BGH V ZR 229/23
Allgemeiner Sprachgebrauch als revisibeler allgemeiner Erfahrungssatz

19.02.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
06.12.2024
V ZR 229/23
BeckRS 2024, 40269

Leitsatz | BGH V ZR 229/23

  1. Der allgemeine Sprachgebrauch ist als allgemeiner Erfahrungssatz revisibel.
  2. Es gibt keinen allgemeinen Sprachgebrauch des Inhalts, dass unter einem in einem bestimmten Jahr komplett erneuerten Dach stets nur die Erneuerung der obersten Dachschicht (hier: Bitumenbahnen) zu verstehen ist.

Sachverhalt | BGH V ZR 229/23

Die Kläger erwarben von der Beklagten ein Einfamilienhaus mit notariellem Kaufvertrag vom 15. Januar 2021 unter Ausschluss der Haftung für Sachmängel. Im entsprechenden Maklerexposé war angegeben, dass das „Dach“ 2009 „komplett erneuert“ worden sei. Tatsächlich wurden zum angegebenen Zeitpunkt (jedoch nur) neue Bitumenbahnen verklebt und verschweißt. Die Kläger forderten daher die Erstattung der Kosten für eine Dachsanierung in Höhe von 20.337,03 € netto.  Das Landgericht gab der Klage weitgehend statt, während das Oberlandesgericht die Klage auf Berufung der Beklagten hin vollständig abwies. Dagegen legten die Kläger Revision ein. 

Entscheidung | BGH V ZR 229/23

Das Berufungsgericht wies die Klage der Käufer auf Schadensersatz ab, da es einen Sachmangel  gem. § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB (in der damals geltenden Fassung; jetzt in der Sache unverändert: § 434 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b BGB) ablehnte. Es argumentierte, dass die Formulierung im Exposé, das „Dach“ sei „komplett erneuert“ worden, sich nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nur auf die oberste Dachschicht (Bitumenbahnen) beziehe und nicht die Unterkonstruktion oder Dämmung umfasse.
Der BGH widersprach dieser Auslegung. Zwar sei das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass zu der Sollbeschaffenheit nach § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB a.F. auch die Eigenschaften gehörten, die der Käufer nach den öffentlichen Äußerungen des Verkäufers erwarten dürfe, wozu auch Angaben in einem Exposé zählten, unabhängig davon, ob es von einem Makler oder dem Verkäufer erstellt worden sei, sofern der Verkäufer es kannte oder kennen musste. 

Es existiere allerdings kein allgemeiner Sprachgebrauch (der als allgemeiner Erfahrungssatz uneingeschränkt revisibel sei), wonach eine „komplette Erneuerung“ nur die oberste Dachschicht betreffe. Ein solcher Sprachgebrauch lasse sich auch nicht aus dem Duden ableiten, da dieser den Begriff „Dach“ nur allgemein beschreibe, ohne zwischen verschiedenen Dachtypen oder Schichten zu unterscheiden. Auch die Begriffe „komplett“ und „erneuern“ implizierten keine Beschränkung auf die äußere Dachschicht.

Weitere Anhaltspunkte für einen allgemeinen eindeutigen Sprachgebrauch existierten aus Sicht des Gerichts nicht. Weder die aus dem Bereich des Bauwesens entstammende Formulierung auf Wikipedia, die lediglich die Funktion eines Dachs im Allgemeinen beschreibe, noch die Formulierungen der zum Zeitpunkt der Sanierung des Dachs geltenden Fassung der EnEV, die die Dachhaut nur als einen von mehrere Bestandteilen des Dachs nenne und daneben auch einen technischen und nicht einen allgemeinen Sprachgebrauch wiedergebe, ließen darauf schließen, dass unter einem „komplett erneuerten Dach“ stets nur die äußere Dachhaut gemeint sei. Vielmehr variiere das Verständnis je nach Dachtyp und den jeweiligen Schichten des Dachaufbaus. Maßgeblich sei sodann, ob nach dem Inhalt des Exposés ein durchschnittlicher Käufer eine vollständige Erneuerung des Dachs einschließlich Unterkonstruktion und Dämmung erwarten konnte.

Da das Berufungsgericht keine ausreichenden Feststellungen zum Dachtyp und dessen Aufbau getroffen habe, könne der Senat nicht selbst die Auslegung aus der objektivierten Sicht eines durchschnittlichen Käufers vornehmen, sodass er das Urteil aufhob und die Sache zur erneuten Prüfung an das Berufungsgericht zurückverwies.  Dabei wies der Senat (unter anderem) darauf hin, dass die Angabe „2009 wurde das Dach komplett erneuert“ sodann als einheitliche Formulierung auszulegen sei. Dabei seien auch die in dem Exposé enthaltenen Angaben zu weiteren Erneuerungsarbeiten an dem Haus, mit denen der Zustand des Hauses insgesamt als neuwertig beschrieben wird, einzubeziehen und im Gesamtzusammenhang zu würdigen. 

Praxishinweis | BGH V ZR 229/23

Exposé-Angaben können die Sollbeschaffenheit eines Kaufobjekts bestimmen (§ 434 Abs. 1 Satz 3 BGB a.F.). Aus Sicht des BGH gibt es allerdings keinen allgemeinen Sprachgebrauch, wonach eine „komplette Erneuerung“ eines „Dachs“ nur die oberste Dachschicht betreffe. Entscheidend ist damit, ob die Formulierung aus Sicht eines durchschnittlichen Käufers eine vollständige Erneuerung einschließlich Unterkonstruktion und Dämmung erwarten ließ. 

Erweist sich eine Angabe wie hier als missverständlich bzw. uneindeutig, kann dies deshalb zu Streitigkeiten führen. Käufer können dann Ansprüche auf Schadensersatz (bzw. „fiktive“ Mängelbeseitigungskosten) geltend machen.

Verkäufer sollten Exposé-Formulierungen deshalb präzisieren, um falsche Erwartungen zu vermeiden. Käufer sollten Sanierungsangaben hinterfragen und sich den tatsächlichen Umfang (schriftlich) bestätigen lassen.