BGH II ZR 71/23
Keine zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung bei Abberufung eines Geschäftsführers durch nach Satzung unzuständige Gesellschafterversammlung

16.09.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
16.07.2024
II ZR 71/23
ZIP 2024, 1778

Leitsatz | BGH II ZR 71/23

  1. Gesellschafterbeschlüsse einer GmbH, die gegen die in der Satzung festgelegte, nicht auf zwingenden gesetzlichen Vorschriften beruhende Kompetenzverteilung verstoßen, sind lediglich anfechtbar.
  2. Die Abberufung eines Geschäftsführers durch die nach der Satzung dafür nicht zuständige Gesellschafterversammlung ist keine zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung.
     

Sachverhalt | BGH II ZR 71/23

Die Beklagte ist eine GmbH, der Kläger ist deren Geschäftsführer. Einziger Gesellschafter der Beklagten-GmbH ist der Hannoverscher Sportverein von 1896 e.V. 
Die Beklagte GmbH ist die alleinige Komplementärin der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA, die ihrerseits die Profifußballmannschaft „Hannover 96“ des Vereins unterhält.

Der Kläger hält des Weiteren mittelbar sämtliche Kommanditanteile an der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG, die wiederum einzige Kommanditaktionärin der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA ist.

Der Kläger hat insoweit als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH und als (mittelbarer) einziger Aktienkommanditist der KGaA maßgeblichen Einfluss auf die Profi-Fußball-Mannschaft des Hannover-96-e.V.

Der Geschäftsführer der Beklagten-GmbH wird durch deren vier Aufsichtsratsmitglieder ernannt. Zwei Aufsichtsratsmitglieder werden durch den Aufsichtsrat der KGaA und zwei weitere vom Hannoverscher Sportverein von 1896 e. V. ernannt.

In einem sog. „Hannover-96-Vertrag“ haben der Hannoverscher Sportverein von 1896 e.V., die Hannover 96 GmbH & Co. KGaA und die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG unter anderem vereinbart, dass die Satzung der Beklagten nicht ohne vorherige schriftliche Zustimmung der Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG geändert werden darf. 

Weiterer elementarer Bestandteil des Vertrages war, dass die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG Mitwirkungsrechte bei der Bestellung und Abberufung des Geschäftsführers der Beklagten hat.

In einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung der Beklagten-GmbH fassten Vertreter des Hannoverscher Sportverein von 1896 e.V. einen notariell beurkundeten Beschluss über die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer der Beklagten mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund im Wege eines „satzungsdurchbrechenden Beschlusses“. Als Begründung wurde die beharrliche Weigerung des Geschäftsführers genannt, Weisungen der Gesellschafterversammlung umzusetzen.

Hiergegen wendet sich der Kläger. Er ist der Ansicht, der Beschluss sei nichtig oder jedenfalls anfechtbar.

Entscheidung | BGH II ZR 71/23

Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Beschluss über die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer der Beklagten ist nicht nichtig.

Der Abberufungsbeschluss sei nicht mit dem Wesen der GmbH unvereinbar und damit nicht entsprechend § 241 Nr. 3 AktG nichtig. Nur eine Verletzung der tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts könne eine Unvereinbarkeit des Beschlusses mit dem Wesen der GmbH begründen. Satzungsbestimmungen, die dem fakultativen Aufsichtsrat der Gesellschaft die Kompetenz zur Abberufung des Geschäftsführers zuweisen, würden nicht dazu gehören. Auch die Beachtung des sogenannten Hannover-96-Vertrags zähle nicht zu den tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts. Der Streit um die Folgen einer Verletzung dieses Vertrags sei inter partes auszutragen.

Der Abberufungsbeschluss sei auch nicht entsprechend § 241 Nr. 4 AktG nichtig. Weder verstoße der Beschluss durch seinen Inhalt gegen die guten Sitten noch begründe er eine sittenwidrige Schädigung nicht anfechtungsberechtigter Personen. Der bloße Verstoß gegen eine Satzungsbestimmung mache einen Gesellschafterbeschluss anfechtbar, aber nicht sittenwidrig. Ebenso wenig ergebe sich aus einer Verletzung des Hannover-96-Vertrags oder einer Gesamtbetrachtung die Sittenwidrigkeit des Beschlusses.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts stelle sich schließlich nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Der Beschluss über die Abberufung als Geschäftsführer sei weder unter dem Gesichtspunkt einer sogenannten zustandsbegründenden Satzungsdurchbrechung nichtig noch sei der Kläger, der nicht Gesellschafter der Beklagten ist, befugt, sich im Rahmen einer Anfechtungsklage auf die von ihm geltend gemachte Verletzung der Satzung der Beklagten zu stützen.

Praxishinweis | BGH II ZR 71/23

Die Entscheidung dürfte praktischen Handlungsbedarf bei solchen Gesellschaften begründen, die Entscheidungskompetenzen von der Gesellschafterversammlung auf den Aufsichtsrat verschoben haben. Eine bezweckte (partielle) „Entmachtung“ der Gesellschafterversammlung zugunsten des Aufsichtsrats dürfte unter Berücksichtigung des Urteils kaum noch rechtssicher in der Satzung abzubilden sein. Obwohl die Entscheidung einige Fragen offenlässt, ist die Klärung zweier Grundprobleme des Gesellschaftsrechts zu begrüßen: Die Satzungsdurchbrechung und die Wirkung schuldrechtlicher Nebenabreden auf die korporationsrechtliche Ebene.

Die Entscheidung verleiht dem Begriff der punktuellen Satzungsdurchbrechung schärfere Konturen (zum Streitstand vgl. übersichtshalber BeckOGK/Born, 1.5.2024, GmbHG § 53 Rn. 59.1). Es kommt nicht darauf an, ob der geschaffene tatsächliche Zustand dauerhafter Natur ist, sondern darauf, ob sich die Satzung selbst materiell dauerhaft ändert bzw. ein von der Satzung abweichender Zustand dauerhaft begründet wird. Auseinanderzuhalten sind insoweit der (durchbrechende) Beschluss und dessen Folgen. Mit Blick auf die Abberufung des Geschäftsführers ist nur der Abberufungsbeschluss satzungsdurchbrechend. Der damit geschaffene Zustand hätte auch durch das zuständige Organ herbeigeführt werden können. Diese Abgrenzung ist mit Blick auf den verfolgten Schutz des Rechtsverkehrs zweckmäßig. Der nun bestehende Zustand ist mit der Satzung vereinbar und der Inhalt des Handelsregisters deshalb nach wie vor richtig. Die Eintragung einer Änderung gem. § 54 Abs. 1 S. 1 GmbHG ist folglich überflüssig.

Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb angezeigt, weil es nur einen Geschäftsführer gibt. Das LG Hannover hatte in der Vorinstanz argumentiert, dass sich die Wirkung des satzungsdurchbrechenden Beschlusses nicht auf die Abberufung beschränke und mithin auch nicht punktuell sei, da hieraus ein Zwang zur Neuernennung folge (vgl. auch Mock, ZIP 2022, 2369). Dem kann nicht zugestimmt werden, da wiederum der Unterschied zwischen der Maßnahme und Folge verwässert wird. Bei satzungsgemäßer Abberufung wäre anschließend (schon wegen § 6 Abs. 1 GmbHG) ebenfalls eine Neubestellung erforderlich gewesen. Warum dieser Zustand als solcher gegen die Satzung verstoßen sollte, ist nicht ersichtlich. Etwaige Schwierigkeiten, die sich bei der Bestellung ergeben können sind lediglich tatsächliche Folgen des Beschlusses und begründen keinen rechtlich von der Satzung abweichenden Zustand.

Nicht eindeutig verhält sich der BGH zu der Frage, ob ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss der notariellen Beurkundung gem. § 53 Abs. 3 S. 1 GmbHG bedarf (Rn. 44 ff.). Dies ist zu bejahen: Die notarielle Beurkundungspflicht dient nicht nur dem Schutz des Rechtsverkehrs, sondern verfolgt auch eine Prüf- und Belehrungsfunktion (vgl. Heckschen/Stelmaszczyk in Heckschen/Heidinger Kap. 9, Rn. 27). Es leuchtet ein, dass in Ermangelung einer für den Rechtsverkehr erheblichen dauerhaften Satzungsänderung, die Registereintragung nach § 54 GmbHG entbehrlich ist (s.o.). Warum die Beurkundung aber verzichtbar sein sollte, ist nicht ersichtlich. Gerade ob der schwierigen Abgrenzung zwischen punktueller und zustandsbegründender Satzungsänderung erscheint die Beurkundung bei einem Notar erforderlich.

Die Entscheidung zur Wirkung des Stimmbindungsvertrages ist wegen der Trennung von korporationsrechtlicher und schuldrechtlicher Ebene konsequent. Ein Verstoß gegen einen Stimmbindungsvertrag, an dem Dritte – also Nicht-Gesellschafter – beteiligt sind, kann in strikter Einhaltung dieses Trennungsprinzips keine Rechtsfolgen haben, die direkt auf die Gesellschaft wirken. Dem steht auch nicht entgegen, dass der BGH zuvor die Anfechtbarkeit solcher Beschlüsse bejaht hat, die gegen einen Stimmrechtsbindungsvertrag verstoßen, an dem alle Gesellschafter einer Gesellschaft beteiligt sind (BGH NJW 1983, 1910). Dies ergibt sich aus der dogmatischen Herleitung, nach der eine Stimmrechtsvereinbarung zwischen allen Gesellschaftern zugleich einen Bestandteil der Satzung bildet. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Bestandteil der Satzung ausschließlich unter den Gesellschaftern vereinbart werden kann. Ein Dritter kann an einer solchen korporationsrechtlichen Vereinbarung denklogisch nicht beteiligt sein, ihm bleibt alleine die schuldrechtliche Ebene einer Stimmbindungsvereinbarung. Mit anderen Worten verbleibt die Stimmrechtsvereinbarung, an der nicht ausschließlich (sämtliche) Gesellschafter beteiligt sind auf der schuldrechtlichen Ebene. Solche Stimmrechtsvereinbarungen, an denen ausschließlich (alle) Gesellschafter beteiligt sind, werden hingegen auf die korporationsrechtliche (Satzungs-)Ebene gehoben und widersprechende Beschlüsse sind folgelogisch auch gleich eines Satzungsverstoßes anfechtbar. Interessante Folgefrage ist insoweit, ob ein Stimmbindungsvertrag zwischen Gesellschaftern, die gemeinsam eine (theoretisch) satzungsändernde Mehrheit bilden ausreicht, um die korporationsrechtliche Wirkung zu begründen oder ob zwingend alle Gesellschafter beteiligt sein müssen. 

Im Übrigen ist auch keine andere Behandlung angezeigt, weil es sich um eine Ein-Personen-Gesellschaft handelt. Die GmbH als juristische Person ist stets unabhängig von ihrem Gesellschafterbestand zu betrachten. Der Vertrag mit einem Alleingesellschafter darf deshalb nicht mit einem Vertrag mit der Gesellschaft gleichgesetzt werden.