19.03.2025
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
BGH
26.06.2024
IV ZR 288/22
ZEV 2024, 675
Verfügungsbefugnis des Vorerben bei Gütergemeinschaft mit dem Erblasser [ PDF ]
1. Die Nutzungen der Vorerbschaft, wie z.B. Mieteinnahmen, gebühren gemäß § 2111 Abs. 1 Satz 1 BGB grundsätzlich dem Vorerben, und zwar auch dem befreiten Vorerben, und fließen ihm als freies Vermögen zu (Festhaltung an Senatsurteil vom 29. Juni 1983 - IVa ZR 57/82, NJW 1983, 2874 [juris Rn. 15]).
2. Bestand eine Gütergemeinschaft zwischen dem Erblasser und dem Vorerben, kann letzterer über ein zum Gesamtgut gehörendes Grundstück ohne Zustimmung des Nacherben verfügen; § 2113 BGB findet insoweit keine Anwendung (Fortsetzung des Beschlusses vom 15. März 2007 - V ZB 145/06, BGHZ 171, 350 Rn. 6).
3. Auch bei einer wirksamen Verfügung des Vorerben kann dem Nacherben nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Herausgabepflicht nach § 2130 Abs. 1 Satz 1 BGB zustehen, wenn der Vorerbe seine Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung gemäß § 2120 Satz 1 BGB verletzt hat. Der Vorerbe trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Verfügung zur ordnungsmäßigen Verwaltung erforderlich war.
Die Kläger verlangen als Nacherben von der Beklagten als Vorerbin die Erbringung einer Sicherheitsleistung.
Der Kläger zu 1 ist der Sohn des Erblassers und die Klägerinnen zu 2 und 3 sind die Enkelinnen des Erblassers. Die Beklagte ist die Witwe des Erblassers. Mit notariellem Ehe- und Erbvertrag vom 14.07.1970 bestimmten der Erblasser und die Beklagte für ihre Ehe rückwirkend vom Tage der Eheschließung an den Güterstand der Gütergemeinschaft und vereinbarten zudem Folgendes:
„II. Erbvertrag: 1.) Wir setzen uns gegenseitig dergestalt zu Erben ein, daß der überlebende Ehegatte Vorerbe des Nachlasses hinsichtlich des Erstversterbenden von uns sein soll. Der Vorerbe soll von den gesetzlichen Beschränkungen befreit sein, jedoch nicht das Recht zur Verfügung über den zum Gesamtgut der Gütergemeinschaft gehörenden Grundbesitz in jeglicher Form erhalten. Der Vorerbe soll jedoch berechtigt sein, Hypotheken oder Grundschulden bis zu einer Höhe von 50 % des jeweiligen aufgrund ortsgerichtlicher Schätzung festzustellenden Wertes des Grundbesitzes aufzunehmen und für einen eventuellen neuen Ehegatten ein Wohnrecht zu bestellen, (...) 2.) Zu Nacherben des Erstversterbenden und zu Erben des Überlebenden von uns setzen wir hiermit unsere Abkömmlinge nach Stämmen und innerhalb der Stämme nach Köpfen zu gleichen Teilen ein.(...)"
Zum Grundbesitz der Gütergemeinschaft gehörten drei mit Wohnhäusern bebaute Grundstücke. Zwei der Grundstücke veräußerte die Beklagte in den Jahren 2011 und 2012 zu einem Preis von 160.000 € bzw. 190.000 €, wobei im Grundbuch keine Nacherbenvermerke eingetragen waren. Die Verbindlichkeiten bei der Volksbank i.H.v. etwa 120.000 € wurden bis zum Jahr 2012 durch die jährlichen Mieteinnahmen getilgt.
Die Kläger begehrten mit der Klage im Wesentlichen die Verurteilung der Beklagten zur Erbringung einer Sicherheit i.H.v. 150.000 € zugunsten der Nacherbschaft nach dem Erblasser unter Fristsetzung von drei Wochen. Das Gericht entschied i.S.d. Kläger und wies die Berufung der Beklagten zurück. Die Beklagte begehrt mit der Revision die Aufhebung des Berufungsurteils sowie Klageabweisung im Übrigen.
Die Revision hat Erfolg.
Zu Recht nimmt das Berufungsgericht wegen der Bestimmung, der Vorerbe solle „von den gesetzlichen Beschränkungen befreit sein“, keinen Ausschluss der Geltung des § 2128 BGB und des § 2130 BGB in dem Ehe- und Erbvertrag an. Im Rahmen der Befreiungsmöglichkeiten des Vorerben gemäß § 2136 BGB kann zwischen Beschränkungen und Verpflichtungen differenziert werden. Die in § 2136 BGB genannten §§ 2130, 2134 BGB normieren Verpflichtungen des Vorerben im Verhältnis zum Nacherben nach dem Eintritt der Nacherbfolge. Auch die Auslegung des Vertrages ergibt keine umfassende Befreiung von allen in § 2136 BGB aufgeführten Beschränkungen und Verpflichtungen. Das Zusammenspiel der Regelungen, in der der Vorerbe „nicht das Recht zur Verfügung über den zum Gesamtgut der Gütergemeinschaft gehörenden Grundbesitz in jeglicher Form erhalten“ soll und der Berechtigung des Vorerben, Hypotheken oder Grundschulden i.H.v. 50% des Wertes des Grundbesitzes aufzunehmen und ein Wohnrecht zu bestellen, ergibt, dass keine umfassende Befreiung von § 2113 Abs. 1 BGB gewollt war und auch die Herausgabepflicht aus § 2130 Abs. 1 BGB nicht entfallen sollte. Es besteht daher kein Anhaltspunkt für einen Willen der Eheleute, den Nacherben den Schutz des § 2128 Abs. 1 BGB zu nehmen.
Den Klägern steht kein Schadensersatz gemäß §§ 2130 Abs. 1, 280 Abs. 1 BGB gegen die Beklagte zu. Die Voraussetzungen des § 2128 Abs. 1 BGB sind zu verneinen. Zur Erbschaft gehört nach § 2111 Abs. 1 S. 1 BGB, was der Vorerbe auf Grund eines zur Erbschaft gehörenden Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines Erbschaftsgegenstands oder durch Rechtsgeschäft mit Mitteln der Erbschaft erwirbt, sofern nicht der Erwerb ihm als Nutzung gebührt. Daher unterliegen Nutzung des Nachlasses, wie z.B. Mieteinnahmen als mittelbare Sachfrüchte, nicht der Surrogation. Sie fließen vielmehr dem Vorerben als freies Vermögen zu. Beansprucht der Nacherbe einen Teil des vorhandenen Vermögens für sich, muss er ausräumen, dass dieses Vermögen nicht vollständig aus den freien Einkünften des Vorerben stammt. Die Beklagte war daher nicht verpflichtet, das erste Grundstück zu behalten und weiter zu vermieten.
Auch liegt kein Anspruch auf Sicherheitsleistung gemäß §§ 2130 Abs. 1, 280 Abs. 1 BGB vor. Zwar kann in einer Gütergemeinschaft der überlebende Ehegatte als Vorerbe über ein zum Gesamtgut gehörendes Grundstück ohne Zustimmung des Nacherben verfügen. Allerdings bezieht sich die den Vorerben in seiner Verfügungsbefugnis beschränkenden Vorschrift des § 2113 BGB nur auf Verfügungen über Grundstücke, die zur Erbschaft gehören, bezüglich derer eine Nacherbfolge angeordnet worden ist. Im vorliegenden Fall umfasst die Vorerbschaft Anteile an einem Gesamthandsvermögen, zu welchem ein Grundstück gehört. Die Beklagte konnte daher über die zum Gesamtgut gehörenden Grundstücke auch unentgeltlich verfügen.
Es kommt ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 2130, 280 Abs. 1 S. 1 BGB, der durch eine Sicherheitsleistung nach § 2128 Abs. 1 BGB geschützt werden kann, in Betracht. Nach § 2130 Abs. 1 S. 1 BGB hat der Vorerbe dem Nacherben die Erbschaft in dem Zustand herauszugeben, der sich bei einer bis zur Herausgabe fortgesetzten ordnungsmäßigen Verwaltung ergibt. Sind die Grundstücke, wie hier, nicht mehr im Gesamthandsvermögen vorhanden, kommt ein Schadensersatzanspruch nur in Frage, wenn die Veräußerung der Grundstücke nicht einer ordnungsgemäßen Verwaltung i.S.v. § 2120 S. 1 BGB entsprach. Das Berufungsgericht verkennt bei der Ermittlung der Höhe des Anspruchs, dass die Mieteinnahmen der Beklagten als Vorerbin zustanden. Es nahm an, dass mit den bis 2012 vereinnahmten Mieteinnahmen von ungefähr 120.000 € die Nachlassverbindlichkeiten von ungefähr 332.000 € teilweise getilgt worden seien und diese im Jahr 2012 nur noch i.H.v. 212.000 € bestanden hätten. Daher habe die Beklagte aus den Veräußerungserlösen von 350.000 € nur maximal Nachlassverbindlichkeiten i.H.v. 212.000 € getilgt haben können. Aus der von der Beklagten vorgelegenen Anlagen habe sich ergeben, dass es bei einem Betrag von 208.810,43 € unklar sei, was mit dem Verkaufserlös geschehen ist und daher einen hälftigen Schadensersatzanspruch von 104.405,22 € angenommen. Nicht berücksichtigt wurde dabei, dass die Beklagte die Mieteinnahmen nicht zur Tilgung von Nachlassverbindlichkeiten einsetzen musste.
Da das Berufungsgericht keine Feststellungen zur genauen Höhe der Nachlassverbindlichkeiten und der erbrachten Tilgungsleistungen getroffen hat, ist die Sache gemäß § 563 Abs. 1 S. 1 ZPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuweisen.
Ist ein Ausschluss der Verpflichtungen der §§ 2130, 2134 BGB gewollt, so sollte dies vertraglich ausdrücklich festgehalten werden, da eine Befreiung von den gesetzlichen Beschränkungen des Vorerben eine Befreiung von diesen Verpflichtungen nicht umfasst. Diese Begriffe sind differenzierbar. Der BGH hält in seiner Begründung an dem im Gesetz verankerten Grundsatz fest, dass Mieten dem Vorerben zur freien Verfügung zustehen und dass diese nicht zur Tilgung von Nachlassverbindlichkeiten eingesetzt werden müssen.