OLG München 33 Wx 38/23 e
Zur Auslegung eines Testaments, das als Erben denjenigen bestimmt, der den Erblasser bis zu seinem Tod pflegt und betreut – Grundbuchrecht/FGR, Erbrecht, Sonstiges Bürgerliches Recht

04.11.2024

Leitsatz | OLG München 33 Wx 38/23 e

  1. Zur Auslegung eines privatschriftlichen Testaments, das der Erblasser mehr als 10 Jahre vor seinem Tod errichtet hat und das als Erben denjenigen bestimmt, der den Erblasser „bis zu meinem Tod pflegt und betreut“ und gleichzeitig eine Person nennt, die dies gegenwärtig tut.
  2. Ein Testament ist nichtig, wenn der Wortlaut der Verfügung so unbestimmt ist, dass die Auslegung ergebnislos bleiben muss.
  3. Auf einen „Mindestbedeutungsgehalt“ der vom Erblasser verwendeten Begriffe kann nur dann abgestellt werden, wenn feststeht, dass Erblasser diese in eben jenem Sinne verwendet hat.

Sachverhalt | OLG München 33 Wx 38/23 e

Die Erblasserin verfasst ein Testament mit folgendem Wortlaut:

„Mein letzter Wille!

Die Person, die mich bis zu meinem Tode pflegt und betreut, soll mein gesamtes Vermögen bekommen!

Zurzeit ist es: Frau X […]“.


Nach Ihrem Tode stellt sich die Frage, wer Erbe geworden ist.

Entscheidung | OLG München 33 Wx 38/23 e

Das Testament stellt eine einseitige Willenserklärung des Erblassers dar. In einem Testament niedergelegte Erklärungen müssen mit dem Willen des Erblassers übereinstimmen, also auf dem ernsthaften Willen des Erblassers beruhen, ein Testament zu errichten und rechtsverbindliche Anordnungen über sein Vermögen nach seinem Tode zu treffen (NotBZ 2024, 66). Zur Bestimmung der durch den Erblasser nach § 1937 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) genügt es jedoch nicht, wenn sich im Testament selbst keine ausreichenden Anhaltspunkte für den Erblasserwillen finden (Hülsmann in: ErbStG - eKommentar, § 3 ErbStG 1974 Rn. 81). Der Erblasserwille erfasst die Person, die nach dem Willen des Erblassers den Nachlass regeln und die Nachlassschulden tilgen soll, sowie unmittelbar Rechte am Nachlass erwerben soll (BayObLG, Beschluss vom 09.12.1985, BReg. 1 Z 90/85, FamRZ 1986, 835). Zwar muss eine Person nicht namentlich genannt werden, es ist jedoch wichtig, dass der Erblasser seinen Willen klar äußert, sodass eine mit genügender Sachkunde ausgestattete Person den Bedachten eindeutig identifizieren kann (vgl. BGH, Urteil vom 18.11.1954, IV ZR 152/54, NJW 1955, 100; BayObLG, Beschluss vom 27.11.1990, BReg. 1a Z 76/88, FamRZ 1991, 610; OLG München, 31 Wx 55/13, ZEV 2013, 617). Nur die Bezeichnung, nicht die Bestimmung darf einem Dritten übertragen werden. Ggf. müssen dafür die Hinweise im Testament zuvor nach allgemeinen Grundsätzen ausgelegt werden (MüKoBGB/Leipold, 9. Aufl. 2022, BGB § 2065 Rn. 34; Horn/Kroiß, NJW 2013, 2978 f.). Soweit der Erblasserwillen durch Auslegung festgestellt werden kann, liegt kein Fall der unzulässigen Bestimmung der Person des Bedachten durch einen Dritten vor (OLG Köln, 2 Wx 536/16, FGPrax 2017, 41). § 2065 BGB greift indes dann ein, wenn der Wortlaut der letztwilligen Verfügung derartig unbestimmt ist, dass die Auslegung ergebnislos bleibt (BayObLG, Beschluss v. 23.05.2001, 1 Z BR 10/01, FamRZ 2002, 200 m. w. N.; Staudinger/Otte, BGB, Neubearbeitung 2019, § 2065 Rn. 19b.). Denn dann beruht die Erbfolge nicht auf einer Bestimmung des Erblassers selbst, sodass dessen Anordnung gegen § 2065 Abs.  2 BGB verstößt. Dies führt zur Nichtigkeit der betreffenden letztwilligen Verfügung (Czubayko, in: Burandt/Rojahn aaO § 2065 Rn 24 m. w. N.).

Im vorliegenden Fall tauchen mehrere Probleme auf. Schon in zeitlicher Hinsicht lässt sich nicht feststellen, was die Erblasserin mit der Formulierung „bis zu meinem Tod“ zum Ausdruck bringen wollte. Zunächst ist fraglich, ob die Erblasserin sich bei der Errichtung des Testaments von der Vorstellung leiten ließ, dass die Person, die sie „pflegt und betreut“, dies ab Errichtung des Testaments zu tun hat. Denkbar ist nämlich auch, dass (auch) ein späteres Übernehmen von Pflege und Betreuung ausreichend sein sollte. Dafür ließe sich immerhin anführen, dass ein Interesse an Pflege und Betreuung häufig erst dann entsteht, wenn der Betreffende tatsächlich pflege- und betreuungsbedürftig wird. Bei einer Auslegung in diese Richtung bliebe aber offen, welcher Zeitpunkt maßgeblich sein sollte: Denkbar wäre, auf ein subjektives Element bei der Erblasserin abzustellen, nämlich wenn sie selbst das Bedürfnis nach „Pflege und Betreuung“ verspürt. Ebenso vorstellbar wäre aber ein objektives Kriterium, wie etwa die Anordnung einer gesetzlichen Betreuung.

Unklar ist ebenfalls, ob die Person, die „pflegt und betreut“, dies ununterbrochen (unabhängig vom jeweiligen Beginn) tun muss. Da die Erblasserin die „Person“ zudem im Singular bezeichnet hat, wirft dies die Frage auf, ob von mehreren Personen nur die zum Zuge kommen soll, die sich in zeitlicher Hinsicht am stärksten engagiert hat oder ob jeder, der einen (zeitlichen) Anteil an „Pflege und Betreuung“ hatte, Erbe werden soll. Letztlich lässt sich auch nicht klären, ob das zeitliche Element von „Pflege und Betreuung“ nach der Vorstellung der Erblasserin tatsächlich bis „in“ den Tod im Sinne einer Sterbebegleitung erfolgen muss.

Darüber hinaus lässt sich aber auch nicht mit hinreichender Sicherheit ermitteln, was die Erblasserin inhaltlich unter „pflegt und betreut“ verstanden hat. Es bleibt dabei auch offen, ob die Erblasserin die Wörter „pflegen und betreuen“ synonym oder kumulativ gebraucht hat. Auch an welche Art von „pflegen und betreuen“ die Erblasserin gedacht hat ist anhand des von ihr gewählten Wortlauts nicht zu ermitteln. Ferner ist fraglich, ob die Erblasserin ebenfalls die professionelle Betreuung gemeint hat, denn sie lebte im Zeitpunkt der Errichtung bereits in einem Pflegeheim (OLG München vom 25.09.2023 – 33 Wx 38/23 e.).

Die von der Erblasserin gewählte Formulierung ist mithin so vage, dass die Beantwortung der Frage, ob sich jemand nach Testamentserrichtung bis zum Tode der Erblasserin in der Art und Weise um die Erblasserin gepflegt und betreut hat, wie sie es erwartet hätte, von dem jeweiligen Begriffsverständnis des die Person des Bedachten zu bestimmenden Dritten abhängig ist (ZErb 2013, 179-181.) Zwar wird Frau X im Testament namentlich genannt, eine Erbeinsetzung ist damit jedoch nicht erfolgt, denn die Erblasserin hat als Erbin gerade keine bestimmte Person eingesetzt, sondern lediglich Voraussetzungen festgelegt, die der Erbe erfüllen muss (FamRB 2024, 72). Das Testament ist folglich nichtig.

Praxishinweis | OLG München 33 Wx 38/23 e

Testamente mit solchen oder ähnlichen Erklärungen häufen sich, denn die Pflegedebatte ist nicht nur politisch ein heikles Thema.

In Deutschland sind laut Aussage des Demografieportals von Bund und Ländern heute 22 Millionen Menschen 60 Jahre und älter. Das ist mehr als jeder Vierte. Bis zum Jahr 2050 wird der Anteil dieser Bevölkerungsgruppe in der Bundesrepublik sogar auf 38 % ansteigen. Bis dahin werden etwa 10 Millionen Menschen über 80 Jahre alt sein. Und bedenkt man, dass 85 % der Menschen ab 85 Jahren noch im eigenen Haushalt leben und somit auf fremde Hilfe in den eigenen vier Wänden angewiesen sind.

Deutschland wird also älter. Und je mehr ältere Menschen es gibt und je weniger Pflegekräfte, desto mehr solcher Testamente werden wir vorfinden. Selbst der Gesetzgeber hat bereits in § 14 Heimgesetz auf diese Gegebenheit reagiert (vgl. Neu/Lang ErbR 2006, 100, beck-online). Dabei ist eine Erklärung wie die obige von Seiten der Erblasser doch sehr nachvollziehbar. Denn wer möchte schon im Alter auf sich allein gestellt sein? Da muss manchmal eine Belohnung her - ein Ansporn für die Verwandtschaft zum sonntäglichen Kaffee und Kuchen aufzuschlagen, die Großeltern einmal anzurufen oder eben wirklich die Pflege zu übernehmen. Der Fall verdeutlicht dabei aber die immense Bedeutung einer konkret umsetzbaren Nachfolgeregelung. Im vorliegenden Fall war der letzte Wille der Erblasserin derart unbestimmt und folglich interpretationsbedürftig, dass er keine Berücksichtigung finden konnte. Das OLG München konnte dementsprechend trotz etwaiger Bemühungen keine konkrete Erbeinsetzung durch das Testament feststellen. Wie die Fachliteratur empfiehlt, müssen Verfügungen von Todes wegen daher so hinreichend konkret formuliert werden, dass die Hinterbliebenen nach Eintritt des Erbfalls idealerweise gar nicht erst gezwungen sind, auf eine Auslegung der letztwilligen Verfügung zurückzugreifen (Roglmeier, jurisPR-FamR 3/2024 Anm. 1). Bestimmte erbrechtliche Formalien und Formulierungsgrundlagen sollten deswegen bei der Errichtung eines Testaments eingehalten werden, nicht zuletzt, um unnötige Verzögerungen zu vermeiden. Hinsichtlich des Ausschlusses rechtlicher Nachteile kann es sich im Einzelfall als ratsam erweisen, eine bestehende letztwillige Verfügung zu widerrufen oder zur Wahrung eigener Rechte eine neue letztwillige Verfügung zu errichten, damit der letzte Wille tatsächlich Beachtung findet (Sarres, FamRB 2024, 74.).