01.12.2023
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
FG Rheinland-Pfalz
23.11.2023
4 V 1295/23 und 4 V 1429/23
BeckRS 2023, 33308 und 33309
Dem ersten Streitfall (FG Rheinland-Pfalz 4 V 1295/23) lag eine Grundsteuerwertfeststellung für ein Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von 72 Quadratmetern zugrunde. Der Bodenrichtwert für das 351 Quadratmeter große Grundstück war durch den zuständigen Gutachterausschuss mit 125 € pro Quadratmeter ermittelt worden. Das Finanzamt setzte hier den Grundsteuerwert nach dem gesetzlich normierten Mietwert pro Quadratmeter an und stellte den Grundsteuerwert zum 1. Januar 2022 auf 91.600 € fest. Die Antragstellerin merkte daraufhin an, der gesetzlich normierte Mietwert pro Quadratmeter sei überhöht, da das Haus 1880 errichtet wurde, seit Jahrzehnten unrenoviert und noch mit einer Einfachverglasung der Fenster versehen war.
Der zweite Fall (FG Rheinland-Pfalz 4 V 1429/23) betraf eine Grundsteuerwertfeststellung für ein Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von 178 Quadratmetern, das 1977 errichtet wurde. Der Bodenrichtwert für das 1.053 Quadratmeter große Grundstück war mit 300 € pro Quadratmeter ermittelt worden. Nach dem Vortrag der Antragsteller könne dieser Bodenwert nur mit einem Abschlag von 30 % angewandt werden, da das Grundstück nur eingeschränkt nutzbar sei, weil es an einem Hang liege und nur durch einen Privatweg erschlossen sei. Das Finanzamt berücksichtigte den Bodenrichtwert gleichwohl ohne Abschlag und stellte den Grundsteuerwert zum Stichtag auf 318.800 € fest.
Das FG setzt mit seinen Eilbeschlüssen die Vollziehung der ergangenen Grundsteuerwertbescheide aus, weil nach summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der Bescheide und der Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden Bewertungsregeln bestehen.
Zunächst bestünden in einfachrechtlicher Hinsicht Zweifel, dass die entscheidend in die Bewertung eingeflossenen Bodenrichtwerte nicht rechtmäßig zustande gekommen seien. Außerdem sei die gesetzlich geforderte Unabhängigkeit der rheinland-pfälzischen Gutachterausschüsse bedenklich, da nach der entsprechenden Verordnung eine Möglichkeit der Einflussnahme nicht ausgeschlossen werden könne. Zudem bestünden Einwände betreffend der Datengrundlage für die Ermittlung der Bodenrichtwerte. Denn es sei zu befürchten, dass die geführten Kaufpreissammlungen Datenlücken enthielten, die zu erheblichen Verzerrungen bei der Bodenrichtwertermittlung führen könnten. Außerdem ging das FG aus Rechtsgründen davon aus, dass Steuerpflichtige zumindest im Einzelfall die Möglichkeit haben müssten, einen unter dem typisierten Grundsteuerwert liegenden Wert nachweisen zu können. Dies ergebe sich aus der verfassungskonformen Auslegung des Bewertungsrechts, da ansonsten erhebliche Härten entstehen könnten. In den streitigen Fällen könnte wegen der einzelfallbezogenen Besonderheiten ein niedrigerer Wert anzusetzen sein.
Auf Ebene des Verfassungsrechtes käme ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG in Betracht. Demnach sei für das Bewertungsrecht ein Gebot der realitäts- und relationsgerechten Grundstücksbewertung nötig. Allerdings sei bereits nicht eindeutig, was der genaue Belastungsgrund der Grundsteuer sein solle. Zudem zweifelte das FG daran, dass die Regelungen des Bewertungsgesetzes für eine realitäts- und relationsgerechte Grundstücksbewertung geeignet seien. Denn durch die große Zahl gesetzlicher Typisierungen und Pauschalierungen und einer weitgehenden Vernachlässigung von individuellen Umständen der konkreten Grundstücke könnten Wertverzerrungen für den gesamten Kernbereich der Grundsteuerwertermittlung entstehen. Außerdem führe die aktuelle Regelungstechnik dazu, dass die Bewertung von Grundstücken ungleichmäßig sei. Hochwertige Immobilien würden systematisch zu niedrig bewertet, während Immobilien in weniger begehrten Lagen oder mit schlechterem baulichen Zustand und Ausstattung systematisch zu hoch bewertet würden. Dadurch entstünden erhebliche Wertverschiebungen, weshalb nicht mehr von einer gleichheitsgerechten Bewertung ausgegangen werden könne. Außerdem läge ein problematisches Defizit bei der gleichmäßigen Umsetzung vor, wenn es um die Festlegung der Bodenrichtwerte ginge. Dies läge daran, dass die Werte oft einfach durch die Aufteilung von Gesamtkaufpreisen in Gebäude- und Bodenanteile ermittelt werden, ohne dass die Gutachterausschüsse effektive Mittel zur Untersuchung und Überprüfung der Angaben der Grundstückseigentümer zur Verfügung haben.
Schließlich nahm das FG eine umfassende Eröffnung des Finanzrechtswegs an. Hingegen war das Finanzamt bezüglich der Bodenrichtwerte noch von einer Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte ausgegangen.
In den vorliegenden Entscheidungen waren Steuerpflichtige erstmals vor einem Finanzgericht mit ihren Einwänden gegen die Bewertung nach dem sog. Bundesmodell erfolgreich. Es bleibt jedoch zu beachten, dass die Entscheidungen Einzelfälle betreffen und im einstweiligen Rechtsschutz ergingen. Eine Aufhebung der angegriffenen Bescheide oder eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden Bewertungsregeln fand hingegen noch nicht statt. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfragen hat das FG die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen.