09.08.2023
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
LAG Nürnberg
01.09.2022
1 TaBV 27/21
NZG 2023, 288
Durchführung eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens bei der arbeitnehmerlosen SE [ PDF ]
Die Beteiligten streiten um die Durchführung eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens nach dem SEBG. Die Beteiligte zu 3 (KG) beschäftigt 2.000 Arbeitnehmer. Bis Ende 2019 war die „B Verwaltungsgesellschaft mbH“ Komplementärin der KG. Der Antragsteller hatte die Feststellung beantragt, dass bei der B ein Aufsichtsrat zu bilden sei. Dies wurde abgelehnt, weil in der Zwischenzeit die Beteiligte zu 2 (SE) die Komplementärstellung übernommen hatte. Diese wurde am 11.4.2019 als Tochter-SE von der B Gründungs SE gegründet und in das Handelsregister eingetragen und hat selbst keine Arbeitnehmer. Ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren fand demnach nicht statt.
Der Antragsteller hat daraufhin beantragt, die SE dazu zu verpflichten, Vertreter in das besondere Verhandlungsgremium nach dem SEBG zu wählen. Bereits für die Eintragung der SE wäre ein solches Verfahren notwendig gewesen. Zumindest sei ein solches Verfahren nachzuholen, weil die SE durch ihre Komplementärstellung aktiviert wurde. Da die SE herrschend über die KG sei, müsste das Verfahren mit den Arbeitnehmern der KG gebildet werden.
Die Beteiligten zu 2 und 3 haben eingewendet, die Gründung der SE wäre rechtmäßig, da mangels Arbeitnehmer bei Gründung und auch im jetzigen Zeitpunkt kein Beteiligungsverfahren vorgenommen werden könne und müsse. Im Übrigen herrsche die SE nicht über die KG und die Voraussetzungen einer Mitarbeiterzurechnung gem. § 4 MitbestG lägen nicht vor.
Das ArbG Bamberg hat dem Antrag stattgeben. Durch den Eintritt als Komplementärin hätte eine wirtschaftliche Neugründung und strukturelle Aktivierung der SE i.S.d. § 18 Abs. 3 SEBG stattgefunden. Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern“ sei eine teleologische Reduktion vorzunehmen. Der Umstand, dass die SE selbst keine Arbeitnehmer beschäftige, stehe der Durchführung des Beteiligungsverfahrens nicht entgegen, da die KG als beteiligte Gesellschaft angesehen werden müsse. Die Arbeitnehmer der KG hätten daher Anspruch auf Aufforderung zur Benennung der Vertreter in das besondere Verhandlungsgremium.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Dem Antragsteller steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu.
Zunächst können für die SE keine Pflichten aus § 4 SEBG hergeleitet werden, da hierfür die Voraussetzungen des § 5 SEBG vorliegen müssen. Dieser regelt das Beteiligungsverfahren für eine Holding-SE und bestimmt, dass diese selbst oder zusammen mit den an ihrer Gründung beteiligten Gesellschaften, mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigen muss. Ist dies nicht der Fall, ist die Gründung mitbestimmungsfrei. Vorliegend besaß und besitzt weder die Gründerin der SE noch die SE selbst Arbeitnehmer. Die KG war hingegen nicht unmittelbar an der Gründung der SE beteiligt, § 2 II SEBG. Des Weiteren ist die Sekundärgründung beteiligungsfrei, da unter Beachtung des Vorher-Nachher-Prinzips keine Rechte der Arbeitnehmer beeinträchtigt werden.
Auch bei der Eintragung, Anmeldung, Verlegung des Satzungssitzes und der Änderung des Unternehmensgegenstandes war eine Arbeitnehmerbeteiligung nicht erforderlich. Denn die SE hatte bei diesen Handlungen keine Arbeitnehmer und auch keine Tochtergesellschaften, deren Arbeitnehmer ihr zugerechnet werden könnten. Die KG war nicht unmittelbar an der Gründung beteiligt. Damit war die Eintragung nach Art. 12 II SE-VO erfüllt, ein Gesetzesverstoß oder Missbrauch lag nicht vor.
Des Weiteren sind die Vorschriften des SEBG für die wirtschaftliche Neugründung nicht analog anwendbar. Der Beitritt zur KG als Komplementärin reicht nicht für ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren. Die Grundlage der Beteiligungsrichtlinie ist die Sicherung erworbener Rechte der Arbeitnehmer unter Beachtung eines Vorher-Nachher Prinzips. Da die KG bereits mitbestimmungsfrei gem. § 1 MitbestG ist, können auch in der SE als Tochter keine Beteiligungsrechte bestehen. Daher sind aber keine Arbeitnehmerrechte und auch das Missbrauchsverbot gem. Art. 11 2001/86/EG Beteiligungsrichtlinie nicht betroffen.
§ 1 III SEBG führt zu keiner Zurechnung der Arbeitnehmer der KG zur SE. Dies gilt, da die Norm nur eine Auslegungsregel ist, die aber nicht dazu führt, dass die KG beteiligte Gesellschaft i.S.d. § 2 II SEBG wird. Die in § 2 SEBG geregelten Begriffsbestimmungen sind eindeutig. Die Gründungsvorgänge sind abschließend geregelt und daher nicht analogiefähig. §§ 4 ff. SEBG enthalten aber gerade keine Regelung, mit der sich auf die Arbeitnehmer des Erwerbers abstellen ließe.
Durch die „wirtschaftliche Neugründung“ sind keine grenzüberschreitenden Anhörungs- und Unterrichtungsrechte von Arbeitnehmern gefährdet, da die SE und KG in Deutschland sitzen und die Arbeitnehmer der KG in Deutschland arbeiten.
Auch ist kein Beteiligungsverfahren nach § 18 Abs. 3 SEBG erforderlich, da hierfür eine strukturelle Änderung vorliegen müsste, die die Rechte von Arbeitnehmern beeinträchtigt. Zunächst können mangels Beschäftigung von Arbeitnehmern keine Arbeitnehmerrechte beeinträchtigt sein. Zwar sind nach den Regelungen des SEBG Arbeitnehmer betroffener Tochtergesellschaften zuzurechnen. Hierfür verweist das SEBG auf die Beherrschungskriterien in Art. 3 Abs. 2 - 7 RL 94/45/EG und deren Umsetzung in § 6 Abs. 2 - 4 EBRG. Allerdings liegen weder diese Kriterien vor, noch wird sonst gesellschaftsrechtlich eine Einflussmöglichkeit vermittelt. Die SE als Komplementärin hat gerade keinen Einfluss auf die grundlegenden Entscheidungen der KG oder Stimmrechte. Somit ist die KG keine Tochtergesellschaft der SE, weshalb auch keine Arbeitnehmer zugerechnet werden können. Auch ist die Übernahme einer Komplementärstellung keine strukturelle Änderung i.S.d. § 18 Abs. 3 SEBG. Eine solche läge vor, wenn ein Akt Einfluss auf die gesellschaftsrechtliche Struktur der SE hätte. Dies ist vorliegend mit dem Eintritt der SE in die KG nicht der Fall. Das Tatbestandsmerkmal der struktu-rellen Änderung ist auch nicht entbehrlich, nur weil Art. 12 II der SE-VO aufgrund der Arbeitnehmerlosigkeit der SE vor der Eintragung teleologisch reduziert worden ist. Auch besteht keine Eignung, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu vermindern, da die SE bereits vor ihrer Stellung als Komplementärin der KG nicht mitbestimmt war.
Schließlich ist auch eine Zurechnung von Arbeitnehmern der KG über Regelungen des Mitbestimmungsgesetzes nicht veranlasst, da die deutschen Mitbestimmungsgesetze nicht auf die SE anzuwenden sind.
Sowohl die erste als auch die dritte Kammer (LAG Nürnberg vom 01.09.2022 – 3 TaBV 29/21) des LAG Nürnberg hatten sehr ähnlich gelagerte Fälle zu entscheiden.
Streitpunkt war, ob die SE vor oder im Zuge des Eintritts als Komplementärin in die KG ein Beteiligungsverfahren nach dem SEBG durchführen muss, in dem über die Mitbestimmung mit den Arbeitnehmern der KG zu verhandeln ist. Das Gesetz bestimmt hierzu, dass bei der Gründung einer KG ein Beteiligungsverfahren geführt werden, §§ 4 ff SEBG, und bei Handelsregistereintragung abgeschlossen sein muss. Bei der „wirtschaftlichen Neugründung“ der SE kann ein Beteiligungsverfahren nachgeholt werden, entweder nach §§ 4 ff. SEBG analog oder § 18 III SEBG (analog). Es gibt dabei verschiedene Anknüpfungspunkte, an die ein Beteiligungsverfahren anschließen kann: die Situation vor Eintritt der SE als Komplementärin, die Gründung der Komplementär SE, der Erwerb der Vorrats SE durch die KG, die Verlegung des Satzungssitzes oder den Eintritt der SE in die KG als Komplementärin. Allerdings beschäftigte die SE von der Gründung bis zu ihrem Eintritt als Komplementärin in die KG keine Arbeitnehmer. Die Arbeitnehmer der KG konnten ihr mangels Beherrschung der KG nicht zugerechnet werden. Somit war die Durchführung eines Beteiligungsverfahrens mit den Arbeitnehmern in den vorliegenden Konstellationen nicht geboten. (siehe hierzu ausführlich Klein-Wiele/Wurmthaler, NZG 2023, S. 261).
Hierbei handelt es sich um die ersten obergerichtlichen Entscheidungen zu dieser Frage. Diese sind jedoch noch nicht rechtskräftig, das LAG hat jeweils Rechtsbeschwerden zum BAG zugelassen. Zumindest in dem Verfahren der dritten Kammer wurden Rechtsmittel eingelegt, das entsprechende Verfahren wird beim BAG unter dem Az. 7 ABR 3/23 geführt. Die weitere Entwicklung bleibt also abzuwarten.