24.07.2024
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
BGH
09.02.2024
V ZR 33/23
BeckRS 2024, 2626
Die Kläger sowie die Streithelferin der Beklagten (nachfolgend: „Streithelferin“) sind Mitglieder der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Die Anlage besteht aus einem Gebäudekomplex mit drei Häusern. Jedes Haus umfasst vier Wohnungen, wobei sich jeweils zwei Wohnungen im Erdgeschoss (Hochparterre) befinden. Im hinteren Bereich des Anwesens befindet sich eine Gartenfläche, für die Sondernutzungsrechte gebildet wurden und die mit dem Sondereigentum an den Erdgeschosswohnungen verbunden sind. Gemäß der Teilungserklärung dürfen auf den Gartenflächen Terrassen errichtet werden, die maximal ein Drittel der Fläche des jeweiligen Sondernutzungsrechts umfassen dürfen. Zu jeder Wohnung gehört eine Loggia, die sich auf der Rückseite der Häuser befindet. In den Erdgeschosswohnungen führt von der Loggia eine Treppe mit vier Stufen in den Garten. Vor der Loggia der Erdgeschosswohnungen wurden gepflasterte Terrassen errichtet, mit Ausnahme der Terrassen, die den Eckwohnungen zugewiesen wurden.
Auf Antrag der Streithelferin, welche Eigentümerin einer der Eckwohnungen ist, haben die Wohnungseigentümer in der Eigentümerversammlung vom 14. Oktober 2021 beschlossen, der Streithelferin gemäß § 20 Abs. 2 WEG eine privilegierte Maßnahme zu gestatten. Diese Maßnahme beinhaltet die Errichtung einer Rampe als barrierefreien Zugang sowie die Aufschüttung einer etwa 65 cm hohen Terrasse auf der Rückseite des Gebäudes. Des Weiteren soll das Doppelfenster im Wohnzimmer durch eine verschließbare Tür ersetzt werden; falls erforderlich, soll ein Zugang zur Terrasse aus Bodenplatten erstellt werden.
Die Kläger wenden sich mittels einer Anfechtungsklage (§ 44 Abs. 1 S. 1 WEG) gegen die Gestattung der baulichen Veränderung. Das Amtsgericht erklärte den Gestattungsbeschluss für ungültig. Die daraufhin eingelegte Berufung der Beklagten wurde abgewiesen. Mit der vom LG zugelassenen Revision will die Streithelferin der Wohnungseigentümergemeinschaft die Abweisung der Klage erreichen. Die Kläger beantragen die Zurückweisung der Revision.
Die Revision hat Erfolg.
Zunächst stellt der BGH fest, dass die von der Streithelferin eingelegte Revision zulässig ist.
Gemäß § 66 Abs. 2 ZPO sei die Nebenintervention in jedem Stadium des Rechtsstreits bis zur rechtskräftigen Entscheidung und auch – wie vorliegend – in Verbindung mit der Einlegung eines Rechtsmittels möglich. Ob die Streithelferin ein rechtliches Interesse gemäß § 66 Abs. 1 ZPO an dem Beitritt hat, was von der Revisionserwiderung bezweifelt werde, sei für ihre Rechtsmittelbefugnis nicht relevant. Unabhängig davon ergebe sich das rechtliche Interesse der Streithelferin bereits aus der in § 44 Abs. 3 WEG angeordneten Rechtskrafterstreckung.
Zudem ist die Revision begründet.
Beschließen die Wohnungseigentümer die Durchführung/Gestattung einer baulichen Veränderung, die ein Wohnungseigentümer unter Berufung auf § 20 Abs. 2 S. 1 WEG verlangt, so sei der Beschluss auf die Klage eines anderen Wohnungseigentümers nur dann für ungültig zu erklären, wenn die beschlossene Maßnahme entweder entgegen § 20 Abs. 4 Hs. 1 WEG die Wohnanlage grundlegend umgestaltet, einen Wohnungseigentümer ohne sein Einverständnis gegenüber anderen unbillig benachteiligt oder wenn der Beschluss an einem anderen (allgemeinen) Beschlussmangel leidet. Ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 20 Abs. 2 WEG im Einzelnen vorliegen und ob die bauliche Veränderung angemessen ist, spiele bei einer Anfechtungsklage gegen einen dem Verlangen eines Eigentümers stattgebenden Beschluss keine Rolle. Diese Voraussetzungen seien nur relevant, wenn der Individualanspruch des Wohnungseigentümers abgelehnt wurde und dieser sich mittels Anfechtungsklage gegen den Negativbeschluss wendet und/oder den Anspruch mittels Beschlussersetzungsklage weiterverfolgt.
Ein Beschluss über die Durchführung/Gestattung einer baulichen Veränderung, die mehrheitlich als sinnvoll erachtet wird, könne demnach auch dann getroffen werden, wenn ein entsprechendes Verlangen eines Wohnungseigentümers – zumindest nach der Vorstellung der Mehrheit der Wohnungseigentümer – nicht die Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 20 Abs. 2 S. 1 WEG erfüllt oder das Vorliegen der Voraussetzungen jedenfalls zweifelhaft ist.
Ausgehend vom zutreffenden Prüfungsmaßstab der Anfechtungsklage habe das BerGer. rechtsfehlerhaft angenommen, dass die gestattete bauliche Veränderung zu einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage i.S.v. § 20 Abs. 4 Hs. 1 Alt. 1 WEG führt.
Der BGH stellt klar, dass nicht jede bauliche Veränderung, die nach § 22 Abs. 2 S. 1 WEG aF die Eigenart der Wohnanlage ändere, auch eine grundlegenden Umgestaltung i.S.d. § 20 Abs. 4 Hs. 1 Alt. 1 WEG nF bedeute. Zudem liege eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage bei einer Maßnahme, die der Verwirklichung eines Zwecks gemäß § 20 Abs. 2 S. 1 WEG dient, grundsätzlich nicht vor. Bei der Prüfung, ob eine grundlegende Umgestaltung vorliegt, müsse das gesetzgeberische Ziel der Privilegierung bestimmter Kategorien von Maßnahmen – darunter die Förderung der Barrierefreiheit – im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses berücksichtigt werden. Das Vorliegen besonderer Umstände, die trotz Erfüllung des Zwecks des § 20 Abs. 2 S. Nr. 1 WEG die Annahme einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage rechtfertigen, sei vorliegend nicht nachvollziehbar durch das BerGer. begründet worden und im Übrigen auch nicht ersichtlich.
Die Gestattung der baulichen Veränderung benachteilige zudem keinen Wohnungseigentümer gegenüber anderen unbillig i.S.d. § 20 Abs. 4 Halbs. 1 Alt. 2 WEG. Der Beschluss sei außerdem – bei der gebotenen objektiven Auslegung von Wortlaut und Sinn – hinreichend bestimmt. Mithin weise der auf Eigentümerversammlung vom 14.10.2021 gefasste Beschluss keine Mängel auf und der BGH wies die Klage ab, da es keiner weiteren Feststellungen bedürfe und die Sache zur Entscheidung reif sei (§ 563 Abs. 3 ZPO).
Mit der vorliegenden Entscheidung nimmt der BGH grundlegend Stellung zu den neuen Regelungen für bauliche Veränderungen nach dem Inkrafttreten des WEMoG. Er bestätigt den gesetzgeberisch beabsichtigten Vorrang von baulichen Veränderungen i.S.d. § 20 Abs. 2 WEG – insbesondere den von Maßnahmen zur Barrierereduzierung – und stärkt so die Rechte der Wohnungseigentümer. So stellt der 5. Zivilsenat klar, dass die Rechtmäßigkeit eines Beschlusses bei Anfechtung eines Wohnungseigentümers nicht davon abhängt, ob die Voraussetzungen für eine bauliche Veränderung gem. § 20 Abs. 2 WEG vorliegen und diese angemessen ist. Dies ist nachvollziehbar, denn letztlich kann jede bauliche Veränderung auch nach § 20 Abs. 1 WEG mehrheitlich beschlossen werden. Zudem überwiegt die Schaffung privilegierter Änderungen i.S.d. § 20 Abs. 2 WEG grundsätzlich das Interesse an einer Erhaltung des Charakters der Anlage. Ausgenommen sind demnach lediglich „atypische Fälle“, die einen besonderen Begründungsaufwand erfordern.
Darüber hinaus äußert sich der BGH auch allgemein zur Nebenintervention nach den §§ 66 ff. ZPO. Zu beachten ist, dass die Ausführungen des Senats zum Streitbeitritt auch für die Berufung gelten. Solange nicht die Unzulässigkeit der Intervention rechtskräftig ausgesprochen worden ist, wird der Intervenient als im Hauptverfahren zugezogen betrachtet – und der Intervenient kann wirksam Prozesshandlungen vornehmen, die auch nach Rechtskraft der Zurückweisungsentscheidung ihre Wirksamkeit behalten. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Intervention den Gang des Prozesses nicht verzögert.