OLG Düsseldorf I-3 Wx 91/23
Zur Ausschlagungsfrist bei gewillkürter Erbfolge

04.12.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Düsseldorf
17.07.2023
I-3 Wx 91/23
ErbR 2023, 844

Leitsatz | OLG Düsseldorf I-3 Wx 91/23

  1. Die Einreichung der ersten Ausfertigung der Ausschlagungserklärung genügt den formellen Anforderungen des § 1945 Abs. 1 Hs. 2 BGB. Denn gemäß § 47 BeurkG vertritt die Ausfertigung der Niederschrift die Urschrift im Rechtsverkehr.
  2. § 1944 Abs. 2 S. 2 BGB, wonach die Ausschlagungsfrist bei gewillkürter Erbfolge nicht vor Bekanntgabe der Verfügung von Todes wegen durch das Nachlassgericht beginnt, ist zwingend. Dies gilt auch, wenn feststeht, dass der Bedachte von der letztwilligen Verfügung früher Kenntnis erlangt hat.
  3. Enthält ein gemeinschaftliches Ehegattentestament („Berliner Testament“) keine Ersatzerbenregelung und schlägt der testamentarische Alleinerbe die Erbschaft aus, führt die ergänzende Auslegung regelmäßig dazu, dass mit der bindenden Schlusserbeneinsetzung der Kinder zugleich die Einsetzung der Kinder als Ersatzerben für den ersten Erbfall gewollt ist.

Sachverhalt | OLG Düsseldorf I-3 Wx 91/23

Der Ehegatte war bis zu dem Tod der Erblasserin mit ihr verheiratet. Aus dieser Ehe gingen keine gemeinsamen Kinder hervor. Der Ehegatte wie auch die Erblasserin haben jedoch aus früheren Beziehungen jeweils eine leibliche Tochter. Die Eheleute haben einen gemeinschaftliches eigenhändiges Testament errichtet, wobei sie sich gegenseitig als alleinige Erben eingesetzt haben. Nach dem Tod des Letztversterbenden sollten die beiden Töchter erben. Der Verfahrensbevollmächtigte der beiden Töchter reichte nach dem Tod der Erblasserin eine erste Ausfertigung des Erbscheinsantrag ein, welcher eine Erbausschlagungserklärung des Ehegatten enthielt. Zudem reichte er die Testamentsurkunde im Original ein und beantragte die Eröffnung des Testaments. Anschließend reichte der Verfahrensbevollmächtigte den Erbscheinsantrag über das Elektronische Gerichtspostfach ein und beantragte einen gemeinschaftlichen Erbschein zu je ½ Anteil. In diesem Erbscheinsantrag wird von einer „als Ersatzerbenregelung auszulegende Schlusserbeneinsetzung“ ausgegangen. Das Nachlassgericht stellt sich der Erteilung des Erbscheins entgegen und führt aus, dass die Ausschlagungsfrist des Testamentserben abgelaufen und die Ausschlagung somit unwirksam sei. Zudem entspreche die eingereichte Ausschlagungserklärung nicht der Form des § 129 BGB und somit auch nicht den Anforderungen des § 1945 BGB, da diese nicht im Original bei Gericht eingereicht wurde. Hiergegen legten die beiden Töchter Beschwerde ein.

Entscheidung | OLG Düsseldorf I-3 Wx 91/23

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Entsprechend § 2353 BGB hat das Nachlassgericht dem Erben auf Antrag ein Zeugnis über sein Erbrecht zu erteilen. Der Erbschein wird dann erteilt, wenn das Nachlassgericht die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen als festgestellt erachtet. Vorliegend liegen die zur Begründung notwendigen Tatsachen vor.

Die Erbfolge richtet sich allein nach dem gemeinschaftlichen und formwirksamen Testament der Eheleute.

Der im Testament als Alleinerbe eingesetzte Ehegatte hat die Erbschaft wirksam ausgeschlagen. Der Ausschlag wurde formwirksam erklärt.

Entsprechend § 1945 I BGB ist die Ausschlagung durch Erklärung zur Niederschrift des Nachlassgerichts oder in öffentlich beglaubigter Form abzugeben. Im Falle der Errichtung in Schriftform setzt § 129 I 1 Nr. 1 BGB voraus, dass die Erklärung schriftlich abgefasst und die Unterschrift von einem Notar beglaubigt ist, wobei der § 129 III BGB nF die öffentliche Beglaubigung durch die notarielle Beurkundung ersetzt.

Vorliegend wurde die Ausschlagungserklärung innerhalb des Erbscheinsantrags der Töchter notariell beurkundet. In der Urkunde heißt es: „Der Erschienene W.K. schlägt hiermit die Erbschaft aus.“ Dies entspricht den Anforderungen an die Beurkundung einer Willenserklärung (§§ 8 ff. BeurkG). Zudem wurde die erste Ausfertigung des Erbscheinsantrages beim zuständigen Nachlassgericht eingereicht, sodass sie den Anforderungen des § 1945 I BGB entspricht. Gem. § 47 BeurkG hat die Ausfertigung der Niederschrift (beglaubigte Kopie) die gleiche rechtliche Gültigkeit hat wie das Original. Dies gilt auch für die Abgabe der Ausschlagungserklärung.

Zudem erklärte der Ehegatte die Ausschlagung innerhalb der sechswöchigen Ausschlagungsfrist.

Die Frist beginnt grundsätzlich mit dem Zeitpunkt, indem der Erbe vom Anfall und Grunde der Berufung Kenntnis erlangt. Bei gewillkürter Erfolge beginnt die Frist nicht vor Bekanntgabe der Verfügung von Todes wegen durch das Nachlassgericht. Diese gesetzliche Regelung ist aufgrund von Rechtssicherheit nicht nur regelmäßig, sondern immer anwendbar. Zusätzlich ist für den Beginn der Frist die amtliche Verlautbarung, also die Kenntniserlangung des Erben von der Eröffnung der Verfügung, notwendig. Dementsprechend konnte die Ausschlagungsfrist erst nach dem Eingang des Schreibens des Nachlassgerichts über die Eröffnung des gemeinschaftlichen Testaments beginnen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht bei der Annahme eines gesetzlichen Erbrechts. Selbst wenn der Ehegatte also davon ausgegangen wäre, dass er gesetzlicher Erbe sei, wäre die Frist nicht gelaufen. Somit ist die Ausschlagungserklärung beim Nachlassgericht eingegangen, bevor die Frist begonnen hat. Dies ist gem. § 1946 II BGB möglich, da die Ausschlagungserklärung nach dem Erbfall und zugleich mit der Ablieferung des Testaments geschah.

Die Ausschlagungserklärung ist auch nicht aus anderen Gründen unwirksam. Obwohl zwischen dem Erbfall und der Beurkundung der Ausschlagung fast zwei Jahre vergangen sind, ist nicht ersichtlich, dass der Ehegatte die Erbschaft bereits angenommen hat. Insbesondere ist auch nicht erkennbar, dass der Ehegatte einen Erbschein als Alleinerbe beantragt hat. Zudem liegt keine Unwirksamkeit gem. § 1950 BGB vor, wonach die Ablehnung eines Erbes nicht auf einen Teil des Erbes beschränkt werden kann. Dies hat den Hintergrund, dass die Vorschrift auf solche Fälle nicht anwendbar ist, in denen der Erbe aus unterschiedlichen Berufungsgründen zum Erbe berufen wurde und die testamentarische Erbeinsetzung der Gegenstand der Ausschlagung ist.

Aufgrund des Wegfalls des Ehegatten als Alleinerbe werden die im gemeinschaftlichen Testament Töchter als Schlusserben eingesetzt. Entsprechend § 1953 II BGB fällt die Erbschaft auf denjenigen, der berufen wäre, wenn der Ausschlagende zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht gelebt hätte. Somit führt die Ausschlagung eines gewillkürten Erben primär zu einem Erbschaftsanfall an den eingesetzten Ersatzerben, § 2096 BGB.

In der vorliegenden Konstellation haben die Eheleute bei der Errichtung des Testaments keine Regelungen zum Wegfall des länger lebenden Ehegatten durch Ausschlagung getroffen, sodass das Testament keine ausdrückliche Ersatzerbeneinsetzung enthält. Welche rechtlichen Konsequenzen die Ablehnung der Erbschaft durch den überlebenden Ehegatten hat, ist strittig.

Einerseits kann die Ausschlagung der testamentarischen Erbfolge und die Annahme des gesetzlichen Erbes aufgrund der Zielrichtung des Berliner Testaments als wirksam angesehen werden. Zutreffender ist es jedoch von einer stillschweigenden Ersatzerbeneinsetzung der Schlusserben auszugehen. Bei bindenden Schlusserbeneinsetzungen ist nach einer ergänzende Auslegung der letztwilligen Verfügung regelmäßig davon auszugehen, dass mit der Schlusserbeneinsetzung zugleich die Einsetzung der Kinder als Ersatzerben für den ersten Erbfall gewollt ist. Sofern Eltern ihre Kinder als Schlusserben einsetzen, sollen diese nach dem Tod des Längstlebenden das noch vorhandene Vermögen erhalten. Demzufolge entspricht es dem mutmaßlichen Willen der Ehegatten, dass das Vermögen des Erstversterbenden auf jeden Fall an die Schlusserben fällt. Dies gilt auch bei einer Ausschlagung des länger lebenden Ehegatten. Diese Nachlassplanung wäre nicht mehr gewährleistet, wenn sich der länger lebende Ehegatte über die Ausschlagung (§ 2271 II 1 BGB) von der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments löst und zusammen mit den Kindern gesetzlicher Erbe würde. Darüber hinaus spricht auch die Auslegungsregel des § 2097 BGB für eine stillschweigende Ersatzerbeneinsetzung der Schlusserben. Demzufolge wird der Ersatzerbe nicht nur dann eingesetzt, wenn der zunächst berufene Erbe nicht Erbe sein kann, sondern im Zweifel auch dann, wenn der ursprünglich benannte Erbe nicht Erbe sein will. Somit kann die Bestimmung der Schlusserben in einem Berliner Testament als eine Ersatzerbenbestimmung beider Ehegatten qualifiziert werden, wobei sich nur die des länger Lebenden verwirklicht.

Die Eheleute haben im vorliegenden Fall bei Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments keine anderslautenden Willen erkennen lassen. Vielmehr haben die Eheleute in ihrem Testament nicht vorgesehen, dass der Letztversterbende eine abweichende letztwillige Verfügung über den Nachlass treffen kann, sodass von einer unumstößlichen Schlusserbeneinsetzung auszugehen ist. Diese sollte auch nicht der Testierfreiheit des überlebenden Ehepartners unterliegen. Zudem kann aus der Erklärung des Ehegatten geschlossen werden, dass er die Erbenstellung beider Kinder als selbstverständlich ansah. Dies wird insbesondere dann relevant, wenn man betrachtet, dass die gesetzliche Erbfolge sonst dazu führen würde, dass der Ehegatte zusammen mit der leiblichen Tochter der Erblasserin erben würde, während seine leibliche Tochter nichts erben würde. Die gesetzliche Erbfolge würde somit zum Entfall der Erbenstellung seines leiblichen Kindes führen. Aus dem Testament geht jedoch nicht hervor, dass sich die Eheleute eine Ungleichbehandlung der beiden Kinder vorgestellt haben.

Dementsprechend hat der Ehegatte die Erbschaft wirksam ausgeschlagen und die beiden Töchter sind zu je ½ Miterben der Erblasserin geworden.

Praxishinweis | OLG Düsseldorf I-3 Wx 91/23

Sofern ein gemeinschaftliches Testament vorliegt, dass die Schlusserbeneinsetzung von Kindern vorsieht, sollte beachtet werden, dass die Ausschlagung der Erbschaft durch den überlebenden Ehegatten zu einer stillschweigenden Ersatzerbeneinsetzung der Kinder führen kann. In besonderen Fällen, in denen es sich bei den Schlusserben nicht um gemeinsame Kinder, sondern um die leiblichen Kinder aus früheren Beziehungen des jeweiligen Testierenden handelt, ist das Testament ergänzend auszulegen. Hierbei ist entscheidend, wie der mutmaßliche Wille des erstversterbenden Ehegatten wäre, wenn er die Möglichkeit einer Ausschlagung des überlebenden Ehegatten in Betracht gezogen hätte.