BGH II ZR 91/21
Treuepflichten eines Gesellschafter-Geschäftsführers

07.07.2023

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
08.11.2022
II ZR 91/21
WM 2023, 376 = ZIP 2023, 631

Leitsatz | BGH II ZR 91/21

  1. Dem Gesellschafter einer GmbH steht kein Anspruch gegen den Geschäftsführer auf Unterlassung der Einreichung einer zu seinen Lasten materiell unrichtigen Gesellschafterliste zum Handelsregister wegen drohender Verletzung organschaftlicher Pflichten zu.
  2. Ein Gesellschafter einer GmbH, der seine Stellung als Geschäftsführer dadurch missbraucht, dass er eine materiell unrichtige Gesellschafterliste zum Handelsregister einreicht, um damit eigennützige Interessen durchzusetzen, verletzt seine gesellschafterliche Treuepflicht gegenüber dem von der Unrichtigkeit nachteilig betroffenen Gesellschafter.
  3. Gegen den Gesellschaftergeschäftsführer einer GmbH, der unter Verletzung seiner gesellschafterlichen Treuepflicht eine materiell unrichtige Gesellschafterliste einreichen will, steht dem von der Unrichtigkeit nachteilig betroffenen Gesellschafter ein Unterlassungsanspruch zu, den er mit der vorbeugenden Unterlassungsklage geltend machen kann.

Sachverhalt | BGH II ZR 91/21

Der Kläger und die Beklagte zu 1 sind im Handelsregister aufgenommene Gesellschafter einer GmbH mit Stammkapital von 25.000€ (Beklagte zu 2). Die Beklagte zu 1 ist auch Geschäftsführerin der GmbH. Ursprünglicher Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Beklagten zu 2 war der 2013 verstorbene A. Dieser hatte in seinem Testament festgelegt, dass 80% seiner Anteile an die Beklagte zu 1 und 20% an den Kläger gehen sollten. Nach dem Tod beantragte die Beklagte zu 1 einen Erbschein, der sie als Alleinerbin ausweisen sollte und trat einen Geschäftsanteil in Höhe von 5.000€ unter der aufschiebenden Bedingung der Erteilung "des beantragten Erbscheins“, an den Kläger ab. Danach nahm die Klägerin ihren Antrag zurück, erklärte die Anfechtung der Anteilsabtretung und die Anfechtung des Testaments. Im August 2016 wurde der Beklagten zu 1 auf erneuten Antrag ein Erbschein erteilt. Daraufhin wurde eine neue Gesellschafterliste eingereicht, die den Kläger mit einem Geschäftsanteil von 5.000€ und den Erblasser als weiteren Gesellschafter mit einem Anteil von 20.000€ auswies. Im September 2017 wurde eine geänderte Gesellschafterliste eingereicht, die statt des Erblassers die Beklagte zu 1 auswies, diese wurde im Verlauf zur Geschäftsführerin berufen und ins Handelsregister eingetragen. Im Januar 2020 forderte der Kläger die Beklagte zu 1 zur Einberufung einer Gesellschafterversammlung auf, deren Gegenstand ihre Abberufung wegen Pflichtverletzungen sein sollte. Nach Drohung der Beklagten erwirkte der Kläger eine einstweilige Anordnung, mit der beiden Beklagten die Einreichung einer ihn nicht mehr als Gesellschafter mit einem Geschäftsanteil i.H.v. 5.000 € ausweisenden Gesellschafterliste untersagt wurde. Der Kläger begehrt die gleichlautende Verurteilung im Hauptsacheverfahren. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.

Entscheidung | BGH II ZR 91/21

Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Kläger die Beklagte zu 1 aus dem Gesellschaftsverhältnis auf Unterlassung in Anspruch nehmen kann. Dieser Anspruch folgt aus der ihr als Gesellschafterin obliegenden gesellschafterlichen Treuepflicht.

Der Kläger hat zunächst keinen Anspruch gegen die Beklagte als Geschäftsführerin. Umstritten war, ob ein Gesellschafter einen Anspruch auf Unterlassung der Einreichung einer zu seinen Lasten unrichtigen Gesellschafterliste nur gegen die Gesellschaft oder auch gegen den Geschäftsführer hat. Diese Frage wurde von dem Senat noch nicht entschieden, er verneinte sie aber im vorliegenden Urteil. Grundsätzlich beruht der Anspruch des Gesellschafters auf der gesellschafterlichen Treuepflicht. Aufgrund derer ist es der Gesellschaft verwehrt, rechtswidrig in die Mitgliedschaft und der dazu gehörenden formellen Gesellschafterstellung des Gesellschafters einzugreifen. Zwischen dem Geschäftsführer und Gesellschafter besteht jedoch keine unmittelbare Rechtsbeziehung, denn der Geschäftsführer ist allein der Gesellschaft gegenüber treuepflichtig. Hierfür spricht auch, dass nach dem allgemeinen Grundsatz der Haftungskonzentration gem. § 43 Abs. 2 GmbHG der Geschäftsführer nur gegenüber der Gesellschaft und nicht direkt gegenüber den Gesellschaftern haftet. Zwar hat er eine allgemeine Pflicht, bei entdeckten Fehlern in der Gesellschafterliste diese zu berichtigen. Dies folgt aber allein aus der allgemeinen Sorgfaltspflicht und nicht aus einer rechtlichen Beziehung zu den Gesellschaftern. Zwar ist die Einreichungszuständigkeit in § 40 Abs. 1 Satz 1 GmbHG als höchstpersönliche Pflicht ausgestaltet, trotzdem handelt der Geschäftsführer bei ihrer Ausführung nur als organschaftlicher Vertreter der Gesellschaft. Schließlich kann auch aus dem Bestehen eines sekundärrechtlichen Schadensersatzanspruches gem. § 40 Abs. 3 GmbHG nicht auf einen unmittelbaren, primärrechtlichen Erfüllungsanspruch des Gesellschafters gegen den Geschäftsführer geschlossen werden. Vielmehr folgt aus den Gesetzesmaterialen, dass der primäre Erfüllungsanspruch nur gegen die Gesellschaft besteht.

Der Kläger hat jedoch einen solchen Anspruch gegen die Beklagte als Gesellschafterin. Diese verstößt nämlich auch gegen ihre gesellschafterliche Treuepflicht, wenn sie die Befugnis als Geschäftsführerin eine geänderte Liste einzureichen, missbraucht. Denn die Mitgesellschafter einer GmbH trifft eine wechselseitige Treuepflicht, nach der sie zur Rücksichtnahme auf die unterschiedlichen Interessen der Mitgesellschafter verpflichtet sind. Zwar entfaltet die unrichtige Liste keine materielle Wirkung hinsichtlich der Gesellschafterstellung. Allerdings können aufgrund der negativen Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 GmbHG keine Mitgliedschaftsrechte, wie Beteiligungen an Entscheidungen mehr wahrgenommen werden. Dies beeinträchtigt in gravierender Weise die gesellschaftsbezogenen Interessen des betroffenen Gesellschafters. Eine Treuepflichtverletzung liegt besonders dann vor, wenn die unrichtige Gesellschafterliste eingereicht wird, um eigennützige Interessen zu verfolgen. Dies war vorliegend der Fall, da die angedrohte Änderung erst in Betracht gezogen wurde, als der Kläger die Abberufung der Beklagten zu 1 verlangte. Damit diente die Änderung allein dazu, den Kläger aus der Gesellschaft zu drängen.

Die Streichung des Klägers aus der Gesellschafterliste wäre auch materiell unrichtig. Zunächst trägt der Einwand nicht, die aufschiebende Bedingung sei nicht eingetreten. Die Bedingung bezog sich nicht nur auf die erste Beantragung des Erbscheins, sondern dass überhaupt einen Erbschein erteilt wurde. Auch die als Anfechtungsgrund aufgeführte Befürchtung steuerlicher Risiken berechtigt nicht zur Anfechtung. Es kann dahinstehen, ob die Abtretung nichtig war, weil der Notar die Urkunde nicht vorgelesen hatte. Denn die Beklagte zu 1 kann sich zumindest nach Treu und Glauben nicht auf die Unwirksamkeit berufen, da sie aufgrund des Vermächtnisses weiterhin zur Abtretung an den Kläger verpflichtet wäre. Mangels Anfechtungsgrund, konnte das Testament nicht angefochten werden. Auch konnte die Beklagte keine Verjährungseinrede erheben. Dies wäre treuwidrig, weil sie selbst den Kläger durch das erneute Stellen des Erbscheinantrags und den anschließenden Bedingungseintritt von einer verjährungshemmenden Geltendmachung des Anspruchs abgehalten hat.

Somit steht dem Kläger gegen den Gesellschaftergeschäftsführer ein Unterlassungsanspruch zu. Die schuldhafte Verletzung der gesellschafterlichen Treuepflicht verpflichtet die Beklagte zu 1 zum Schadensersatz und zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands, §§ 280 Abs. 1, 249 ff BGB. Bei einer Erstbegehungsgefahr kann sich daraus auch ein vorbeugender Unterlassungsanspruch ergeben. Durch die Drohung besteht eine solche ernsthaft drohende Beeinträchtigung.

 

Praxishinweis | BGH II ZR 91/21

Der BGH stellt in dem vorliegenden Urteil klar, dass eine Sorgfaltspflichtverletzung als Geschäftsführer nicht zu einem Berichtigungs- oder Unterlassungsanspruch in Bezug auf eine fehlerhafte Gesellschafterliste gegen den Geschäftsführer führt. Möglich ist ein solcher Anspruch jedoch gegen den Gesellschaftergeschäftsführer, wenn dieser gegen seine gesellschafterliche Treuepflicht verstößt, indem er seine Geschäftsführerstellung zur Durchsetzung eigennütziger Interessen missbraucht. Ein solcher Anspruch besteht neben dem gegen die anspruchsverpflichtete Gesellschaft selbst.