EuGH C‑109/23
Vorabentscheidung des EuGH v. 05.09.2024 - Rs. C‑109/23 (Jemerak) - zum Verbot der Rechtsberatung in Russland ansässiger Unternehmen

05.09.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

EuGH
05.09.2024
C‑109/23
n.v.

Leitsatz | EuGH C‑109/23

Art. 5n Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, in der durch die Verordnung (EU) 2022/1904 des Rates vom 6. Oktober 2022 geänderten Fassung ist dahingehend auszulegen, dass

  • weder die Beurkundung eines Kaufvertrags über eine im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats belegene Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehört, durch einen Notar dieses Mitgliedstaats,
  • noch die Handlungen dieses Notars zum Vollzug eines solchen beurkundeten Vertrags, um die auf dieser Immobilie ruhenden Belastungen zu löschen, den Kaufpreis an den Verkäufer auszuzahlen und im Grundbuch das Eigentum umzuschreiben,
  • noch die von einem Dolmetscher bei einer solchen Beurkundung erbrachten Übersetzungsleistungen zur Unterstützung des Vertreters dieser juristischen Person, der die im Beurkundungsverfahren verwendete Sprache nicht beherrscht, 

unter das in dieser Bestimmung vorgesehene Verbot, einer solchen juristischen Person Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung zu erbringen, fallen.
 

Sachverhalt | EuGH C‑109/23

Zwei Deutsche mit Wohnsitz in Berlin beabsichtigten, eine Eigentumswohnung in Berlin zu erwerben. Der von ihnen beauftragte Berliner Notar lehnt es jedoch ab, den Kaufvertrag zu beurkunden und seinen Vollzug zu betreiben, weil die Verkäuferin eine Firma mit Sitz in Moskau ist. Er könne nicht ausschließen, gegen Art. 5n Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 zu verstoßen, nach der es verboten sei, einer in Russland niedergelassenen juristischen Person Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung zu erbringen.
Das Landgericht Berlin hat im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens nach § 15 Abs. 2 BNotO den Gerichtshof um Klärung ersucht, ob das fragliche Verbot dem Tätigwerden des Notars sowie eines Dolmetschers entgegensteht.

Entscheidung | EuGH C‑109/23

Nach der Entscheidung des EuGH ist die notarielle Beurkundung eines Kaufvertrags nicht vom Anwendungsbereich des Art. 5n Abs. 2 Buchst. b der EU-Verordnung erfasst. Der EuGH stützt sich dabei auf den Wortlaut der Norm, den normativen Kontext sowie den Sinn und Zweck der gegenständlichen EU-VO.

Da der Begriff der Dienstleistung nicht gesetzlich legal definiert ist, greift der EuGH auf eine Auslegung nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und den 19. Erwägungsgrund der Verordnung 2022/1904 zurück. Danach verstünde man unter Dienstleistung eine Stellungnahme zu einer Rechtsfrage und eine wirtschaftliche sowie interessenvertretende Tätigkeit, die auf einer Beziehung zwischen Dienstleister und Dienstleistungsempfänger beruht. 

Dienstleistungen seien demnach abzugrenzen von Tätigkeiten, die Behörden oder andere Einrichtungen aufgrund gesetzlicher Ermächtigung zur Wahrnehmung öffentlicher Interessen ausüben und zu diesem Zweck mit bestimmten, den Bürgern gegenüber verbindlichen Befugnissen ausgestattet wurden.

Folglich sei die Beurkundungstätigkeit des Notars keine „Dienstleistung“ im Sinne der Verordnung, sondern eine nach deutschem Recht (vgl. § 311b Abs. 1 BGB, § 925 BGB) bei Übertragungsverträgen von in Deutschland belegenen Immobilien zwingend erforderliche Mitwirkungstätigkeit als unabhängiger Träger eines öffentlichen Amtes. Der Notar handelt im Gegensatz zu rechtsberatenden Dienstleistern bei der Beurkundung nicht mit dem Ziel der Förderung der Interessen einer oder beider betroffener Parteien, sondern unter Wahrung gleicher Distanz zu diesen Parteien und ihren jeweiligen Interessen ausschließlich im Interesse des Gesetzes und der Rechtssicherheit unparteiisch. Er bestätigt mit der Beurkundung die Rechtmäßigkeit des Vertrags durch seine Unterschrift und Anbringung seines Amtssiegels. 

Diese Auslegung nach dem Wortlaut der Vorschrift würde auch durch den normativen Kontext bestätigt. Denn während Geschäfte mit in der Union belegenen Immobilien, die in Russland niedergelassenen juristischen Personen gehören, nach der EU VO Nr. 833/2014 erlaubt bleiben, könnte diese Geschäfte in der Praxis in bestimmten Mitgliedstatten wie der BRD, in denen eine notarielle Beurkundung des Immobilienkaufvertrags eine wesentliche Voraussetzung für die Veräußerung ist – unabhängig davon, ob diesen juristischen Personen die Verfügung über ihre Vermögenswerte gemäß der Verordnung Nr. 269/2014 untersagt ist – behindert werden. Eine solche sich je nach anwendbaren Notariatssystem ergebende Wirkungsvielfalt des Verbots gemäß Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 in den einzelnen Mitgliedstaaten konnte vom Unionsgesetzgeber nicht gewollt gewesen sein.

Schließlich widerspreche eine solche Auslegung auch nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Der Rat der Europäischen Union hat auf Frage des Gerichtshofs in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass er nicht beabsichtigt habe, den in Russland niedergelassenen juristischen Personen die Veräußerung ihrer im Gebiet der Union belegenen Immobilien zu verbieten. Ziel der Verordnung war und ist es vielmehr die Fortsetzung der Geschäftstätigkeit juristischer Personen mit russischer Niederlassung im EU-Gebiet zu erschweren und auf diesem Wege die russische Wirtschaft zu treffen und den Druck auf Russland, seinen Angriffskrieg zu beendigen zu verstärken. Eine notarielle Beurkundung eines Kaufvertrags könne diesem Ziel nicht entgegenstehen und würde dieses Ziel auch nicht umgehen. 

Hinsichtlich der mit dem Kaufvertrag verbundenen Vollzugstätigkeiten des Notars sei nach EuGH jeweils einzeln zu prüfen und anhand der EuGH Auslegung zu entscheiden, ob die Tätigkeit als „Dienstleistung im Bereich der Rechtsberatung“ zu qualifizieren ist. Da der Notar auch insoweit unparteiisch und im öffentlichen Interesse des sicheren Rechtsverkehrs handelt ist davon auszugehen, dass nicht nur die Beurkundung, sondern auch der Vollzug keine Dienstleistung des Notars im Sinne einer parteiischen Rechtsberatung ist. Zumal bei der Beantragung der Eigentumsumschreibung gegenüber dem Grundbuchamt die Mitwirkung eines Notars zwingend erforderlich ist (§§ 13 Abs. 1 S. 3 GBO, 20 GBO).

Letztlich äußert sich der EuGH auch zur möglichen Beiziehung eines Dolmetschers bei der Beurkundung. Da der Beruf eines Dolmetschers nicht juristischer Art sei, kann dessen Übersetzungsdienstleistung keine Rechtsberatung und kein Verstoß gegen Art. 5n Abs. 2 sein. Dies gilt selbst dann, wenn er durch seine Übersetzung einen Juristen bei der Rechtsberatung unterstützt.

Zur Ausnahmeregelung vom Rechtsberatungsverbot nach Art. 5n Abs. 6 EU-VO (Erforderlichkeit der Dienstleistung für den Zugang zu Gerichtsverfahren) musste der EuGH keine Stellung nehmen, da dessen Anwendungsbereich gar nicht eröffnet und dies auch nicht Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens war.
Unterdessen bleibt es abzuwarten, wie das LG Berlin die Vorabentscheidung des EuGHs im anhängigen Verfahren umsetzen wird. In Anbetracht der relativ eindeutigen Entscheidung zur Auslegung des Art. 5n Abs. 2 der EU-VO ist jedoch davon auszugehen, dass der beklagte Notar seiner Urkundsgewährungspflicht gegenüber den Vertragsparteien nachgehen muss und den Kaufvertrag zu beurkunden hat.

Praxishinweis | EuGH C‑109/23

Für die notarielle Praxis ist diese Entscheidung des EuGHs sehr erfreulich. Denn das Spannungsverhältnis zwischen der Urkundsgewährungspflicht des Notars nach § 15 Abs. 1 BNotO einerseits und die drohende Gefahr eines nach § 18 Abs. 1 AWG strafbewährten Verstoßes des Notars gegen das Rechtsberatungsverbot andererseits wurde insoweit deutlich entschärft.

Diese Auslegung des Begriffs „Dienstleistung im Bereich der Rechtsberatung“ durch den EuGH dürfte neben der Beurkundung eines Kaufvertrages grundsätzlich auch auf alle weitere Tätigkeiten des Notars übertragbar sein, zu denen er kraft Gesetzes berufen bzw. ermächtigt wurde (z.B. Gründung einer GmbH oder AG; Gesellschaftsrechtliche Verträge; Anmeldungen zu öffentlichen Registern; etc.). Denn die gesetzlichen Formvorschriften der notariellen Beurkundung (§ 128 BGB) und öffentlichen Beglaubigung (§ 129 BGB) verfolgen stets den Zweck der Erfüllung einer Warnfunktion, des Übereilungsschutzes und der Rechtssicherheit. Der Notar erfüllt daher vorrangig die Wahrnehmung öffentlicher Interessen als unabhängiger Träger eines öffentlichen Amtes und ist kein parteiischer rechtsberatender Dienstleister.