BFH II R 3/22 (parallel dazu: II R 36/23)
Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer bei Verlängerung eines Erbbaurechts

05.12.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BFH
10.07.2024
II R 3/22 (parallel dazu: II R 36/23)
DStR 2024, 2371

Leitsatz | BFH II R 3/22 (parallel dazu: II R 36/23)

Wird ein Erbbaurecht vor Ablauf der Laufzeit gegen Vereinbarung eines Erbbauzinses verlängert, ist Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer der kapitalisierte Erbbauzins für den Verlängerungszeitraum. Eine Abzinsung des Kapitalwerts auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung über die Verlängerung des Erbbaurechts ist nicht vorzunehmen.

Sachverhalt | BFH II R 3/22 (parallel dazu: II R 36/23)

Zu Gunsten der Klägerin wurde im Jahr 1989 von der Eigentümerin des Grundstücks ein Teilerbbaurecht an den auf dem Grundstück errichteten Hotelanlagen bestellt. Das Erbbaurecht sollte ursprünglich bis zum 31.12.2070 laufen. Am 13.08.2018 vereinbarten die Vertragsparteien aufgrund der von der Klägerin beabsichtigten Umbau- und Sanierungsarbeiten eine Verlängerung des Erbbaurechts um weitere 44 Jahre bis zum 31.12.2114. In diesem Zusammenhang einigten sich die Vertragsparteien auch auf einen neuen Erbbauzinssatz in Höhe von 3.369.563,09 €, der den bisherigen Erbbauzins ablösen sollte. Darüber hinaus verpflichtete sich die Klägerin, an die Grundstückseigentümerin ein einmaliges Entgelt in Höhe von 10.400.000 € zu zahlen. Diese Zahlung sollte als Gegenleistung für die Löschung einer für sie eingetragenen Grundschuld sowie für die Änderung der Belastungsgrenze des Teilerbbaurechts dienen.

Das Finanzamt setzte daraufhin gegen die Klägerin für die Verlängerung des Erbbaurechts Grunderwerbsteuer in Höhe von 4.864.524 € fest, die es nach einem Einspruch auf 4.042.758 € herabsetzte. In der Einspruchsentscheidung setzte das Finanzamt als Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer einen Betrag von 67.379.310 € an. Dieser Betrag errechnete sich aus dem einmaligen Entgelt in Höhe von 10.400.000 € und einem kapitalisierten Erbbauzins in Höhe von 56.979.310 €. Der kapitalisierte Erbbauzins wiederum ergab sich aus dem jährlichen Erbbauzins von 3.369.563 € kapitalisiert mit dem Vervielfältiger 16,910. Den Vervielfältiger von 16,910 hat das Finanzamt unter Berücksichtigung der Dauer der Laufzeitverlängerung von insgesamt 44 Jahren den Vorschriften des § 13 Abs. 1 BewG i.V.m. Anlage 9a BewG ermittelt.

Im erstinstanzlichen Verfahren hat das Finanzgericht der Klage insoweit stattgegeben, als sich die Klägerin gegen die Einbeziehung der Einmalzahlung in Höhe von 10.400.000 € gewandt hat. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit der Revision zum BFH und beantragte, unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die Grunderwerbsteuer auf einen Betrag von 208.544 € herabzusetzen.
 

Entscheidung | BFH II R 3/22 (parallel dazu: II R 36/23)

Die Revision vor dem BFH blieb ohne Erfolg.

Der Senat stellte zunächst fest, dass auch die Vereinbarung der Parteien aus dem Jahr 2018, mit der sich die Grundstückseigentümerin zur Verlängerung des Erbbaurechts verpflichtete, einen grunderwerbsteuerpflichtigen Vorgang darstellt. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG unterliegt ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Bestellung eines Erbbaurechts begründet, der Grunderwerbsteuer. Hierzu gehört nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs auch die Verpflichtung zur Verlängerung eines Erbbaurechts, da die Herrschaftsmacht aus dem Erbbaurecht für einen weiteren Zeitraum übertragen und damit für diesen Zeitraum erstmals begründet wird (BFH, Urteil vom 18.08.1993, II R 10/90). Auch die Höhe des als Bemessungsgrundlage herangezogenen kapitalisierten Erbbauzinses von insgesamt 56.979.310 € wurde vom BFH nicht beanstandet. Für die Bemessung der Grunderwerbsteuer sei nach § 8 Abs. 1 BewG die Gegenleistung maßgebend. Der Kapitalwert der Gegenleistung sei hier zutreffend auf der Grundlage des § 13 Abs. 1 Satz 1 BewG i.V.m. Anlage 9 a BewG ermittelt worden. § 13 Abs. 1 BewG bestimmt, dass zur Ermittlung des Kapitalwerts wiederkehrender Leistungen der Jahreswert mit einem in Anlage 9a BewG genannten Vervielfältiger zu kapitalisieren ist. Nach dem BFH ist der Anspruch des Erbbauberechtigten auf Zahlung des Erbbauzinses eine wiederkehrende Leistung im Sinne dieser Vorschrift.  Dies gilt nach Auffassung des BFH auch dann, wenn eine Verlängerung des Erbbaurechts Gegenstand des Rechtsgeschäfts ist. In diesem Fall sei der auf die Laufzeit der Verlängerung des Erbbaurechts kapitalisierte Erbbauzins als Wert der Gegenleistung anzusetzen, was die Beklagte hier zutreffend getan habe.

Das BFH folgte insoweit nicht der Rechtsansicht der Klägerin, bei der Ermittlung des kapitalisierten Erbbauzinses sei gemäß § 12 Abs. 3 BewG für den Zeitraum zwischen dem Abschluss der Verlängerungsvereinbarung und dem Beginn der Verlängerung des Erbbaurechts (13.08.2018 – 01.01.2071) abzuzinsen. Nach § 12 Abs. 3 BewG bemisst sich der Wert unverzinslicher Forderungen und Schulden, deren Laufzeit mehr als ein Jahr beträgt und die zu einem bestimmten Zeitpunkt fällig sind, nach dem Betrag, der vom Nennwert der Forderung nach Abzug von Zwischenzinsen unter Berücksichtigung der Zinseszinsen verbleibt. Das Gericht lehnte die Anwendung dieser Regelung auf den vorliegenden Fall mit der Begründung ab, dass die Vorschrift grundsätzlich nur Fälle erfasse, in denen bei einem Grundstückskaufvertrag der vorleistungspflichtige Grundstücksverkäufer seine Verpflichtung aus dem Kaufvertrag zur Übereignung des Grundstücks bereits erfüllt hat und die Vertragsparteien vereinbaren, dass die Kaufpreiszahlung des Käufers zinslos aufgeschoben werden soll. Anders sei der Fall zu beurteilen, dass nicht nur der Kaufpreis, sondern die beiderseitigen Hauptleistungspflichten aus dem Grundstückskaufvertrag aufgeschoben werden. Übertragen auf die streitgegenständliche Konstellation führt der BFH aus, dass mit Beginn des Verlängerungszeitraums das bei grunderwerbsteuerlicher Bewertung erst zu diesem Zeitpunkt entstehende verlängerte Erbbaurecht und die Verpflichtung zur Zahlung des dafür zu entrichtenden Erbbauzinses in einem Gegenseitigkeitsverhältnis (Zug-um-Zug) stehen. Damit sind aber - die Anwendbarkeit des § 12 Abs. 3 BewG ausschließend - beide Hauptleistungspflichten aufgeschoben, wobei unerheblich ist, dass der Austausch der Leistungen erst mehrere Jahre nach Abschluss der Verlängerungsvereinbarung erfolgen soll. Zudem fehlt es Senats an der im Anwendungsbereich des § 12 Abs. 3 BewG erforderlichen Vorleistungspflicht des Grundstückseigentümers. Auch eine Abzinsung nach § 13 Abs. 3 BewG auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Verlängerungsvereinbarung vom 13.08.2018 kommt aus denselben Gründen nicht in Betracht. Zwar kann sich eine Minderung des gemeinen Werts der Nutzungen im Sinne dieser Vorschrift aus einem zeitlichen Aufschub einer Zahlungsverpflichtung ergeben. Ein Aufschub der Verpflichtung zur Zahlung des Erbbaurechtszinsen liegt hier jedoch nicht vor, da auch die Verpflichtung der Grundstückseigentümerin im Rahmen der Verlängerung des Erbbaurechts erst mit Beginn des Verlängerungszeitraums – nämlich ab 01.01.2071 - entsteht, sodass von einem Aufschub nicht die Rede sein kann.
 

Praxishinweis | BFH II R 3/22 (parallel dazu: II R 36/23)

Das Erbbaurecht hat in Zeiten des Wohnraummangels als wohnpolitische Maßnahme zuletzt wieder erheblich an Bedeutung gewonnen, wobei bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit einer solchen Maßnahme stets die grunderwerbsteuerlichen Folgen zu berücksichtigen sind. Der BFH bestätigt in dem Urteil seine bereits 1993 entwickelte und zuletzt in einer Entscheidung aus dem Jahr 2020 (BFH, Beschluss vom 23.04.2020 – II B 80/19) bekräftigte Rechtsauffassung, wonach bei der Ermittlung der grunderwerbsteuerlichen Bemessungsgrundlage im Rahmen der Verlängerung eines Erbbaurechts der auf die Dauer der Verlängerung kapitalisierte Erbbauzins einzubeziehen ist. Da die Rechtsprechung in der Verlängerung des Erbbaurechts einen neuen steuerbaren Vorgang sieht, erscheint die Versagung der Abzinsungsmöglichkeit konsequent, verhindert im Ergebnis aber auch einen weiteren wirtschaftlichen Anreiz für das Erbbaurecht als Alternative zum Eigentumserwerb. Zur Steigerung der Attraktivität dieses Instituts ist allerdings ohnehin der Gesetzgeber - nicht die Gerichte - gefordert.