung der Frage, ob und ggf. wann die Verjährungsfrist eines Heimfallanspruchs, der für den Fall der Verletzung der Pflicht zur Erhaltung eines Gebäudes vereinbart ist, zu laufen beginne, ist in der Praxis darauf zu verweisen, dass in dem Unterlassen von Erhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten nach dieser Entscheidung eine fortdauernde Vertragswidrigkeit liegt. Der BGH statuiert, dass solange der Verstoß gegen die erbbaurechtliche Instandhaltungspflicht andauere, die Verjährung des Heimfallanspruchs nicht eintreten könne. Der Heimfallanspruch ist im vorliegenden Fall folglich nicht verjährt nach § 214 Abs. 1 BGB.