BFH VII R 23/19
Haftung des GmbH-Geschäftsführers trotz Berufung auf fehlende persönliche Fähigkeiten für Geschäftsführeramt

23.10.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BFH
15.11.2022
VII R 23/19
EWiR 2023, 584

Leitsatz | BFH VII R 23/19

Der Geschäftsführer einer GmbH kann sich gegenüber der Haftungsinanspruchnahme nicht darauf berufen, dass er aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen sei, den Aufgaben eines Geschäftsführers nachzukommen. Wer den Anforderungen an einen gewissenhaften Geschäftsführer nicht entsprechen kann, muss von der Übernahme der Geschäftsführung absehen bzw. das Amt niederlegen.

Sachverhalt | BFH VII R 23/19

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids. Der Kläger war von der Gründung bis zum 23.04.2012 alleiniger Geschäftsführer der A. GmbH. Faktischer Geschäftsführer war der Sohn des Klägers. Dieser war formal als Prokurist der GmbH angestellt. An der GmbH war der Kläger zu 90 % beteiligt, sein Enkel zu 10 %. Dieser übernahm zum 23.04.2012 die Geschäftsführung der GmbH. Bei einer Fahndungsprüfung wurde festgestellt, dass der Kläger und sein Sohn Steuern verkürzt hatten. Das beklagte Finanzamt erließ am 30.04.2012 entsprechende Änderungsbescheide. Mangels Anfechtung durch den Enkel sind diese bestandskräftig geworden. Das Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung gegen den Kläger wurde gegen Zahlung einer Geldauflage nach § 153a Abs. 2 StPO eingestellt. Der Sohn des Klägers wurde wegen Steuerhinterziehung und weiterer Delikte rechtskräftig verurteilt. Auf Antrag des Finanzamtes wurde über das Vermögen der GmbH im Jahr 2013 das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Bescheid vom 19.03.2014 nahm das Finanzamt den Kläger, seinen Sohn als faktischen Geschäftsführer und den Enkel als Nachfolgegeschäftsführer nach den §§ 191, 69, 71, 370 AO wegen Steuerschulden der GmbH in Haftung. Gegen den Haftungsbescheid legte der Kläger Einspruch ein. Das Finanzamt reduzierte daraufhin die Haftsumme und wies den Einspruch im Übrigen zurück. Die Klage blieb ohne Erfolg. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision.

Entscheidung | BFH VII R 23/19

Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen. Der Haftungsbescheid sei rechtmäßig und verletze den Kläger auch nicht in seinen Rechten.

Als Geschäftsführer der GmbH hatte der Kläger gem. § 34 Abs. 1 S. 1 AO i.V.m. § 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG die Pflicht, Steuererklärungen vollständig und rechtzeitig abzugeben, unzutreffende Steuererklärungen unverzüglich zu berichtigen (§ 153 AO) und dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den von ihm verwalteten Mitteln entrichtet würden (§ 34 Abs. 1 S. 2 AO). Diese Pflichten habe der Kläger durch Nichtabgabe der Steuererklärungen objektiv verletzt.

Der Kläger habe insbesondere auch schuldhaft gehandelt. Der Umstand, dass die Geschäfte der GmbH tatsächlich durch seinen Sohn geführt wurden, entlaste den Kläger nicht. Ebenso wenig diene sein fortgeschrittenes Alter und der Einwand als Entlastungsgrund, dass er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen sei, Geschäftsvorfälle in der Firmen-EDV nachzuvollziehen. Die objektive Pflichtwidrigkeit des Verhaltens indiziere das Verschulden gem. § 69 S. 1 AO.

Der Geschäftsführer einer GmbH ist nicht verpflichtet, die steuerlichen Angelegenheiten der GmbH selbst zu erledigen, sondern kann die Erledigung anderen Personen übertragen. Allerdings darf er diesen Hilfspersonen nur innerhalb gewisser Grenzen ihrer Redlichkeit Vertrauen schenken, wenn er sich nicht einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung aussetzen will. Der Geschäftsführer ist also verpflichtet, die Personen, denen er die ihm auferlegten steuerlichen Pflichten überträgt, sorgsam auszuwählen und zu überwachen. An diese Überwachungsmaßnahmen sind umso größere Anforderungen zu stellen, je weniger der Geschäftsführer die steuerliche Zuverlässigkeit der Hilfspersonen einschätzen kann.

Der BFH stellt fest, dass sich niemand auf das eigene Unvermögen berufen kann, den Aufgaben eines Geschäftsführers nachzukommen. Wer den entsprechenden Anforderungen nicht nachkommen kann, muss von der Übernahme des Amtes als Geschäftsführer absehen oder es niederlegen. Wer die Geschäftsführerstellung aber formell und nominell übernimmt, haftet bei Vorliegen des persönlichen Verschuldens nach § 69 AO grundsätzlich auch dann, wenn er nicht befähigt oder anderweitig nicht in der Lage ist, seinen Überwachungsaufgaben nachzukommen. Dabei muss Verschulden mindestens vom Grad grober Fahrlässigkeit vorliegen. Die Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner ist auch ermessensgerecht, insbesondere da neben ihm auch sein Sohn als faktischer Geschäftsführer in Anspruch genommen worden sei.

Der Geschäftsführer einer GmbH hat deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Das betrifft zunächst den ordnungsgemäß von der Gesellschafterversammlung bestellten und in das Handelsregister eingetragenen Geschäftsführer, wobei die Handelsregistereintragung deklaratorischer Natur ist. Der faktische Geschäftsführer ist kein gesetzlicher Vertreter, kann aber Verfügungsberechtigter i.S.d. § 35 AO sein und so zur Haftung für Steuern herangezogen werden. Die Haftung trifft auch einen bestellten und in das Handelsregister eingetragenen Geschäftsführer, der lediglich als „Strohmann“ eingesetzt wird oder einen sog. „Titular-Geschäftsführer“ ohne Leitungsmacht und ohne Kontrolle über die Zahlungsströme. Der für eine Konzerngesellschaft tätige Geschäftsführer haftet ebenfalls uneingeschränkt. Auch bei Vereinbarung einer Geschäfts- oder Ressortaufteilung bleiben die Überwachungspflichten bestehen.

 

Praxishinweis | BFH VII R 23/19

Die objektive Pflichtwidrigkeit des Verhaltens eines Geschäftsführers indiziert dessen Verschulden. Eine mangelhafte Überwachung seiner Hilfspersonen begründet regelmäßig ein Überwachungsverschulden des Geschäftsführers. Der Geschäftsführer kann sich beispielsweise nicht damit entschuldigen, dass im Rahmen der Unternehmensübertragung in die nächste Generation, diese bereits als faktische Geschäftsführung operative Tätigkeiten übernimmt. Der Geschäftsführer ist verpflichtet, sich in einem solchen Fall über Inhalt und Hintergründe der getätigten Geschäfte zu informieren. Dazu zählt beispielsweise auch die Überwachung und Kontrolle der Buchführung. Zur Vermeidung etwaiger Haftungsinanspruchnahmen durch die Geschäftsführung sollten Compliance-Maßnahmen integriert werden, nach denen der nominelle Geschäftsführer durch die faktischen Geschäftsführer regelmäßige Berichte über Geschäftsvorfälle erhält und so den Überblick behalten kann (van Lück, DStRK 2023, 126).