BFH II R 38/20
Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs bei einer Kapitalgesellschaft

30.08.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BFH
25.04.2023
II R 38/20
NZG 2023, 1337

Leitsatz | BFH II R 38/20

  1. Die tatsächliche und vollständige Rückgängigmachung im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) setzt grundsätzlich die Löschung einer zugunsten des Ersterwerbers eingetragenen Auflassungsvormerkung voraus.
  2. Die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG ist allerdings nur dann ausgeschlossen, wenn der Ersterwerber bei der Rückgängigmachung des Grundstückserwerbs den aufgrund der Auflassungsvormerkung bestehenden Anschein einer Rechtsposition in seinem eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet hat.
  3. Ist die Ersterwerberin eine Kapitalgesellschaft, muss sie sich die Interessen ihrer Gesellschafter beziehungsweise Geschäftsführer zurechnen lassen.

Sachverhalt | BFH II R 38/20

Die Kl. erwarb als GmbH in Gründung mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 05.07.2016 Grundbesitz. Zugunsten der Kl. wurde eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch am 15.07.2016 eingetragen. Das zuständige FA setzte daraufhin mit Bescheid vom 25.08.2016 gegen die Kl. Grunderwerbsteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest.

Am 09.05.2017 schloss die Kl. – vertreten durch ihre Geschäftsführer (und mittelbaren Gesellschafter) G und H – einen notariell beurkundeten Vertrag über die Aufhebung des Grundstückskaufvertrages vom 05.07.2016, da die nötige Finanzierung für die mit dem Grundbesitz zusammenhängenden Brauprojekten scheiterte. Gemäß den Vertragsbestimmungen wurde die Auflassung aufgehoben sowie die Verkäuferin verpflichtet, den bereits gezahlten Kaufpreis an die Kl. zurückzuzahlen. Darüber hinaus wurde die Löschung der Auflassungsvormerkung beantragt und die Notarin beauftragt, den Aufhebungsvertrag dem Grundbuchamt und dem FA vorzulegen, sobald ihr die Rückzahlung des Kaufpreises an die Kl. nachgewiesen worden sei. Trotz Anmahnungen der Kl. erfolgte keine Rückzahlung des Kaufpreises.

Mit notariell beurkundeten Kaufverträgen vom 29.06.2017 wurden die ursprünglich von der Kl. erworbenen Grundstücke durch G und H von der ehemaligen Verkäuferin erworben. Der Kaufpreis wurde seitens der Neuerwerber durch Zahlung unmittelbar an die Kl. erbracht. Diesbezüglich erfolgten – nicht streitgegenständliche – Grunderwerbsteuerfestsetzungen.

Am 15.01.2018 wurde die Löschung der zugunsten der Kl. eingetragenen Auflassungsvormerkung beim Grundbuchamt durch die Notarin beantragt, welche am 18.06.2018 erfolgte.

Am 09.06.2017 beantragte die Kl. beim FA die Aufhebung der Grunderwerbsteuerfestsetzung vom 25.08.2016 gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 des GrEStG, da der Erwerbsvorgang innerhalb von zwei Jahren rückgängig gemacht worden sei. Das FA lehnte den Antrag ab. Nach erfolglos durchgeführtem Einspruchsverfahren wies das FG die Klage als unbegründet ab. Hiergegen richtet sich die Revision der Kl.

Entscheidung | BFH II R 38/20

Die Revision ist unbegründet. Nach Ansicht des BFH ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Grunderwerbsteuerfestsetzung für den Grundstückserwerb vom 05.07.2016 nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG nicht erfüllt sind.

Die „Rückgängigmachung“ eines Erwerbsvorgangs i.S.d. § 16 Abs. 1 GrEStG liege vor, wenn neben der zivilrechtlichen Aufhebung des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts die Vertragspartner sich derart von ihren vertraglichen Bindungen gelöst haben, dass die Verfügungsmöglichkeit über das Grundstück nicht mehr beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt. Im Falle einer weiteren Veräußerung eines Grundstücks im Zusammenhang mit der Aufhebung eines Kaufvertrags, sei für die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG entscheidend, ob trotz der Aufhebung des Vertrags die Möglichkeit für den früheren Erwerber bestand, eine aus dem „rückgängig gemachten“ Erwerbsvorgang resultierende Rechtsposition zu verwerten.

Die tatsächliche und vollständige Rückgängigmachung i.S.d. § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erfordere grundsätzlich die Löschung einer zugunsten des Ersterwerbers eingetragenen Auflassungsvormerkung, denn die Auflassungsvormerkung beeinträchtige die Verkehrsfähigkeit eines Grundstücks unabhängig vom Fortbestand des zivilrechtlichen Übereignungsanspruchs. Die Beeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit entfalle erst, wenn der Erwerber des Grundstücks dem Veräußerer eine Löschungsbewilligung in der gebotenen Form für das Grundbuch erteilt hat und der Veräußerer im Verhältnis zum Erwerber uneingeschränkt darüber verfügen kann, ohne Einflussnahme seitens des Erwerbers. Wurde zwar die Löschungsbewilligung gem. § 19 GBO erteilt, der Antrag auf Löschung gem. § 13 GBO jedoch – wie im Rechtsverkehr üblich und vorliegend der Fall – schuldrechtlich noch von der Rückzahlung des ursprünglich gezahlten Kaufpreises abhängig ist, könne der ursprüngliche Veräußerer im Verhältnis zum Erwerber noch nicht frei über das Grundstück verfügen.

Die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG sei jedoch nur ausgeschlossen, wenn der Ersterwerber nach der Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs bei einer erneuten Veräußerung die verbliebene Rechtsposition oder den Anschein der Rechtsposition auch in seinem eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet hat. In diesem Zusammenhang müsse sich eine Kapitalgesellschaft als Ersterwerberin die Interessen der für sie handelnden Personen zurechnen lassen.

Nach Auffassung des BFH hat das Finanzgericht ausgehend von den vorstehenden Rechtsgrundsätzen zutreffend festgestellt, dass die Kl. trotz der Aufhebung des ursprünglichen Kaufvertrags und der Erteilung der Löschungsbewilligung für die eingetragene Auflassungsvormerkung Einfluss auf die weitere Veräußerung nehmen konnte und dass diese Einflussmöglichkeit auch in ihrem eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet wurde. Die noch eingetragene Auflassungsvormerkung im Zeitpunkt des Erwerbs des Grundstücke durch G und H am 29.06.2017 habe zumindest den Rechtsschein vermittelt, dass der Kl. weiterhin ein Übereignungsanspruch zustand, wodurch sie Einfluss auf die Weiterveräußerung nehmen konnte. Die Kl. habe diesen Rechtsschein zudem im eigenen wirtschaftlichen Interesse verwertet, da die Veräußerung der Grundstücke an die Geschäftsführer und mittelbaren Gesellschafter der Kl. letztlich der Verwirklichung des von der Kl. betriebenen Bauprojekts diente.

Praxishinweis | BFH II R 38/20

Die Frage, unter welchen Voraussetzungen die „Rückgängigmachung“ eines Grundstückserwerbs i.S.v. § 16 Abs. 1 GrEStG und somit die Nichtfestsetzung bzw. Aufhebung einer Grunderwerbsteuerfestsetzung möglich ist, ist aufgrund der hohen Praxisrelevanz immer wieder Gegenstand von Streitigkeiten vor den Finanzgerichten. Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG die zivilrechtliche Aufhebung des den Steuertatbestand auslösenden Rechtsgeschäfts sowie die Wiedererlangung der ursprünglichen Rechtsposition durch den Veräußerer voraus. Ist also die Eintragung einer Auflassungsvormerkung zugunsten des Ersterwerbers erfolgt, muss diese für die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG gelöscht werden. Diese restriktive Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG durch den BFH ist der hohen Gefahr der missbräuchlichen Rückerstattung von Grunderwerbsteuer geschuldet.

Zu beachten ist, dass nach den Grundätzen des BFH eine nach Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs verbliebene Rechtsposition (bzw. Rechtsschein) beim Ersterwerber nur zum Ausschluss der grunderwerbsteuerlichen Rückabwicklung führt, wenn der Ersterwerber diese Rechtsposition auch im eigenen wirtschaftlichen Interesse verwertet hat. Die Feststellung, ob eine Rechtsposition im eigenen Interesse verwertet wurde, ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Tatsachen zu treffen.