FG Düsseldorf 3 K 645/21 KV
Beschränkte Erbenhaftung bei der Besteuerung von Aufgabegewinn

12.03.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

FG Düsseldorf
24.11.2023
3 K 645/21 KV
BeckRS 2023, 52400

Leitsatz | FG Düsseldorf 3 K 645/21 KV

1. Ein Aufgabegewinn, der durch den Wegfall der personellen Verflechtung aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GmbH & Co. KG ohne Mitwirkung der Erben ausgelöst wird, ist als Erbfallschuld zu qualifizieren, für welche die Erben nur beschränkt haften.

2. Für die Unterscheidung von nicht haftungsbegünstigter Nachlasserbenschuld und haftungsbegünstigter Erbfallschuld ist entscheidend, ob ein eigenständiges Verhalten des Erbenden vorliegt.

Sachverhalt | FG Düsseldorf 3 K 645/21 KV

Der Kläger und sein Bruder traten nach dem Tod ihres Vaters zu gleichen Teilen dessen Erbschaft an. Der Erblasser war Kommanditist einer GmbH & Co. KG (KG) sowie geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH. Die Gesellschaftsverträge beider Gesellschaften sehen vor, dass die Gesellschaftsanteile im Todesfall an die leiblichen Abkömmlinge übergehen und diese Gesellschafter werden. Nach dem Erbfall beantragen der Kläger und sein Bruder, nunmehr als Geschäftsführer der KG, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass sowie über das Vermögen der KG. Zuvor wurde ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt eingesetzt. Die KG als Betriebsgesellschaft war mit einer weiteren GbR als Besitzgesellschaft in einer Betriebsaufspaltung verbunden. Über die GbR wurden zwei im Miteigentum des Erblassers stehende Grundstücke an die KG vermietet. Der Beklagte stellte fest, dass die Besitzgesellschaft zunächst über den Tod des Erblassers hinaus fortgeführt worden sei. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der KG entfiele jedoch die personelle Verflechtung zwischen Besitz- und Betriebsunternehmen, sodass die Betriebsaufspaltung aufgelöst worden sei. Daraufhin setzte der Beklagte für die GbR den Aufgabegewinn und die damit einhergehende Besteuerung fest.

Der Kläger beantragte die Beschränkung der Erbenhaftung gemäß nach § 45 II AO i.V.m. § 1975 BGB für die auf den Aufgabengewinn entfallenden Steuern. Er ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen einer Nachlassverbindlichkeit vorliegen, da die Steuerverbindlichkeiten unmittelbar mit dem Erbfall zusammenhängen. Der Beklagte lehnte den Antrag ab. Nach seiner Auffassung handelt es sich bei den Steuern um Eigenschulden der Erben und nicht um Nachlassverbindlichkeiten. Diese seien nicht durch den Erbfall oder durch Handlungen des Erblassers entstanden, sondern durch eine aktive Verwaltung der Erben. Hierzu zähle insbesondere die Annahme der Erbschaft, die Stellung der Insolvenzanträge wie auch die Fortführung der Geschäfte. Diese Aktivitäten würden eine persönliche Haftung der Erben mit ihrem eigenen Vermögen begründen. 

Nachdem der Ablehnung der Haftungsbeschränkung, erhob der Kläger Klage, mit der er die Anerkennung der Haftungsbeschränkung für die auf den Veräußerungsgewinn entfallenden Steuerbeträge begehrt.

Entscheidung | FG Düsseldorf 3 K 645/21 KV

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Erbenhaftungsbeschränkung gemäß § 45 II AO i.V.m. § 1975 BGB erstreckt sich auch auf die Steuern, die auf den Aufgabengewinn entfallen. 

[Nach § 45 II AO richtet sich die Haftung der Erben für Nachlassverbindlichkeiten nach den Bestimmungen des Zivilrechts. Grundsätzlich haftet der Erbe gemäß § 1967 I BGB unbeschränkt für Nachlassverbindlichkeiten, es sei denn, es liegt eine Nachlassverwaltung oder ein Nachlassinsolvenzverfahren vor. Steuerschulden, die durch Handlungen eines Nachlassverwalters entstehen, gelten als Nachlassverwaltungsschulden und fallen somit unter die Haftungsbeschränkung. Demgegenüber zählen Verbindlichkeiten, die durch aktive Maßnahmen des Erben bei der Nachlassverwaltung entstehen, zu den sogenannten Nachlasserbenschulden. Für diese haftet der Erbe auch mit seinem Privatvermögen. Entscheidend ist dabei, ob ein eigenes Verhalten des Erben die Grundlage für die Haftung bildet.]

Vorliegend sind die auf den Aufgabegewinn entfallenden Steuern als Nachlassverwaltungsschulden und somit als Erbfallschulden gemäß § 1967 Abs. 2 BGB einzustufen. Der zugrunde liegende Lebenssachverhalt wurde bereits vom Erblasser begründet, ohne dass die Erben daran mitgewirkt haben oder diesen hätten verhindern können. 
Der Erblasser begründete den Lebenssachverhalt. Die stillen Reserven wurden nicht in der kurzen Zeit zwischen dem Erbfall und der Auflösung der Betriebsaufspaltung von den Erben geschaffen. Vielmehr sind sie das Ergebnis der langjährigen geschäftlichen Tätigkeit des Erblassers und wurden von ihm an die Erben weitergegeben. Bei Betriebsaufspaltungen kann es zur Offenlegung der stillen Reserven kommen, wenn die sachliche oder personelle Verflechtung entfällt. Dies kann unter Umständen auch dem Willen der Steuerpflichtigen widersprechen, etwa wenn es zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Betriebsgesellschaft kommt. In diesem Fall übernimmt der Insolvenzverwalter die alleinige Verwaltung und Verfügung über das Vermögen und ist nicht mehr von den Ansichten der Gesellschafter abhängig.
 
Hier resultierte die Betriebsaufgabe nicht aus einem Mitwirken der Erben. Der Aufgabegewinn entstand nicht durch Maßnahmen der Erben zur Nachlassverwaltung, sondern ist vielmehr auf die Besonderheiten der Betriebsaufspaltung zurückzuführen. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, entfiel die personelle Verflechtung. In diesem Zusammenhang ist irrelevant, dass der Kläger und sein Bruder den Insolvenzantrag selbst gestellt haben, da sie diesen nicht in ihrer Erbenstellung vorgenommen haben. Vielmehr waren sie in ihrer Rolle als Geschäftsführer der KG gesetzlich dazu verpflichtet. Dementsprechend erfolgte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausschließlich aufgrund der Entscheidung des Insolvenzgerichts und nicht durch das Handeln der Erben.

Zudem konnte der Kläger die Entstehung des Aufgabegewinns nicht durch eigenständiges rechtsgeschäftliches Handeln abwenden. Aus der zügig nach dem Tod des Erblassers gestellten Insolvenzanmeldung lässt sich schließen, dass die KG bereits vor dem Erbfall in einer großen wirtschaftlichen Notlage war. Darüber hinaus haben der Kläger und sein Bruder keine Anträge beim Handelsregister gestellt, um als Kommanditisten eingetragen zu werden. Sie haben in dem kurzen Zeitraum vor der Insolvenzanmeldung weder aktiv als Gesellschafter agiert noch die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der KG maßgeblich beeinflusst. Die Erben übernahmen hier lediglich die Folgen früherer Entwicklungen, die auf den Entscheidungen des Erblassers zu dessen Lebzeiten zurückgehen. 

Die bloße Untätigkeit nach Annahme der Erbschaft führt nicht automatisch dazu, dass neu entstandene Verbindlichkeiten im Zweifel Nachlasserbenschulden darstellen. Solche Verbindlichkeiten können auch durch andere Umstände wie gesetzliche Regelungen entstehen, sodass der Erbe hierfür nur im Rahmen des Nachlasses haftet. Weder die Erbschaftsannahme, das Verstreichenlassen der Ausschlagungsfrist noch das Stellen eines Antrags auf Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens gelten als schädliches „Handeln“ des Erben. Eine gegenteilige Auffassung würde den Anwendungsbereich der § 45 Abs. 2 AO und § 1975 BGB untergraben. Diese Regelungen setzen für eine wirksame Haftungsbeschränkung gerade die Annahme der Erbschaft sowie die Stellung eines Antrag auf Nachlassinsolvenz oder Nachlassverwaltung voraus. Schließlich ist unerheblich, ob die Nachlassverbindlichkeiten vor oder nach der Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens entstanden sind, solange sie qualitativ als Erblasserschuld bzw. Erbfallschuld zu werten sind.

Praxishinweis | FG Düsseldorf 3 K 645/21 KV

Der Fall ist grundlegend für die Abgrenzung von Nachlassverbindlichkeiten und Eigenschulden eines Erben im Steuerrecht. Für die Haftungsbeschränkung ist entscheidend, ob der zugrunde liegende Sachverhalt vom Erblasser begründet wurde und ohne Mitwirkung des Erben entstanden ist.