BGH IX ZR 6/22
Benachteiligungsvorsatz bei inkongruenter (Nach-)Besicherung eines Sanierungsdarlehens im Stadium drohender Zahlungsunfähigkeit

10.02.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
18.01.2024
IX ZR 6/22
ZIP 2024, 1550

Leitsatz | BGH IX ZR 6/22

1. Gewährt der Schuldner dem Anfechtungsgegner im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit eine inkongruente Deckung und hat die Inkongruenz ein erhebliches Gewicht, obliegt dem Anfechtungsgegner der Gegenbeweis, dass die angefochtene Rechtshandlung Bestandteil eines ernsthaften, wenn auch letztlich fehlgeschlagenen Sanierungsversuchs war (Abgrenzung zu BGH, Urteil vom 3. März 2022 - IX ZR 78/20, BGHZ 233, 70 Rn. 74). 

2. Ist der Anfechtungsgegner im Zeitpunkt der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung nur zu einer kürzeren als der von ihm nach dem Sanierungsgutachten geforderten Prolongation der gewährten Darlehen bereit, kann dies Zweifel am Vertrauen auf einen ernsthaften und erfolgversprechenden Sanierungsversuch begründen.
 

Sachverhalt | BGH IX ZR 6/22

Der Kläger ist Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der E-OHG (nachfolgend: Schuldnerin). Die Schuldnerin hatte beträchtliche Verbindlichkeiten bei den fünf beklagten Banken.

Nach dem Auslaufen der Kreditlinie der Schuldnerin bei der Beklagten zu 1 und dem bevorstehenden Ende der Kreditlinie bei der Beklagten zu 4 am 31.05.2005 forderten die Beklagten von der Schuldnerin eine Nachbesicherung. Die Schuldnerin beauftragte daraufhin die Nebenintervenientin mit einem Gutachten zur Prüfung ihrer Sanierungsfähigkeit. Die Beklagten zu 1 und 4 gewährten eine Stundung ihrer Forderungen bis zum 15.08.2005. Die Kreditlaufzeiten der Beklagten zu 2 und 3 endeten am 30.09.2005 und das Darlehen der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 5 war langfristiger Natur.

Die Rechtsanwälte der Schuldnerin teilten dieser mit, dass Nachbesicherungen bestehender Betriebsmittellinien in der Krise rechtlich bedenklich seien und von einem Insolvenzverwalter wahrscheinlich angefochten würden. Die auf Seiten der Bank verhandlungsführende Beklagte zu 1 schickte daraufhin Verträge über Nachbesicherungen an die Schuldnerin. Die Schuldnerin unterzeichnete und übersandte am 24.06.2005 einen Vertrag zur Sicherungsübereignung ihres gesamten Warenlagers. Weitere Verträge über Globalzessionen und Sicherungsübereignungen unterzeichnete sie am 13.07.2005, hielt sie jedoch zunächst zurück.

Das Sanierungsgutachten der Nebenintervenientin bewertete die Schuldnerin unter bestimmten Bedingungen (u.a. Prolongation der Kredite bis Ende 2007) als sanierungsfähig. Daraufhin erklärten sich die Beklagten bereit, die Finanzierung bis zum 31.03.2006 fortzusetzen. Die Schuldnerin übergab am selben Tag die unterschriebenen Nachbesicherungsverträge an die Beklagte zu 1 unter der Bedingung einer Verlängerung bis Ende März 2006. Ferner verpfändete die Schuldnerin Markenrechte an die Beklagten und trat ihnen Ansprüche aus Lizenzverträgen ab.

Der Kläger focht die Nachbesicherungen an. Das LG wies die Klage ab. Die Berufung des Klägers wurde ebenfalls zurückgewiesen. Der Kläger verfolgt seine Anträge nun im Revisionsverfahren weiter.
 

Entscheidung | BGH IX ZR 6/22

Die Revision ist begründet. 

Die Begründung, mit der das Berufungsgericht den Bewies als nicht geführt ansieht, dass die Schuldnerin mit dem für eine Insolvenzanfechtung erforderlichen Benachteiligungsvorsatz i.S.d. § 133 Abs. 1 S. 1 InsO handelte, sei rechtsfehlerhaft. Denn das Berufungsgericht habe zu Unrecht gemeint, dass der Kläger für den Nachweis des Benachteiligungsvorsatzes auch zu beweisen hätte, dass die Schuldnerin die sichere Erwartung ihrer Zahlungsunfähigkeit gehabt haben müsse.
 
Der Nachweis eines Benachteiligungsvorsatzes erfolge i.d.R. durch Indizienbeweise. Solch ein Nachweis gelte als erbracht, wenn die feststehenden Indiztatsachen die volle Überzeugung des Gerichts von der Richtigkeit der zu beweisenden Haupttatsache begründen. Gewährt der Schuldner dem Gläubiger eine inkongruente Deckung, müsse der Tatrichter prüfen, ob die damit üblicherweise einhergehende starke Indizwirkung für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und für die Kenntnis des Gläubigers von diesem Vorsatz, den Schluss auf den Benachteiligungsvorsatz trägt. Dieser Schluss liege regelmäßig nahe, wenn sich der Schuldner zum Zeitpunkt der Handlung in einer finanziell beengten Lage befand. Das Gericht habe demnach zu prüfen, ob Art und Ausmaß der Inkongruenz sowie die finanzielle Situation des Schuldners zum Zeitpunkt der Handlung den Schluss auf einen Benachteiligungsvorsatz zulassen. Ist dies der Fall, habe die beweisbelastete Partei zunächst den Hauptbeweis erbracht. Es liege dann am Gegner, den Gegenbeweis zu erbringen, indem er Indizientatsachen beweist, die geeignet sind, die vorläufige richterliche Überzeugung zu erschüttern.

Insofern unterscheide sich der Fall einer inkongruenten Deckung von dem der Gewährung einer kongruenten Deckung. Hier könne der Benachteiligungsvorsatz des Gläubigers nicht allein daraus abgeleitet werden, dass der Schuldner zum Zeitpunkt der Handlung nicht alle Gläubiger befriedigen konnte. Bei einer kongruenten Deckung komme es vielmehr darauf an, ob der Schuldner zudem erkannt oder billigend in Kauf genommen hat, dass er auch in Zukunft seine übrigen Gläubiger nicht vollständig befriedigen kann. Führt der Schuldner einen Sanierungsversuch durch, müsse der Insolvenzverwalter für die Vorsatzanfechtung einer kongruenten Deckung darlegen und beweisen, dass dieser Sanierungsversuch untauglich war und der Schuldner dies erkannt oder billigend in Kauf genommen hat. Gleiches gelte, wenn der ursprünglich erfolgversprechende Sanierungsversuch gescheitert ist oder seine Fortsetzung nachträglich aussichtslos wurde.

Im vorliegenden Fall sei der Schluss auf einen Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin gerechtfertigt, sodass den Beklagten der Gegenbeweis obliege. Der Schluss auf den Benachteiligungsvorsatz könne ausgeschlossen sein, wenn die konkreten Umstände des Falles darauf hindeuten, dass die angefochtene Rechtshandlung von einem anderen, anfechtungsrechtlich unbedenklichen Motiv bestimmt war. Das Indiz der inkongruenten Deckung sei insbesondere entkräftet, wenn die angefochtene Handlung in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Sanierungsplan steht, der jedenfalls in den Anfängen tatsächlich umgesetzt ist und ernsthafte Aussicht auf Erfolg bietet. Dieser Gegenbeweis sei auf Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts von den Beklagten jedoch nicht geführt worden. Insbesondere böte das Sanierungskonzept der Schuldnerin keine ernsthafte Aussicht auf Erfolg.

Wird die Kenntnis des anderen Teils vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners gem. § 133 Abs. 1 S. 2 InsO vermutet, müsse der Anfechtungsgegner zur Widerlegung der Vermutung konkrete Umstände darlegen und beweisen, die es naheliegend erscheinen lassen, dass ihm im Hinblick auf den Sanierungsversuch der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners unbekannt geblieben war. Der Anfechtungsgegner dürfe grundsätzlich auf schlüssige Angaben des Schuldners oder des beauftragten Sanierungsberaters vertrauen, solange keine (wesentlichen) Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Täuschung vorliegt oder der Sanierungsplan keine Erfolgsaussichten hat. Diesbezüglich stellt der BGH fest, dass Zweifel am Vertrauen in einen ernsthaften und erfolgsversprechenden Sanierungsversuch insbesondere dann aufkommen könnten, wenn der Anfechtungsgegner zum Zeitpunkt der Vornahme der angefochtenen Handlung nur geringere Beiträge als die im Sanierungsgutachten geforderten zu leisten bereit war. Dies sei vorliegend der Fall, da die Beklagten im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlungen nicht zu einer dem Sanierungskonzept entsprechenden Finanzierung durch Prolongation der Kredite bis Ende 2007, sondern nur bis zum 31.03.2006 bereit waren.
 

Praxishinweis | BGH IX ZR 6/22

In der vorliegenden Entscheidung des BGH vom Anfang des Jahres stand vor Allem der Nachweis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Schuldners sowie der Kenntnis des anderen Teils hiervon im Fokus. Die Beweislast für diese beiden Tatsachen liegt grundsätzlich beim anfechtenden Insolvenzverwalter (Ausnahme: Vermutung der Kenntnis gem. § 133 Abs. 1 S. 2 InsO). Da sowohl der Benachteiligungsvorsatz als auch die Kenntnis des Anfechtungsgegners darüber innere Tatsachen sind, die dem Beweis nur eingeschränkt zugänglich sind, können die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung in der Regel nur mittelbar aus objektiven (Hilfs-)Tatsachen (Indizien) abgeleitet werden. Gelingt dieser Nachweis dem Insolvenzverwalter, obliegt es dem Gegner, den Gegenbeweis zu führen, indem er Indiztatsachen beweist, die geeignet sind, die bereits bestehende – vorläufige – richterliche Überzeugung zu erschüttern. 

Des Weiteren stellt der BGH fest, dass die Nachbesicherung im Streitfall nicht der Schenkungsanfechtung unterliegt. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist die nachträgliche Bestellung einer Sicherheit für eine eigene, durch eine entgeltliche Gegenleistung begründete Verbindlichkeit nicht nach § 134 Abs. 1 InsO als unentgeltliche Verfügung anfechtbar.