28.11.2024
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
BGH
19.10.2023
IX ZR 249/22
NJW 2024, 212
Gläubigerbenachteiligung durch Herstellung einer Aufrechnungslage [ PDF ]
Die Beklagte beauftragte die Schuldnerin mit Metallbauarbeiten und kündigte den Vertrag nach Kenntniserlangung vom Insolvenzantrag der Schuldnerin gem. § 8 Abs. 2 VOB/B fristlos und nahm bereits erbrachte Arbeiten ab. Der Kläger, Insolvenzverwalter der Schuldnerin, forderte den noch ausstehenden Werklohn für die Metallbauarbeiten der Schuldnerin ein. Die Beklagte rechnete daraufhin mit streitigen Schadensersatzansprüchen wegen Fertigstellungsmehrkosten gegen die Schuldnerin aus einem anderen, am selben Tag fristlos gekündigten Bauvorhaben auf.
Die Aufrechnung der Beklagten ist gem. §§ 96 Abs. 1 Nr. 3, 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO unzulässig, weil diese wirksam angefochten werden konnte.
Gegenstand der Anfechtung gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist das Herstellen der Aufrechnungslage, wofür die Voraussetzungen der §§ 129 ff. InsO vorliegen müssen.
Durch die auf § 8 Abs. 2 VOB/B gestützte Kündigung der Beklagten hat diese eine Aufrechnungslage in Bezug auf die Werklohnforderung herbeigeführt, sodass eine Rechtshandlung iSd § 129 Abs. 1 InsO besteht.
Die gem. § 129 Abs. 1 InsO erforderliche Gläubigerbenachteiligung liegt ebenfalls vor. Sie ist beim Herstellen der Aufrechnungslage zu bejahen, weil die Forderung der Masse im Umfang der Aufrechnung zur Befriedigung einzelner Insolvenzforderungen verbraucht wird und insoweit nicht mehr für die Verteilung der Masse zur Verfügung steht. Der Masse entgeht dadurch die Differenz zwischen dem Nennwert der Forderung der Masse und der Quote auf die Gegenforderung des Insolvenzgläubigers.
Die Erlangung der Aufrechnungsmöglichkeit durch eine anfechtbare Rechtshandlung wird genauso beurteilt, wie wenn das Insolvenzverfahren im Zeitpunkt des Erwerbs der Forderung bereits eröffnet gewesen wäre. Der Insolvenzverwalter kann sich unmittelbar auf die Unwirksamkeit der Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO berufen. Somit kann der Verwalter die Forderung, gegen die aufgerechnet worden ist (hier: die Werklohnforderung der Schuldnerin) durchsetzen, als sei die Aufrechnung gar nicht erfolgt.
Dass die Rechtshandlung, welche die Aufrechnungslage herbeiführt (hier: Kündigung des Vertrags zu einem anderen Bauvorhaben) der Masse auch Vorteile verschaffen kann, ist unerheblich für das Vorliegen einer Gläubigerbenachteiligung. Die sich hier gegenüberstehenden Forderungen stammen jeweils aus einem unterschiedlichen Vertragsverhältnis. Die fristlose Kündigung der Gegenforderung (hier: Schadensersatz wegen Fertigstellungsmehrkosten) hat auf die Fälligkeit der Hauptforderung der Schuldnerin (hier: Werklohn) keine Auswirkung.
Die nach § 129 Abs. 1 InsO erforderliche Gläubigerbenachteiligung ist beim Herstellen der Aufrechnungslage immer schon deshalb zu bejahen, weil die Forderung der Masse im Umfang der Aufrechnung zur Befriedigung einer einzelnen Insolvenzforderung verbraucht wird und so nicht mehr für die Verteilung der Masse zur Verfügung steht. Eine Kündigung hat die Benachteiligung der Gläubiger zur Folge, wenn sie zur Möglichkeit einer Aufrechnung führt, welche die Hauptforderung der Gesamtheit der Gläubiger entzieht. Die Gläubigerbenachteiligung ist dabei auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Werklohnforderung, gegen die aufgerechnet wird, erst durch die angefochtene Rechtshandlung fällig geworden ist.
Der BGH hat außerdem klargestellt, dass die wirksame Kündigung des Grundgeschäfts eine Anfechtbarkeit der dadurch herbeigeführten Aufrechnungslage nicht ausschließt, die Frage der Herbeiführung der Aufrechnungslage also getrennt von der Wirksamkeit der Kündigung zu betrachten ist. Die auf § 8 VOB/B gestützte Kündigung dient dem Interesse des Gläubigers, den Vertrag nicht mit einem insolventen Schuldner fortführen zu müssen. Da es bei der Anfechtbarkeit der Aufrechnungslage aber um die Vermeidung der Sonderbefriedigung einer Insolvenzforderung aus den Mitteln der Masse geht, kommt es nicht zu Interessenswidersprüchen, sodass das Interesse des Gläubigers aus § 8 VOB/B nicht den Ausschluss der Anfechtbarkeit einer Aufrechnungslage erfordert.
Stammen die sich bei der Aufrechnung gegenüberstehenden Forderungen, anders als hier, aus demselben Vertragsverhältnis, ist zu erwarten, dass der IX. Zivilsenat eine Klärung gem. § 132 GVG begehren wird, da der XII. Zivilsenat vertritt, eine Gläubigerbenachteiligung bestehe nicht, wenn die Kündigung sowohl den Schadenersatzanspruch des Bestellers als auch den Werklohnanspruch des Schuldners durchsetzbar zur Entstehung gebracht habe.