12.02.2025
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
LG Darmstadt
04.03.2024
18 O 34/21
BeckRS 2024, 7682
Höchstpersönliche Stimmrechtsausübung in der Gesellschafterversammlung einer OHG [ PDF ]
1. Ein Beschluss, der regelnden Charakter hat und sich nicht als unverbindliche Meinungsäußerung darstellt (hier: Bestellung eines Versammlungsleiters), ist im Rahmen eines Klageverfahrens inhaltlich überprüfbar.
2. Voraussetzung für eine wirksame Beschlussfassung im Rahmen einer OHG-Gesellschafterversammlung ist grundsätzlich die höchstpersönliche Beteiligung aller Gesellschafter bei den Beratungen über eine Beschlussvorlage und der anschließenden Abstimmung.
3. Auch die Wahrnehmung der Rechte eines Gesellschafters durch Vertreter der rechtswahrenden Berufe oder Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bedarf grundsätzlich einer ausdrücklichen Zulassung im Vertrag.
Der Kläger und der Beklagte zu 2) sind Brüder und Söhne von B. Gemeinsam betreiben sie verschiedene Gesellschaften im Glücksspielbereich, darunter die Beklagte zu 1), an der der Kläger und der Beklagte zu 2) jeweils zu 20 % und B zu 60 % beteiligt sind. Laut Gesellschaftsvertrag sind alle Gesellschafter geschäftsführungsbefugt, alleinvertretungsbefugt und haben entsprechend ihrer Anteile Stimmrechte. Beschlüsse der Gesellschaft werden mit einfacher Mehrheit gefasst.
Am 12.05.2021 und am 26.07.2021 fanden Gesellschafterversammlungen der Beklagten zu 1) statt, wobei der Beklagte zu 2) beide Male die Wirksamkeit der Vertretung des B durch Rechtsanwalt J unter Hinweis auf die Höchstpersönlichkeit der Teilnahme an einer Gesellschafterversammlung rügte. Der Kläger behauptet, die verschiedenen Beschlüsse seien wirksam gefasst worden, darunter die Wahl von Rechtsanwalt J zum Versammlungsleiter, die Beauftragung von Anwaltskanzleien für Rechtsstreitigkeiten und der Ausschluss des Beklagten zu 2) aus der Gesellschaft. Der Beklagte zu 2) hält die gefassten Beschlüsse mangels Zulässigkeit der Vertretung für unwirksam.
Der Kläger, der behauptet, dass B ihm 39 % seiner Anteile übertragen habe, fordert nun die Feststellung der Wirksamkeit der in den Versammlungen am 12.05. und 26.07.2021 gefassten Beschlüsse hinsichtlich der Vertretung durch Rechtsanwalt J.
Der Kläger meint, es sei zulässig, sich in Gesellschafterversammlungen vertreten zu lassen. Da B Gesellschafterversammlungen gesundheitlich schwer zusetzen würden, seien die Mitgesellschafter aus Gründen der Treuepflicht auch zur Zustimmung zu einer solchen Vertretung verpflichtet. Der Beklagte zu 2) ist hingegen der Ansicht, dass eine Vertretung in Personengesellschaften ohne entsprechende vertragliche Grundlage unzulässig sei.
Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise begründet.
Zunächst stellt das LG Darmstadt fest, dass für das Begehren des Klägers – u.a. die Feststellung, dass in den streitgegenständlichen Gesellschafterversammlungen Rechtsanwalt J zum Versammlungsleiter gewählt worden ist – das Rechtsschutzbedürfnis anzunehmen sei. Grundsätzlich gelte, dass ein Beschluss, der regelnden Charakter hat und sich nicht als unverbindliche Meinungsäußerung darstellt, im Rahmen eines Klageverfahrens inhaltlich überprüfbar ist. Im Hinblick darauf, dass der Versammlungsleiter unter anderem dafür zuständig ist, die Beschlussfähigkeit festzustellen, die Stimmen der (Mit-)Gesellschafter entgegenzunehmen und bei geheimer Abstimmung auch das Abstimmungsergebnis auszuzählen und bekannt zu geben, könne den betreffenden Bestellungsbeschlüssen ein regelnder Charakter nicht abgesprochen werden.
Im Rahmen der Begründetheit beschäftigte sich das LG Darmstadt intensiv mit der Höchstpersönlichkeit der Stimmrechtsausübung in der Gesellschafterversammlung der OHG. Diesbezüglich sei § 9 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages der Beklagten zu 1) zu berücksichtigen, der lautet: „Gesellschafterbeschlüsse können mündlich oder schriftlich, telefonisch oder telegrafisch sowie innerhalb oder außerhalb einer Gesellschafterversammlung gefasst werden, wenn alle Gesellschafter sich hieran beteiligen.“
Nach Ansicht des LG Darmstadt sei diese Regelung unter Berücksichtigung des Gebots der persönlichen Rechtsausübung sowie des Umstands, dass der Gesellschafter selbst zur Förderung des Gesellschaftszwecks und damit auch zur Teilnahme an Beratung und Beschlussfassung verpflichtet ist, dahingehend auszulegen, dass Voraussetzung für eine wirksame Beschlussfassung grundsätzlich die höchstpersönliche Beteiligung aller Gesellschafter bei den Beratungen über eine Beschlussvorlage und der anschließenden Abstimmung sein sollte. Insbesondere bei einer personalistisch geprägten Familiengesellschaft wie der Beklagten zu 1) mit nur drei Gesellschaftern erscheine eine solche Regelung sachgerecht, da in einen persönlichen Meinungsaustausch unmittelbar vor der Abstimmung über eine Beschlussvorlage auch Aspekte einfließen könnten, die außerhalb des Geschäftlichen liegen, und es gerade die offene Diskussion im Familienkreis sei, die zu einer sachgerechten Lösung führe. Zudem fehle eine Regelung im Gesellschaftsvertrag bezüglich der Vertretung durch Dritte bei Gesellschafterversammlungen bzw. Abstimmungen.
Eine Ausnahme, die erlaubt ohne entsprechende Regelung im Gesellschaftsvertrag von der Höchstpersönlichkeit des Teilnahme- und Abstimmungsrechts abzuweichen, sei anzunehmen, wenn sämtliche Gesellschafter einer Vertretung zugestimmt hätten oder es die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht gebieten würde, einen gewillkürten Vertreter in der Gesellschafterversammlung zu akzeptieren. Diese Voraussetzungen lägen jedoch nicht vor. Einerseits habe der Beklagte zu 2 das Fehlen einer wirksamen Vollmacht für Rechtsanwalt J gerügt und damit zu erkennen gegeben, dass er mit einer Vertretung des B durch Rechtsanwalt J nicht einverstanden sei. Andererseits gebiete es auch die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht nicht, eine Vertretung des B durch Rechtsanwalt J zuzulassen, da die vom Kläger vorgetragenen „gesundheitlichen Gründe“ nicht ausreichend seien. Dass streitig geführte Gesellschafterversammlungen, vor Allem in personalistisch geprägten Familiengesellschaften, sämtliche Beteiligten emotional belasten, liege in der Natur der Sache und rechtfertige es nicht, von der Regelung des § 9 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages abzuweichen.
Abschließend führt das LG Darmstadt aus, dass auch die Wahrnehmung der Rechte eines Gesellschafters durch Vertreter der rechtswahrenden Berufe oder Wirtschaftsprüfer und Steuerberater grundsätzlich einer ausdrücklichen Zulassung im Vertrag bedürfe. Es sei kein sachlicher Grund ersichtlich, generell vom Gebot der persönlichen Rechtsausübung abzuweichen, weil die zu bevollmächtigende Person über besondere Qualifikationen verfüge. Fehlt einem Gesellschafter das erforderliche Fachwissen, um bestimmte Sachverhalte angemessen beurteilen zu können, könne er sich von einem Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater begleiten und beraten lassen. Eine vollständige und – im Extremfall – dauerhafte Übertragung der Ausübung von Gesellschafterrechten sei zum Ausgleich fehlenden Fachwissens nicht erforderlich.
Die Entscheidung des LG Darmstadt zeigt, dass die Vertretung eines Gesellschafters hinsichtlich der Ausübung der Gesellschafterrechte (in der Gesellschafterversammlung) ohne vertragliche Grundlage grundsätzlich unzulässig ist. Nur in Ausnahmefällen, wenn sämtliche Gesellschafter einer Vertretung zustimmen oder es die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht gebietet, einen gewillkürten Vertreter in der Gesellschafterversammlung zu akzeptieren, ist eine Vertretung nach Ansicht des LG Darmstadt ohne entsprechende Regelung im Vertrag zulässig.
Eine gesellschaftsvertragliche Regelung, die eine Vertretung (und Begleitung) des Gesellschafters zulässt, könnte folgendermaßen lauten:
„Jeder Gesellschafter kann sich bei der Ausübung seiner Gesellschafterrechte sowie bei der Fassung von Gesellschafterbeschlüssen in und außerhalb von Gesellschafterversammlungen (durch bzw. von Vertretern der rechtswahrenden Berufe, Wirtschaftsprüfern oder Steuerberatern) vertreten und/oder begleiten lassen.“
Vor dem Hintergrund der stärkeren Ausstrahlung der personengesellschaftsrechtlichen Regelungen auf die GmbH in Folge der Neuregelungen im Personengesellschaftsrecht, dürften die Grundsätze der Entscheidung auch auf die GmbH zu übertragen sein – insbesondere soweit es um personalistisch geprägte Familiengesellschaften geht.