16.10.2024
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
BVerfG
28.11.2023
2 BvL 8/13
BeckRS 2023, 39287
Vereinbarkeit des § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG mit dem Grundgesetz [ PDF ]
Redaktionelle Leitsätze (BeckRS 2023, 39287)
Am 24. August 2001 übertrug die F1-KG, eine gewerblich tätige GmbH & Co. KG, zwei bebaute Grundstücke aus ihrem Gesamthandsvermögen an ihre beteiligungsidentische Schwesterpersonengesellschaft, die F2-KG. Dies erfolgte zu einem herabgesetzten Preis in Höhe der bilanziellen Buchwerte (6.691.604 DM). Diese Übertragungsvorgänge wurden von der F1-KG steuerlich als erfolgsneutral behandelt.
Drei Tage später wurde die F1-KG auf die Komplementärin und Klägerin des Ausgangsverfahrens verschmolzen. Die von der F1-KG erzielten Einkünfte wurden der Klägerin im Ausgangsverfahren gemäß § 20 Abs. 7 UmwStG 1995 rückwirkend ab dem Stichtag 1.1.2001 zugerechnet.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung vertrat das Finanzamt die Auffassung, dass die streitgegenständliche Übertragung nicht steuerneutral erfolgen könne, da § 6 Abs. 5 EStG nicht anwendbar sei. Die Norm sei auf Übertragungen von Wirtschaftsgütern zu Buchwerten zwischen beteiligungsidentischen Personengesellschaften nicht anwendbar.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem Finanzgericht Erfolg. Wegen unterschiedlicher Rechtsprechung der Senate des BFH wurde die Revision zugelassen. Das vom Finanzamt eingeleitete Revisionsverfahren wurde vom I. Senat des BFH ausgesetzt. Der BFH beantragt im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über folgende Fragen:
„ob § 6 Abs. 5 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes 1997 i.d.F. des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes insoweit gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verstößt, als hiernach eine Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen beteiligungsidentischen Personengesellschaften nicht zum Buchwert möglich ist“.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Ergebnis entschieden, dass der § 6 Abs. 5 S. 3 EStG gegen Art. 3 I GG verstößt und ist damit verfassungswidrig.
Der Fall der Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen dem Gesamthandsvermögen und der beteiligungsidentischen Schwestergesellschaft ist gesetzlich nicht normiert und kann weder unter § 6 Abs. 5 S. 1 EStG noch unter § 6 Abs. 5 S. 3 EStG subsumiert werden. Für die analoge Anwendung ist mangels einer planwidrigen Regelungslücke kein Raum. Dadurch schaffte der Gesetzgeber eine Ungleichbehandlung, die sich nicht rechtfertigen lässt.
I. Keine Subsumtion unter § 6 Abs. 5 S. 1 EStG
Die Übertragung der Wirtschaftsgüter zwischen den Gesamthandsvermögen und beteiligungsidentischer Schwestergesellschaft ist kein Fall der Überführung im Sinne des § 6 Abs. 5 S. 1 EstG. Nach dieser Norm kann die Überführung eines einzelnen Wirtschaftsgutes von einem Betriebsvermögen in ein anderes Betriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen zum Buchwert erfolgen.
Das Gesetz unterscheidet im Rahmen von § 6 Abs. 5 EStG zwischen zwei Begriffen: Überführung und Übertragung. Um eine Überführung handelt es sich dann, wenn der Wirtschaftsguttransfer nicht mit einem Rechtsträgerwechsel verbunden ist. Eine Übertragung ist dagegen ein Wirtschaftsguttransfer mit einem Rechtsträgerwechsel. Diese begriffliche Unterscheidung ist vom Gesetzgeber gewollt, was auch durch die redaktionelle Korrektur des Finanzausschusses des Bundestages (BT-Drucks. 14/443, S. 24) belegt wird, die zur inhaltlichen Präzisierung vorgenommen wurde.
Da beim Transfer eines Einzelwirtschaftsguts zwischen dem Gesamthandvermögen und beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaft zivilrechtlich immer ein Rechtsträgerwechsel stattfindet, scheidet die Anwendung des § 6 Abs. 5 S. 1 EStG aus.
II. Keine Subsumtion unter § 6 Abs. 5 S. 3 EStG
Die Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen dem Gesamthandsvermögen und beteiligungsidentischen Schwestergesellschaft richtet sich auch nicht nach § 6 Abs. 5 S. 3 EstG. Diese Norm enthält einen detaillierten Katalog von verschiedenen Fallgruppen, bei denen die erfolgsneutrale Übertragung ermöglicht wird.
Obwohl der Katalog des § 6 Abs. 5 S. 3 EStG nicht ausdrücklich als abschließend bezeichnet wird, betrachtet das BVerfG diesen aufgrund der detaillierten Aufschlüsselung der enthaltenen Sachverhalte als abschließend.
Gegen eine erweiternde Auslegung spricht zum einen die Entstehungsgeschichte der Norm. Eine ausdrückliche Normierung dieser Fallgruppe wurde im Gesetzgebungsverfahren angestrebt, jedoch von der Mehrheit abgelehnt. Dem Gesetzgeber war diese Problematik somit bekannt, und er hat sich bewusst gegen die Begünstigung in dieser Fallkonstellation entschieden.
III. Keine analoge Anwendung des § 6 Abs. 5 S. 3 EStG
Aus demselben Grund ist eine analoge Anwendung der betreffenden Normen nicht möglich. Dies würde die Grenzen der zulässigen richterlichen Rechtsfortbildung überschreiten.
Die Interessenlage ist bei der Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen dem Gesamthandsvermögen und der beteiligungsidentischen Schwestergesellschaft mit den in § 6 Abs. 5 S. 3 EStG aufgezählten Fallgruppen vergleichbar. Der Subjektprinzip bleibt unberührt und die stillen Reserven bleiben vor und nach der Übertragung denselben Gesellschaftern als Subjekte der Einkommensteuer zugeordnet.
Jedoch fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke, da die Normierung dieser Fallgruppe im Gesetzgebungsverfahren mehrmals diskutiert und ausdrücklich abgelehnt wurde. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Gesetzgeber entschieden hat, diese Problematik zur Klärung der Judikative zu überlassen. Seine Untätigkeit deutet darauf hin, dass die Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen dem Gesamthandsvermögen und der beteiligungsidentischen Schwestergesellschaft nicht begünstigt werden soll.
IV. Verstoß gegen Art. 3 I GG
Aufgrund des oben Gesagten verstößt § 6 Abs. 5 S. 3 EStG gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Die unterlassene Berücksichtigung der Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen dem Gesamthandsvermögen und der beteiligungsidentischen Schwestergesellschaft verstößt gegen den im Art. 3 I GG enthaltenen Grundsatz der Steuergerechtigkeit und den Grundsatz der gleichen Zuteilung steuerrechtlicher Lasten.
Rechtfertigungsgründe für den Eingriff in diese Grundsätze gibt es nicht. Insbesondere ist die Haushaltskonsolidierung oder eine staatliche Einnahmeerhöhung nicht als Rechtsfertigungsgrund zu verstehen, da dies lediglich einen rein fiskalischen Zweck erfüllt.
Der Gesetzgeber verfolgt auch keine Förderungs- oder Leistungszwecke, die den Verstoß rechtfertigen würden. Zwar steht es dem Gesetzgeber frei, welche Sachverhalte, Personen oder Unternehmen er begünstigt, jedoch muss diese Förderung gleichheitsgerecht und auf sachlichen Gründen basieren.
Die Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen dem Gesamthandsvermögen und der beteiligungsidentischen Schwestergesellschaft wird sowohl gegenüber Wirtschaftsguttransfers zwischen verschiedenen Betriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen als auch gegenüber Wirtschaftsguttransfer im Kreis der Mitunternehmerschaft benachteiligt.
1. Benachteiligung gegenüber Wirtschaftsguttransfers zwischen verschiedenen Betriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen
Die Einzelunternehmer haben nach § 6 Abs. 5 S. 1 EStG die Möglichkeit, einen steuerneutralen Wirtschaftsgutstransfer in das Betriebsvermögen eines anderen von ihnen unterhaltenen Betriebs zu überführen. Der Sinn dahinter ist, dass die Überführung kein Realisationsakt darstellt und die stillen Reserven nach wie vor steuerverstrickt bei demselben Steuerpflichtigen bleiben. Es besteht daher kein Bedürfnis für einen Steuerzugriff.
Auch bei dem Wirtschaftsguttransfer zwischen der beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften besteht kein Bedarf, die stillen Reserven offenzulegen, da diese denselben Steuerpflichtigen, den hinter der Schwesterpersonengesellschaft stehenden Gesellschaftern, zugeordnet bleiben. Daher liegt gegenüber dieser Vergleichsgruppe eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung vor.
2. Benachteiligung gegenüber Wirtschaftsguttransfer im Kreis der Mitunternehmerschaft
Der § 6 Abs. 5 S. 3 EStG regelt Konstellationen, bei denen teilweise stille Reserven auf andere Steuerpflichtige übergehen. Die Übertragung der stillen Reserven ist grundsätzlich nicht möglich und die Verlagerung der stillen Reserven an andere Steuerpflichtige führt prinzipiell zur Aufdeckung der stillen Reserven. § 6 Abs. 5 S. 3 EStG regelt daher Ausnahmekonstellationen und bricht damit das Subjektsteuerprinzip durch.
Wie bereits oben dargestellt, verbleiben bei einer Übertragung der Wirtschaftsgüter zwischen dem Gesamthandsvermögen und der beteiligungsidentischen Schwestergesellschaft die stillen Reserven bei denselben Steuerpflichtigen. Dennoch führt der Wirtschaftsguttransfer zur Aufdeckung der stillen Reserven. Dies stellt ebenfalls eine Ungleichbehandlung dar.
3. Keine sachlichen Rechtfertigungsgründe für die Ungleichbehandlung
a. Die Ungleichbehandlung gegenüber in § 6 Abs. 5 S. 1 EstG genannten Vergleichsgruppe
Für die Ungleichbehandlung des Wirtschaftsguttransfers zwischen dem Gesamthandsvermögen und der beteiligungsidentischen Schwestergesellschaft gegenüber dem Wirtschaftsguttransfer zwischen verschiedenen Betriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen bestehen keine sachlichen Gründe.
Zunächst wird die Ungleichbehandlung nicht dadurch gerechtfertigt, dass durch eine entsprechende Vertragsgestaltung, etwa durch Kettenübertragung vergleichbare Steuerbegünstigung erreicht werden kann. Obwohl es von manchen Finanzämtern anerkannt wird, ist dieses Verhalten nicht zweifelsfrei legal. Diese Praktiken können als Gestaltungsmissbrauch im Sinne des § 42 AO angesehen werden. Außerdem führt die Kettenübertragung zu einem unzumutbaren finanziellen Risiko, insbesondere da die Transferkosten mehrmals anfallen. Unter Umständen kann die späte Übertragung auch einer Gläubigeranfechtung im Falle der Insolvenz ausgesetzt sein.
Bei der Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen dem Gesamthandsvermögen und der beteiligungsidentischen Schwestergesellschaft entsteht keine gesteigerte Leistungsfähigkeit. Die stillen Reserven werden dem gleichen Steuerpflichtigen in derselben Höhe anteilig zugerechnet.
Auch der zivilrechtliche Rechtsträgerwechsel bei der Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen dem Gesamthandsvermögen und der beteiligungsidentischen Schwestergesellschaft ist kein Rechtfertigungsgrund. Durch die Normierung der Ausnahmefälle in § 6 Abs. 5 S. 3 EStG hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass die Buchwertübertragung in bestimmten Fällen auch bei einem Rechtsträgerwechsel möglich ist. In den in § 6 Abs. 5 S. 3 EStG aufgeführten Fällen führt der Wirtschaftsguttransfer sogar zur Durchbrechung des Subjektsteuerprinzips. Da bei der Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen dem Gesamthandsvermögen und der beteiligungsidentischen Schwestergesellschaft das Subjektsteuerprinzip unberührt bleibt, sollen diese Vorgänge erst recht begünstigt werden, da keine Verlagerung der stillen Reserven erfolgt.
Die Nichteinbeziehung der Übertragung der Wirtschaftsgüter zwischen dem Gesamthandsvermögen und der beteiligungsidentischen Schwestergesellschaft kann auch nicht mit dem Argument gerechtfertigt werden, dass dies zur Verhinderung missbräuchlicher Gestaltungen erfolgt. Das Missbrauchspotenzial genügt nicht, um die vorliegende Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Der Gesetzgeber kann zwar eine gesetzliche Typisierung vornehmen, diese muss aber realitätsgerecht und an typischen Fällen orientiert sein. Es ist nicht ersichtlich, dass die steuerneutrale Übertragung zwischen den beteiligungsidentischen Schwestergesellschaften typischerweise zu den missbräuchlichen Zwecken der Erlangung von Steuervorteilen anstatt des unternehmerischen Zwecks einer Umstrukturierung genutzt würde.
Der Missbrauch kann zudem auch dadurch verhindert werden, dass eine Sperrfrist nach § 6 Abs. 5 S. 4 EStG nicht nur auf einzelne Wirtschaftsgüter, sondern auch auf die Mitunternehmeranteile der beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaft angewendet wird.
b. Die Ungleichbehandlung gegenüber in § 6 Abs. 5 S. 3 EstG genannten Vergleichsgruppen
Auch die Ungleichbehandlung gegenüber dem Wirtschaftsguttransfer im Kreis der Mitunternehmerschaft ist nicht gerechtfertigt.
Das Ziel des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes, die Umstrukturierungen in Personenunternehmen zu erleichtern, rechtfertigt die Ungleichbehandlung nicht, da der Gesetzgeber keine sachgerechte Abgrenzung des Begünstigtenkreises getroffen hat. Es besteht kein sachlicher Grund, warum die Übertragungen von Wirtschaftsgütern zwischen dem Gesamthandsvermögen und der beteiligungsidentischen Schwestergesellschaft nicht begünstigt werden sollten, da in diesem Fall die stillen Reserven bei demselben Steuerpflichtigen verbleiben, wohingegen sie bei im Rahmen der Mitunternehmerschaft neu zugeordnet werden. Wenn der Wirtschaftsguttransfer innerhalb der Mitunternehmerschaft begünstigt wird, muss erst recht der Wirtschaftsguttransfer zwischen dem Gesamthandsvermögen und der beteiligungsidentischen Schwestergesellschaft begünstigt werden. Der Begünstigungsausschluss erscheint zudem als willkürlich zu sein, da die steuerneutrale Übertragung zum Buchwert auf anderem, aber dafür risikoreichen und kostenintensiveren Wege erreicht werden kann. Es leuchtet nicht ein, warum die die Direktübertragung zur Aufdeckung der stillen Reserven führen soll, aber die Einzelübertragungen nicht.
Abzulehnen war schließlich auch das Argument, dass die Ungleichbehandlung durch die Wiederherstellung des Mitunternehmererlasses gerechtfertigt war. Das BVerfG behandelt dieses Argument als „rechtshistorischen Befund“ und weist darauf hin, dass unter der Geltung des Mitunternehmererlasses die Rechtsprechung des BFH die Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen dem Gesamthandsvermögen und der beteiligungsidentischen Schwestergesellschaft zum Buchwert ermöglicht hat.
V. Feststellung der Unvereinbarkeit der Norm mit dem Grundgesetz
Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass § 6 Abs. 5 S. 3 EStG mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist. Die Norm soll jedoch im Interesse der Rechtssicherheit bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber weitergelten mit der Maßgabe, dass die Vorschrift auch für Übertragungen von Wirtschaftsgütern zwischen dem Gesamthandsvermögen und der beteiligungsidentischen Schwestergesellschaft gilt.
Auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat der Gesetzgeber bereits reagiert. Der derzeit noch nicht veröffentlichte Referentenentwurf des Jahressteuergesetzes 2024 sieht unter anderem auch Änderungen des § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG vor. Die Norm soll um eine Nr. 4 ergänzt werden, die eine steuerneutrale Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen personenidentischen Schwestergesellschaften ermöglicht.