07.01.2025
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
BGH
22.10.2024
II ZR 97/23
BeckRS 2024, 36309
Herabsetzung der Vorstandsvergütung nach § 87 Abs. 2 S. 1 AktG im Insolvenzfall [ PDF ]
Der Kl. schloss am 14.11.2019 mit der Schuldnerin – einer AG – einen Dienstvertrag als Vorstandsmitglied mit Dienstantritt am 1.1.2020. Es wurde eine jährliche Vergütung von 240.000 EUR sowie Mindesttantiemen für 2020 und 2021 vereinbart. Allerdings wurde noch vor Dienstantritt – am 23.12.2019 – das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet. Der Bekl. als Insolvenzverwalter kündigte den Vertrag zum 31.03.2020. Zudem reduzierte er die Vergütung des Kl. auf 8.000 EUR monatlich für die Restlaufzeit, strich die Tantieme und stellte ihn am 05.02.2020 von der Dienstpflicht frei.
Der Kl. hält die Herabsetzung der Vergütung für unrechtmäßig und fordert die ausstehende Vergütung, einschließlich der Tantiemen nebst Zinsen.
Das Recht des Aufsichtsrats nach § 87 Abs. 2 S. 1 AktG die Vergütung des Vorstands herabzusetzen, ermöglicht es, dass die Vergütung auch insbesondere wegen der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft – auf eine angemessene Höhe angepasst werden kann. Nach der Auffassung des II Senats des BGH sind bei der Prüfung der Billigkeit nach § 87 Abs. 2 S. 1 AktG sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind insbesondere der Umfang der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft gegenüber dem Zeitpunkt der Vereinbarung der Vergütung zu berücksichtigen. Weiter ist miteinzubeziehen, in welchem Grad die Verschlechterung dem Vorstandsmitglied zurechenbar ist und ob er sie pflichtwidrig herbeigeführt hat.
Die Ausübung dieses Rechts obliegt nach Auffassung des Senats im Insolvenzverfahren allein dem Insolvenzverwalter und damit nicht mehr dem Aufsichtsrat.
Das Herabsetzungsrecht des § 87 Abs. 2 AktG sei zudem nicht durch das Sonderkündigungsrecht des § 113 InsO verdrängt; es erfasse auch die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (BGH, Urt. v. 22.10.2024 – II ZR 97/23, Rn. 17).
Nach dem vorliegenden Urteil des BGH setzt der Wortlaut des § 87 Abs. 2 S. 1 AktG („verschlechtert sich die Lage nach der Festsetzung der Bezüge unbillig für die Gesellschaft“) nicht dass dem Vorstand die Verschlechterung zu zurechnen ist. In der Literatur habe sich für die Zurechenbarkeit auch kein taugliches Abgrenzungskriterium herausgebildet.
Der im Gesetz verwendetet Begriff „unbillig“ indiziere zudem nach allgemeinem juristischen Sprachverständnis eine umfassende Interessenabwägung.
Auch hinsichtlich des Begriffs der „Weitergewährung“ besteht nach der Meinung des Senats ein Deutungsspielraum: ein maßgeblicher Zeitpunkt für ein Bestehen bzw. Invollzugsetzen des Anstellungsvertrags sei dem nicht zu entnehmen. Aus der Gesetzeshistorie (vgl. BT-Drs. 16/12278, S. 6.) ergebe sich, dass ein Ausschluss im Rahmen des Kriteriums der Zurechenbarkeit nur für bereits ausgeschiedene Vorstandsmitglieder in Betracht käme und zwar in Bezug auf deren Ruhegehälter.
Weil der Aufsichtsrat die Vergütung bei börsennotierten Gesellschaften bereits an der Lage der Gesellschaft zu orientieren hat, komme nach einzelnen Literaturstimmen eine Herabsetzung nach § 87 Abs. 2 S. 1 AktG einer „Doppelbestrafung“ gleich. Dies ist nach Auffassung des Senats in der Abwägung zu berücksichtigen (BGH v. 22.10.2024 – II ZR 97/23, Rn. 31). Es entstehe ansonsten die Gefahr, dass dann, wenn man auf die individuelle Zurechnung der Vermögensverschlechterung abstellt, sich das Herabsetzungsrecht als Sanktionsinstrument im Vorfeld der Vorstandhaftung etabliere.
Zweck des § 87 Abs. 2 AktG sei, dass das Schicksal der Gesellschaft und des Vorstands – also dem wirtschaftlichen Wohlergehen der Gesellschaft – auch in Vergütungsfragen verknüpft sei. Demgegenüber stehe das Interesse des Vorstandsmitglieds, nicht vergeblich auf seine vertraglich zugesicherte Vergütung zu hoffen („pacta sunt servanda“, mittelbare Drittwirkung der Art. 2 I, 14 I GG).
Der Entzug der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 80 Abs. 1 InsO sei verbunden mit einem Großteil der Aufgaben des Vorstands und damit auch des Nutzens für die Gesellschaft. Die Vorschrift des § 87 Abs. 2 AktG diene indes vor allem dem Schutz des Unternehmensinteresses und nur teilweise dem Schutz der Gesellschaftsgläubiger. Die Regelungen des § 113 InsO und § 87 Abs. 3 AktG schützten bereits das Interesse der Gesellschaftsgläubiger.
Abschließend hebt der BGH hervor, dass es keine Rechtfertigung für eine Zurechnung gäbe, wenn nach dem Abschluss des Anstellungsvertrags ein Insolvenzverfahren eröffnet werde und kein Verschulden im Rahmen der Leitungsverantwortung oder im Hinblick auf Verletzung der organschaftlichen Treuepflicht vorliege.
Die Klarstellung, dass § 87 Abs. 2 AktG nicht verdrängt wird, führt zur Rechtssicherheit bei Insolvenzverwaltern. Allerdings bringt die vom Senat geforderte Prüfung des jeweiligen Einzelfalls natürlich Rechtsunsicherheit mit sich. Der BGH stellt noch nicht ohne Zweifel klar, wie groß die Gewichtung der Zurechenbarkeit in der vorzunehmenden Abwägung zu anderen Kriterien ist.