05.02.2025
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
BGH
22.02.2024
IX ZR 106/21
NJW-RR 2024, 540
Näheverhältnis aufgrund mittelbarer Beteiligung an insolventer Gesellschaft [ PDF ]
Ist der Schuldner eine juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, so sind nahestehende Personen auch solche, die mittelbar zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligt sind.
Der Kläger ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin, welches auf Eigenantrag hin am 30.10.2013 eröffnet wurde. Der Beklagte, ein eingetragener Verein, ist Alleingesellschafter der M-GmbH, welche wiederum die alleinige Gesellschafterin der Schuldnerin ist. Die Schuldnerin überwies mehrfach Gelder von ihrem Geschäftskonto an die Beklagte, zuletzt am 16.07.2013 einen Betrag von 146.400 EUR. Der Anlass und die rechtliche Grundlage dieser Zahlungen sind zwischen den Parteien umstritten.
Der Kläger verlangt im Rahmen der Insolvenzanfechtung die (Rück-)Zahlung von insgesamt 296.700 EUR zuzüglich Zinsen und außergerichtlichen Anwaltskosten. Die Parteien streiten insbesondere über die Frage, ob der Beklagte Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit hatte. Das LG Regensburg hat die Klage abgewiesen. Auch die Berufung vor dem OLG Nürnberg blieb erfolglos.
Die Revision des Klägers hat Erfolg, sodass das angefochtene Urteil im Umfang der Zulassung aufzuheben und die Sache an das BerGer. zurückzuverweisen ist.
Entgegen der Auffassung des BerGer. sei die Kenntnis des Beklagten von einer etwaigen Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin im Zeitpunkt der Überweisung i.H.v. 146.400 EUR vom 16.07.2013 gem. § 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 3 InsO zu vermuten. Denn der Bekl. sei aufgrund seiner mittelbaren Beteiligung von mehr als 25 % an der Schuldnerin als nahestehende Person gem. § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO einzuordnen. Daher werde gem. § 130 Abs. 3 InsO vermutet, dass er eine etwaige Zahlungsunfähigkeit kannte.
Ist der Schuldner – wie hier – eine juristische Person, seien gem. § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO u.a. Personen als nahestehend einzuordnen, die zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligt sind. Der BGH stellt diesbezüglich ausdrücklich klar, dass die Vorschrift auch mittelbare Beteiligungen erfasse. Dies ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte, dem Regelungszusammenhang und Sinn und Zweck des Gesetzes. Die Bestimmung des § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO basiere auf der Annahme, dass Personen, die mit mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligt sind, besondere Möglichkeiten haben, sich über die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu informieren. Diese Informationsmöglichkeit wird typischerweise bei einer Kapitalbeteiligung von über 25 % unwiderleglich vermutet. Dies müsse nach dem Grundgedanken der Regelung auch gelten, wenn die Beteiligung von mehr als 25 % durch die Einschaltung einer weiteren natürlichen oder juristischen Person oder einer anderen Personenvereinigung erreicht wird. Für die eine mittelbare Beteiligung begründende Abhängigkeit genüge der Mehrheitsbesitz der Anteile (gemäß § 16 AktG); die Unternehmenseigenschaft des Inhabers spiele hierbei keine Rolle.
Abschließend führt der BGH aus, dass die vom Bekl. erhobene Verjährungseinrede dem geltend gemachten Anspruch nicht entgegenstehe. Die Verjährung sei jedenfalls durch die am 21.12.2016 erfolgte Zustellung des Mahnbescheids rechtzeitig gem. § 204 I Nr. 3 BGB gehemmt worden.
Nach der Rechtsprechung des BGH komme es für die Hemmung der Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB nicht auf die Zulässigkeit, sondern allein auf die Wirksamkeit des Mahnbescheids an. Der Kläger könne jedoch im Einzelfall aufgrund von Rechtsmissbrauch (§ 242 BGB) daran gehindert sein, sich auf die durch die Einreichung oder Zustellung des Mahnantrags vor Ablauf der Verjährungsfrist (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB) gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB, § 167 ZPO bewirkte Hemmung der Verjährung zu berufen. Dies sei der Fall, wenn er im Mahnantrag bewusst die nach § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO erforderliche Erklärung, dass der Anspruch nicht von einer Gegenleistung abhängt oder die Gegenleistung bereits erbracht wurde, falsch abgegeben hat. Der Beklagte gehe zu Unrecht davon aus, dass der Anfechtungsanspruch als ein von einer Gegenleistung abhängiger Anspruch anzusehen sei. Aus § 144 Abs. 1 InsO ergebe sich nicht, dass die Geltendmachung des Anfechtungsanspruchs gemäß § 143 InsO i.S.v. § 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO von einer noch nicht erbrachten Gegenleistung abhängt. Nach dieser Vorschrift setze das Wiederaufleben der Forderung die tatsächliche Rückgewähr des Empfangenen voraus; die bloße Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs genüge dafür nicht. Ein Zurückbehaltungsrecht des Anfechtungsgegners wegen der wiederauflebenden Forderung sei im Anfechtungsprozess ausgeschlossen.
Für Personen, die dem Schuldner nahestehen, ordnet das Insolvenzanfechtungsrecht gleich mehrere Sonderbehandlungen an. Dies betrifft einerseits die Vermutungen hinsichtlich der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit (§ 130 Abs. 3 InsO), des Eröffnungsantrags (§ 130 Abs. 3 InsO) und der Gläubigerbenachteiligung (§ 131 Abs. 2 InsO) und andererseits den speziellen Anfechtungstatbestand nach § 133 Abs. 4 InsO, der für entgeltliche Verträge gilt, die innerhalb von zwei Jahren vor dem Eröffnungsantrag abgeschlossen wurden, sowie die Erstreckung der Anfechtung gemäß § 145 Abs. 2 Nr. 2 InsO auf Rechtsnachfolger. Eine Legaldefinition der „nahestehenden“ Person findet sich in § 138 InsO.
Handelt es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, sind nahestehende Personen gem. § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO u. a. solche, die zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligt sind. Nach Auffassung des BGH ist für eine Einordnung als „nahestehende Person aufgrund einer Kapitalbeteiligung von über 25%“ auch eine mittelbare Beteiligung ausreichend. Damit hat sich der BGH der herrschenden Ansicht in der Literatur angeschlossen. Zudem ist die Zurechnung mittelbarer Beteiligungen – wie der BGH zutreffend hervorhebt – ein anerkannter Grundsatz im Kapitalgesellschaftsrecht. Dass mittelbare Beteiligungen zu berücksichtigen sein können, war nach der Rechtsprechung des BGH bereits für den Gesellschafterbegriff der §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO anerkannt.
Erwähnenswert an dieser Stelle ist auch, dass der BGH die Vorinstanz darauf hinweist, dass sich die Beweislastumkehr in § 130 III InsO lediglich auf die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit bezieht. Demzufolge hat der Insolvenzverwalter auch bei der Anfechtung einer Zahlung an eine nahestehende Person die objektiven Tatbestandsmerkmale einschließlich der objektiven Zahlungsunfähigkeit zum Zeitpunkt der anfechtbaren Rechtshandlung vollständig zu beweisen.