BGH V ZR 165/22
Liegenschaftsrecht – Verpflichtung zur Übernahme einer deckungsgleichen Baulast bei Bestehen einer Grunddienstbarkeit (Wegerecht)

18.12.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
30.06.2023
V ZR 165/22
RNotZ 2023, 568

Leitsatz | BGH V ZR 165/22

  1. Aus dem als gesetzliche Folge der Bestellung einer Grunddienstbarkeit entstandenen Begleitschuldverhältnis kann sich ergeben, dass der Eigentümer des dienenden Grundstücks auch eine (deckungsgleiche) Baulast übernehmen muss.
  2. Eine solche Verpflichtung setzt unter anderem voraus, dass die Grunddienstbarkeit nach ihrem Inhalt und Umfang die von einer Bebauung herrührenden Nutzungen umfasst, was bei einem uneingeschränkten Geh- und Fahrtrecht regelmäßig anzunehmen ist; es ist nicht erforderlich, dass die Grunddienstbarkeit zu dem Zweck bestellt wurde, die Bebauung des herrschenden Grundstücks zu ermöglichen.

Sachverhalt | BGH V ZR 165/22

Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke. Die Grundstücke der Klägerin verfügen über keinen eigenen Zugang zur öffentlichen Straße. Der Zugang erfolgt über das vordere Flurstück des Beklagten. Dieses ist zugunsten der Grundstücke der Klägerin mit einer Grunddienstbarkeit in Form eines Geh- und Fahrtrechts belastet. Das Flurstück der Klägerin ist mit einem Wohnhaus bebaut und die weiteren Flurstücke sind unbebaut. Die umliegende Bebauung ist durch größere Zwei- und Dreifamilienhäuser geprägt. Die Klägerin plant die Errichtung eines Wohnhauses auf dem bislang unbebauten Flurstück, wobei für dieses kein Bebauungsplan vorliegt. Die beiden Parteien streiten über den Umfang der geplanten Bebauung. Die Klägerin verlangt die Abgabe einer Baulasterklärung zu Gunsten ihrer Grundstücke. 

Entscheidung | BGH V ZR 165/22

Der BGH verneint einen Anspruch der Klägerin auf Abgabe der beantragten Baulasterklärung.

Zwar kann sich eine Pflicht zur Übernahme einer deckungsgleichen Baulast grundsätzlich aus der Bestellung einer Grunddienstbarkeit ergeben. Hierfür muss eine beiderseitige Interessenabwegig den Vorrang des Grunddienstbarkeitsberechtigten ergeben.

Durch die Grunddienstbarkeit wird ein gesetzliches Schuldverhältnis bestimmt, welches die Verpflichtung zur Übernahme einer Baulast regelt. Das gesetzliche Schuldverhältnis umfasst nicht nur die Pflichten des aus der Dienstbarkeit Berechtigten, sondern auch die entsprechenden Pflichten des Eigentümers des belasteten Grundstücks. Eine Abgrenzung der Grunddienstbarkeit und der Rechte und Pflichten aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis beruht auf einer Abwägung der Interessen und dem Grundsatz von Treu und Glauben. Somit besteht der Anspruch auf Einräumung einer Baulast nur dann, wenn die durch die Bebauung hervorgerufene Nutzung von dem Inhalt und Umfang der Grunddienstbarkeit umfasst ist.

Der Inhalt und Umfang einer unbegrenzten Dienstbarkeit ist nicht dauerhaft festgelegt, sondern kann sich mit dem Bedürfnis des herrschenden Grundstücks verändern. Sofern das Wegerecht hingegen für eine bestimmte Nutzungsart des herrschendes Grundstücks vereinbart wurde, ist keine abweichende Nutzung möglich. Solche Beschränkungen bedürfen eindeutige Anhaltspunkte, wobei die Darlegungs- und Beweislast beim Verpflichteten liegt. Bei einem dauerhaft eingeräumten Wegerecht hingegen, lässt sich aus der Eintragung im Grundbuch und der Eintragungsbewilligung ableiten, dass der Umfang der Dienstbarkeit unabhängig von der Nutzungsart und dem Nutzungsumfang des herrschenden Grundstücks ist. Dementsprechend ist die Zuwegung grundsätzlich für jede zulässige Nutzung gesichert. Hierunter fällt auch die bauliche Nutzung. Der Eigentümer des dienenden Grundstücks kann Bedarfssteigerungen nicht schon dann ablehnen, wenn sich die Art der Grundstücksnutzung aufgrund der Bebauung ändert. Vielmehr ist eine willkürliche Benutzungsänderung notwendig. In den Fällen, in denen das herrschende Grundstück bei Bestellung noch unbebaut ist, sind von dem Wegerecht nur solche Nutzungen erfasst, die vorhersehbar sind. Hiervon umfasst sind Grundstücke, die in einem Gebiet liegen, in dem mit einer baulichen Erschließung gerechnet werden muss.

Bei der Beurteilung kommt es nicht auf die Absichten an, die die Beteiligten bei Bestellung des dinglichen Rechts verfolgt haben. Der Begriff des „Zwecks“, der von Senat verwendet worden ist, ist missverständlich. Es kommt allein auf den Inhalt der Grunddienstbarkeit an, wie sie sich aus dem Grundbuch ergibt. Dementsprechend ist es nicht notwendig, dass die Grunddienstbarkeit bestellt wurde, um die Bebauung des herrschenden Grundstücks zu ermöglichen. Die Verpflichtung eine Baulast zu übernehmen, setzt unter anderem voraus, dass die Grunddienstbarkeit in ihrem Inhalt und Umfang die durch eine Bebauung entstehenden Nutzungen einschließt. Dies ist bei einem uneingeschränkten Geh- und Fahrtrecht regelmäßig der Fall.

Bei der Beurteilung kommt es nicht auf die subjektiven Vorstellungen der Beteiligten an. Grundbucheintragungen sind allein anhand nächstliegender objektiver Kriterien auszulegen. Dementsprechend ist eine Einbeziehung des Zwecks, den die Beteiligten bei der Bewilligung der Grunddienstbarkeit verfolgt haben, ausgeschlossen, solange sich dieser nicht aus dem Grundbuch ergibt. Umstände, die außerhalb der Eintragung und Bewilligung liegen sind nur dann für die Ermittlung des Inhalts und Umfangs einer Grunddienstbarkeit von Bedeutung, wenn sie nach den besonderen Umständen des Einzelfalls für jedermann deutlich erkennbar sind. Subjektive Vorstellungen zu dem verfolgten Zweck der Grunddienstbarkeit stellen innere Tatsachen dar und finden keinen Niederschlag in der Eintragung. Die aktuellen Eigentümer sollen sich zudem auf die Grundbucheintragung verlassen können. Aus dieser ergibt sich keine Beschränkung der Nutzung. Da im dinglichen Recht eine Ausweitung der Nutzungen von vornherein angelegt ist, ist eine gesteigerte Nutzung somit vorhersehbar und für den Verpflichteten nicht überraschend. Das ist bei der Interessenabwägung zugunsten des Berechtigten zu beachten. Die Grenze liegt lediglich in der willkürlichen Nutzungsänderung.

Eine restriktive Sichtweise ergibt sich nicht aus dem öffentlich-rechtlichen Charakter der Baulast. Zwar führt die Baulast neben der Grunddienstbarkeit zu einer zusätzlichen Belastung, da sie ein öffentlich-rechtliches Verhältnis zur Bauaufsichtsbehörde begründet und der privaten Dispositionsbefugnis entzogen ist. Eine Auswirkung dieser Belastung ist jedoch so fernliegend, dass es dem Grundsatz von Treu und Glauben widersprechen würde, wenn ein faktischer Rechtsverlust hierauf gestützt werden würde.

Sofern nachträglich ein öffentlich-rechtliches Erfordernis einer Baulast hinzutritt, kommt man nach einer Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass der Dienstbarkeitsverpflichtete die Baulast übernehmen muss. Wenn das nachträglich hinzugetretene öffentlich-rechtliche Erfordernis das dinglich gesicherte Recht zur Bedarfssicherung ausschließen würde, würde dies die Grunddienstbarkeit erheblich entwerten. Somit führt der Umstand, dass die Sicherung der Zuwendung durch eine Grunddienstbarkeit nicht mehr ausreichend ist, dazu, dass der Dienstbarkeitsverpflichtete an der Verwirklichung des dinglichen Rechts mitwirken muss.

Bei Grunddienstbarkeit, die schon zum Zeitpunkt der Bestellung nach allgemeiner Rechtsauffassung bauordnungsrechtlich nicht als ausreichende Sicherung der Zufahrt angesehen werden konnte und sich die Grundstückseigentümer damit zufriedengegeben haben, soll der Ausschluss des Anspruchs nur dann in Betracht kommen, wenn die Beteiligten von der Baulasterfordernis wussten und willentlich auf die Einräumung verzichtet haben.

Somit wird der Rechtsstreit an das Berufungsgericht mit folgenden Hinweisen zurückverwiesen:

Grundsätzlich kann sich ein Anspruch auf Baulastübernahme aus einer ergänzenden Vertragsauslegung des Erbteilungsvertrages ergeben. Dieser wäre gegenüber einem durch die Grunddienstbarkeit begründeten Schuldverhältnis vorrangig. Voraussetzung hierfür ist, dass die Parteien entweder Vertragspartner oder deren Rechtsnachfolger sind. Ein Anspruch auf Übernahme der Baulast kann nur dann bestehen, wenn die Baulast als zwingende Voraussetzung der Bebauung angesehen wird. Diese Frage wurde jedoch offengelassen. Bei dem bebauten Grundstück ist die baurechtliche Relevanz der Baulast zweifelhaft, wohingegen für das gefangene Wegegrundstück eine Baulast erforderlich sein könnte, da dieses als Zuwegung benötigt wird. Der Anspruch scheidet jedoch in den Fällen aus, in denen das Bauvorhaben nicht von der Grunddienstbarkeit gedeckt ist. Dies wäre zum Beispiel bei einer willkürlichen Benutzungsänderung der Fall, die der Umgebungsbebauung nicht entspricht. Schließlich stehen dem Anspruch auf Baulastübernahme auch keine Belange des Brandschutzes entgegen, da die Breite des Grundstücks (mind. 3 Meter) im Allgemeinen als ausreichend anzusehen ist.

Praxishinweis | BGH V ZR 165/22

Bisher hat der BGH im Rahmen der Interessenabwägung darauf abgestellt, ob die Grunddienstbarkeit zu dem Zweck bestellt wurde, das Grundstück baulich zu nutzen. Von dieser Rechtsprechung zu dem missverständlichen Kriterium des „Zwecks“ distanziert er sich nun ausdrücklich und stellt fest, dass es bei der Auslegung von dinglichen Rechten ausschließlich auf den Inhalt ankommt, der sich aus dem Grundbuch ergibt. Dementsprechend sind subjektive Vorstellungen der Beteiligten bei der Bestellung der Dienstbarkeit unbedeutend. Die Verpflichtung zur Übernahme entfällt lediglich bei einer willkürlichen Nutzungsänderung.

Diese Entscheidung ist in der notariellen Praxis bei der Ausgestaltung von Grunddienstbarkeiten von hoher Relevanz. Insbesondere ist zu beachten, dass uneingeschränkte und auf Dauer bestellte Grunddienstbarkeiten grundsätzlich für jede zulässige Nutzung des begünstigten Grundstücks gelten. Inhalt und Umfang dieser Grunddienstbarkeiten können sich im Laufe der Zeit verändern, sodass ihr Umfang mit den Bedürfnissen des herrschenden Grundstücks wachsen kann.