OLG Celle 3 U 60/22
Haftung des Notars für Schäden aufgrund unwirksamer Abnahmeklausel im Bauträgervertrag

13.01.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Celle
01.02.2023
3 U 60/22
RNotZ 2023, 607

Leitsatz | OLG Celle 3 U 60/22

  1. Sofern in Bauverträgen eine AGB-Klausel enthalten ist, die dem einzelnen Erwerber das Recht zur individuellen Abnahme des Gemeinschaftseigentums nimmt, ergibt sich daraus ein Verstoß gegen § 307 I 1 BGB wegen unangemessener Benachteiligung.
  2. Der Notar muss über die zur Berufsausübung erforderlichen Rechtskenntnisse verfügen und ist dazu verpflichtet sich über die Tendenzen der Rechtsprechung der obersten Gerichte zu informieren. Seine Aufgabe ist es über offene Rechtsfragen sowie die sich daraus ergebenden Risiken ohne Vorgaben zu belehren. In diesem Zusammenhang ist auch die künftige gerichtliche Überprüfung der AGB-Klauseln zu berücksichtigen.
  3. Verletzt der Notar seine Prüfungs- und Belehrungspflicht, hat er dem Bauträger die Mängelbeseitigungskosten und sonstigen Schäden zu erstatten, die dem Bauträger daraus entstehen, dass die Erwerber mangels erfolgter Abnahme berechtigte Gewährleistungs- und/oder Schadensersatzansprüche geltend machen können.

Sachverhalt | OLG Celle 3 U 60/22

Ein Notar hat für einen Bauträger insgesamt zehn Verträge mit einer unwirksamen Vereinbarung über die Abnahme des gemeinschaftlichen Eigentums beurkundet. Die Verträge enthalten die Bestimmung, dass die Fertigstellung und Abnahmefähigkeit von einem Sachverständiger geprüft werden, welcher vom zukünftigen Verwalter gewählt wird. Der Käufer und der Verkäufer sind an die Feststellungen des Sachverständigen zur Abnahmefähigkeit gebunden. Sofern der Sachverständige keine wesentlichen Mängel feststellt, sind die Erwerber zur Abnahme verpflichtet. Zudem ist in der Klausel vorgesehen, dass der Käufer und Verkäufer an der Abnahme teilnehmen können, wobei die Käufer für die Abnahme zwei Personen aus ihrer Mitte bestimmen können. Nachdem der Sachverständige zu dem Ergebnis kam, dass das Gemeinschaftseigentum abnahmereif ist, erklärten zwei Personen die Abnahme, die nicht aus der Mitte der Erwerber kamen. Nach der rechtsunwirksamen Abnahme des Gemeinschaftseigentums wird der Erwerber darauf hingewiesen, dass die beurkundete Klausel unwirksam ist und fordert von dem Notar Schadensersatz.

Entscheidung | OLG Celle 3 U 60/22

Die Berufung hat Erfolg. Im Rahmen der Zulässigkeit ist zu beachten, dass der Kläger eine Vermögensgefährdung substantiiert geltend machen muss. Die Erwerberin hat einen Anspruch aus § 19 BNotO wegen einer schuldhaft begangenen Amtspflichtverletzung. Diese ist kausal für den behaupteten Schaden.

Die Amtspflichtverletzung des Notars ergibt sich aus der Missachtung der Hinweis- und Belehrungspflicht aus § 17 Abs. 1 BeurkG i. V. m. § 14 Abs. 1 Satz 2 BnotO. Der Notar hat die Pflicht sicherzustellen, dass der Wille der Parteien in der Urkunde vollständig, inhaltlich richtig und eindeutig wiedergegeben wird. Sofern Zweifel bestehen, ob das Geschäft mit dem Gesetz oder wahren Willen der Beteiligten übereinstimmt, ist es notwendig die Bedenken mit den Beteiligten zu erörtern. Dementsprechend ist der Notar in allen Phasen seiner Tätigkeit dazu verpflichtet den sichersten Weg zu gehen. Dies bedeutet, dass er den Beteiligten zur sichersten Gestaltung raten und dafür zu sorgen muss, dass ihr Wille diejenige Rechtsform erhält, die für die Zukunft alle Zweifel ausschließt. Dies umfasst eine genauere Überprüfung aller zweifelhafter AGB-Klauseln. Sofern im Vertrag eine unwirksame Klausel enthalten ist, ist der Notar dazu verpflichtet darauf hinzuweisen. In den Fällen, in denen sich die rechtliche Wirksamkeit der Klausel nicht zweifelsfrei klären lässt, kann das Rechtsgeschäft erst dann beurkundet werden, wenn die Parteien über die offene Rechtslage belehrt wurden und auf das verbundene Risiko bestehen.

Da im vorliegenden Fall der Sachverständiger lediglich bei der Abnahme tätig ist und den Verkäufern jegliche Mängelrechte verbleiben, stellt sich die Frage der Wirksamkeit der konkreten Abnahmeklausel. Zwar regelt die Klausel nicht die eindeutig unzulässige Übertragung der eigentlichen Abnahmeerklärung an den Sachverständigen, die Erwerber sind jedoch bei ihrer eigenen Abnahmeerklärung von den zuvor erfolgten Feststellungen des Sachverständigen abhängig. Somit verbleibt den Erwerbern kein Einfluss auf ihre Abnahmeentscheidung. Dementsprechend unterläuft die Abnahmeklausel das Recht des Einzelnen auf eine individuelle Abnahme. Die Klausel verstößt somit gegen § 307 I 1 BGB und ist unwirksam.

Da der Gutachter nicht nur den technischen Zustand feststellt, sondern eine rechtliche Bewertung zur Abnahmereife abgibt, kommt keine zweistufige Regelung in Frage bei der zwischen „technischer Abnahme“ durch den Sachverständiger und „rechtsgeschäftlicher Abnahme“ durch den Erwerber unterschieden wird. Zudem besteht eine vertraglich vereinbarte Bindungswirkung, sodass der Beklagte auch nicht darauf verweisen kann, dass in § 640 I BGB eine Pflicht des Bestellers zur Abnahme des vertragsmäßig hergestellten Werks vorgesehen ist.

Dementsprechend liegt eine Pflichtverletzung des Notars vor. Diese hat er fahrlässig begangen. Der Notar muss über die zur Berufsausübung erforderlichen Rechtskenntnisse verfügen und ist dazu verpflichtet sich über die Tendenzen der Rechtsprechung der obersten Gerichte zu informieren. Seine Aufgabe ist es über offene Rechtsfragen sowie die sich daraus ergebenden Risiken ohne Vorgaben zu belehren. In diesem Zusammenhang ist auch die künftige gerichtliche Überprüfung der AGB-Klauseln zu berücksichtigen. Hierbei darf die objektiv unrichtige Verwendung neu entwickelter AGB, deren Inhalt zweifelhaft und durch eine höchstrichterliche Rechtsprechung noch nicht klargestellt ist, dem Notar nicht als Verschulden angelastet werden, wenn er nach sorgfältiger Prüfung aus seiner Sicht keine verbleibenden Zweifel hat und dies für rechtlich vertretbar gehalten werden kann Aus der Rechtsprechung und Literatur ist die Unwirksamkeit der Abnahmeklause erkennbar. Aus zuvor ergangenen Rechtsprechungen. (zB. BGH, Beschluss vom 12. September 2013 – VI ZR 308/12) lässt sich deutlich erkennen, dass solche Klauseln als unwirksam angesehen werden, die dem einzelnen Erwerber das Recht zur individuellen Abnahme entziehen und ihm nicht mehr die Möglichkeit lassen, selbst über die Ordnungsmäßigkeit der Werkleistung zu befinden. Auch in der Literatur wurde diese Problematik ausführlich diskutiert. Indem der Notar im vorliegenden Fall keinen Hinweis auf die Unwirksamkeit der Abnahmeklausel gegeben hat, hat er gegen seine Pflichten sorgfaltswidrig verstoßen.

Diese Pflichtverletzung ist ursächlich für den Schaden. Da es sich um eine Pflichtverletzung durch Unterlassen handelt, muss die ordnungsgemäße Erfüllung der Pflichten hinzugedacht werden. Es ist zu prüfen, welchen Verlauf der Sachverhalt hätte und wie die Vermögenslage des Betroffenen wäre. Vorliegend spricht der Anscheinsbeweis dafür, dass die Klägerin bei einer fehlerfrei erteilten Belehrung und dem Vorschlag eine wirksamen Alternative aufzunehmen nicht die unwirksame Klausel verwendet hätte, sondern eine wirksame vertragliche Regelung getroffen worden wäre. Die Tatsache, dass die Abnahme erfolgt ist, steht der Kausalität der Pflichtverletzung nicht entgegen. Dies hat den Hintergrund, dass die Abnahme auf der unwirksamen Klausel beruhte und somit ihrerseits unwirksam ist. Zudem schließt auch die spätere konkludente Abnahme die Kausalität nicht aus. Die rügelose Nutzung und Zahlung des Käufers ist gerade aufgrund der unzutreffenden Annahme erfolgt, dass das Gemeinschaftsgut bereits wirksam abgenommen wurde. Die spätere Annahme kann also nicht als Billigung der vertraglichen Leistung mit Erklärungsbewusstsein angesehen werden.

Des Weiteren wird der Anscheinsbeweis auch nicht durch eine mögliche Einzelabnahme entkräftet. Schon im Ausgangspunkt ist zweifelhaft, ob ein unterstelltes Unterlassen der möglichen Einzelabnahme die Kausalität ausschließen würde oder im Rahmen des Mitverschuldens gem. § 254 BGB zu prüfen wäre. Angesichts des Vertrauens, dass die Abnahmeklausel wirksam ist, besteht kein Anlass die Erwerber zu einer derartigen Einzelabnahme aufzufordern. Die Haftung für eine Pflichtverletzung aufgrund einer unzureichenden Belehrung kann nicht dadurch umgangen werden, dass vom Vertragspartner die Durchsetzung der „in Wahrheit“ bestehender Ansprüche verlangt wird. Zudem würde eine solche Aufforderung nur dazu führen, dass die Erwerber im Glauben an die Bindung der Feststellungen des Sachverständigen eine Einzelabnahme erklärt hätten, die ebenfalls unwirksam wäre.

Darüber hinaus kann der Anscheinsbeweis auch nicht durch der Umstand entkräftet werden, dass die tatsächlich durchgeführte Abnahme nicht den vertraglichen Regelungen entsprach. Es sind keine Anhaltspunkte erkennbar, dass eine ordnungsgemäße Belehrung und daraus folgende Aufnahme einer wirksamen Abnahmeklausel zu einer unwirksamen Vertretung der Erwerber geführt hätte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Vertretung durch Einzelabnahmen erfolgt wäre.

Die Klägerin kann den ihr drohenden Schaden als ersatzfähig feststellen lassen, wenn das Feststellungsinteresse und die übrigen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen.

Schließlich haftet der Notar aufgrund der unwirksamen Klausel nicht nur für Gewährleistungs- sondern auch Schadensersatzansprüche. Hierbei kommt der Einwand des Mitverschuldens durch einen vermeintlichen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht nicht in Betracht. Es ist nicht ersichtlich, dass die Erwerberin nach Erkennen der Unwirksamkeit der Klausel entgegen dem Vertragswortlaut zur nachträglichen Einzelabnahme verpflichtet wäre. Die Erwerberin durfte sich darauf verlassen, dass der Notar seiner Amtspflicht gem. § 17 BeurkG rechtsfehlerfrei nachkommt.

Praxishinweis | OLG Celle 3 U 60/22

Der vorliegende Fall macht deutlich, wie weitgreifend die vom BGH aufgestellten Grundsätze zur Hinweis- und Belehrungspflicht des Notars bei der Beurkundung von AGB-Klauseln im Rahmen von Bauverträgen sind. Den Notar trifft ein hohes Haftungsrisiko, wenn er sich nicht mit dem Risiko unwirksamer AGBs auseinandersetzt. Zudem wird die Unwirksamkeit von Klauseln verdeutlicht, die dem einzelnen Erwerber das Recht zur individuellen Abnahme entziehen. Darunter fallen Klauseln, bei denen die Erwerber an Feststellungen eines Sachverständigen zur Abnahmereife gebunden sind. Ob zweistufige Regelungen unter Mitwirkung eines Sachverständigen in Abnahmeklauseln möglich sind, wurde vom OLG mangels Entscheidungserheblichkeit jedoch offengelassen, sodass es weiterhin einer Klärung durch die Rechtsprechung bedarf.