OLG Nürnberg 15 U 736/23
Geltendmachung eines Bereicherungsanspruchs gegen insolvenzfreies Vermögen durch den Insolvenzverwalter

12.12.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Nürnberg
26.04.2024
15 U 736/23
NZI 2024, 715

Leitsatz | OLG Nürnberg 15 U 736/23

  1. Leistet ein Drittschuldner an den späteren Insolvenzschuldner, obwohl das Insolvenzgericht einen Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 InsO angeordnet und der vorläufige Insolvenzverwalter dieser Leistung an den Insolvenzschuldner nicht zugestimmt hat, war der Insolvenzschuldner zur Annahme der Leistung nicht mehr berechtigt im Sinne des § 816 Abs. 2 BGB. In der Erhebung der Klage auf Herausgabe der empfangenen Leistung durch den Insolvenzverwalter gegen den Insolvenzschuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann eine Genehmigung der Annahme der Leistung liegen, die diese wirksam werden lässt.
  2. Zur Geltendmachung des Anspruchs auf Herausgabe des Geleisteten gegen den Insolvenzschuldner ist der Insolvenzverwalter nach § 80 InsO aktivlegitimiert.
  3. Der Insolvenzverwalter ist prozessführungsbefugt, da er den Anspruch für die Insolvenzmasse geltend macht. Der Klage fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis, wenn auf das insolvenzfreie Vermögen des Insolvenzschuldners zugegriffen werden soll.

Sachverhalt | OLG Nürnberg 15 U 736/23

Am 05.08.2019 wurde zur Sicherung des Schuldnervermögens des Beklagten vor nachteiligen Änderungen die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet. In dem Beschluss wurde zudem der vorläufige Insolvenzverwalter ermächtigt, Forderungen des Beklagten auf ein von ihm zu errichtendes Treuhandkonto einzuziehen. Ferner wurde bestimmt, dass Drittschuldner nur an den vorläufigen Insolvenzverwalter leisten dürfen, es sei denn dieser stimmt der Leistung an den Beklagten zu. Weiterhin hatte das Insolvenzgericht gem. § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO angeordnet, dass Verfügungen des Schuldners – einschließlich der Einziehung von Außenständen – nur wirksam sein sollen, wenn sie mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters erfolgen. Am 27.11.2019 wurde schließlich das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet. In der Zwischenzeit – d.h. während der vorläufigen Insolvenzverwaltung - erzielte der Beklagte durch eine gewerbliche Untervermietung einen Netto-Erlös von knapp 14.000 €, ohne dies dem Insolvenzverwalter mitzuteilen. Der damalige Insolvenzverwalter gab die selbstständige Tätigkeit für die Zeit ab dem 01.01.2020 aus dem Insolvenzbeschlag frei. Zwischenzeitlich ist der Kläger zum neuen Insolvenzverwalter über das Vermögen des Beklagten bestellt worden und machte erstinstanzlich vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth den Netto-Erlös aus der Untervermietung - abzüglich einer vom Schuldner am 4.1.2021 zur Insolvenzmasse geleisteten Zahlung von über 1.500 € - klageweise geltend. Das Landgericht hat der Klage bis auf einen späteren Zinsbeginn in voller Höhe stattgegeben. Hiergegen wandte sich der Beklagte mit der Berufung.

Entscheidung | OLG Nürnberg 15 U 736/23

Das Oberlandesgericht Nürnberg wies die Berufung als unbegründet zurück. 

Das Gericht stellte zunächst die Zulässigkeit der Klage fest. Insbesondere fehle es nicht am Rechtsschutzbedürfnis, da die Klage vorliegend auf den Zugriff gegen Vermögenswerte des Beklagten gerichtet sei, die nicht bereits der Insolvenzmasse unterfallen und somit bereits nach § 80 Abs. 1 InsO der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters unterliegen. Ein solches „insolvenzfreies Vermögen“, das Gegenstand einer Vollstreckung sein kann, konnte der Beklagte hier etwa durch die ab dem 01.01.2020 nach § 35 Abs. 2 InsO freigegebene selbstständige Tätigkeit erzielen. 

Die Klage war auch begründet.

Dem Kläger stand gegen den Beklagten ein Anspruch auf Herausgabe der Mieterlöse aus ungerechtfertigter Bereicherung nach § 816 Abs. 2 BGB zu.

Der Insolvenzverwalter ist hinsichtlich der Geltendmachung des Bereicherungsanspruchs nach § 80 Abs. 1 InsO aktivlegitimiert. Dabei problematisiert das Gericht die in einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2021 (Urt. v. 02.12.2021 – X ZR 206/20) aufgeworfene Frage, ob es sich bei den Forderungen hinsichtlich der Untermiete um ein Recht der Masse handelt, bezüglich dessen der Insolvenzverwalter nach § 80 Abs. 1 InsO zur Geltendmachung berechtigt ist oder ob es sich, um eine insolvenzfreie Neuforderung der von der Masseverkürzung betroffenen Gläubiger handelt, bezüglich derer die Voraussetzungen des § 92 InsO für eine Geltendmachung gegeben sein müssen. Der Senat entscheidet sich hier für die erstgenannte Auffassung und stellt weiter darauf ab, dass die Einnahmen aus der Untervermietung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in die Insolvenzmasse gefallen wären. Insbesondere handele es sich hierbei nicht um insolvenzfreies Vermögen, da der damalige Insolvenzverwalter die selbstständige Tätigkeit erst ab dem 01.01.2020, jedoch nicht rückwirkend für die Zeit der vorläufigen Insolvenzverwaltung freigegeben hatte. Aufgrund der Anordnung im Beschluss der vorläufigen Insolvenzverwaltung vom 05.08.2019 waren die Mietzahlungen an den Drittschuldner hier zwar mangels Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters nach §§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 24 Abs. 1, 81 InsO zunächst absolut unwirksam und hatten für die Drittschuldner keine Erfüllungswirkung, weswegen der Drittschuldner weiterhin gegenüber der Masse verpflichtet blieb. Allerdings konnte der Insolvenzverwalter Verfügungen nach den §§ 362 Abs. 2, 185 Abs. 2 BGB genehmigen und die an den Beklagten bewirkten Mietzahlungen so zur Masse ziehen. Eine solche Genehmigung ist hier in der Klageerhebung zu sehen. Nach dem OLG Nürnberg ist der Insolvenzverwalter in einer Konstellation wie der vorliegenden insbesondere nicht nur auf ein Vorgehen gegen den Drittschuldner beschränkt, die sich vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens regelmäßig auf Gutgläubigkeit berufen kann (§ 82 S. 2 InsO). Vielmehr stehe es ihm frei, direkt gegen den Schuldner auf Herausgabe der empfangenen Leistungen zu klagen. Eine Auffassung in der Literatur sieht den Insolvenzverwalter sogar zu einem vorrangigen Vorgehen gegen den Insolvenzschuldner verpflichtet (vgl. Sternal, in: K. Schmidt, InsO, 20. Aufl. 2023, § 82 Rn. 8). 

Die Voraussetzungen des Anspruchs aus § 816 Abs. 2 BGB waren auch im Übrigen gegeben. Insbesondere konnte sich der Schuldner vorliegend nicht auf Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) berufen, indem er vortrug, die empfangenen Mieterlöse für den eigenen Lebensunterhalt sowie den Unterhalt seiner Familie aufgewendet zu haben. Der Bereicherungseinrede steht im konkreten Fall zum einen die Bösgläubigkeit des Schuldners entgegen, die aus der Zustellung des Beschlusses auf Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung vom 05.08.2019 folgte. Zum anderen stellt die vom Schuldner vorgetragene Verwendung des Geldes von vornerein keine Entreicherung dar, da hierin die Tilgung eigener Verbindlichkeiten zu sehen ist.

Praxishinweis | OLG Nürnberg 15 U 736/23

Das OLG Nürnberg hat die Revision zum BGH zugelassen. Dabei dürfte es insbesondere auf die im Urteil aufgeworfene Frage ankommen, ob es sich bei der streitgegenständlichen Forderung um eine Masseforderung gegen das insolvenzfreie Schuldnervermögen oder um einen Anspruch von Neugläubigern gegen den Schuldner handelt. Hiervon hängt ab, ob die Aktivlegitimation des Insolvenzverwalter für eine Klage gegen den Schuldner – so das OLG - aus § 80 InsO folgt ist oder ob dafür die weitergehenden Anforderungen des § 92 InsO gegeben sein müssen. Die Literatur geht zumindest im Hinblick auf Bereicherungsansprüche davon aus, dass der Insolvenzverwalter Ansprüche wegen masseverkürzenden Vermögensverschiebungen vorrangig gegenüber dem Schuldner und erst bei Erfolglosigkeit dieses Vorgehens gegenüber dem Drittschuldner, dessen Zahlung keine befreiende Wirkung hatte, geltend zu machen hat. Dies gebietet auch der Schutz des Drittschuldners, der bei einer nochmaligen Inanspruchnahme durch den Verwalter wegen der durch ihn vor Verfahrenseröffnung vorgenommenen Leistung lediglich auf einen Bereicherungsanspruch gem. § 812 Abs. 1 BGB BGB gegen den Insolvenzschuldner im Rang einer Insolvenzforderung verwiesen würde (vgl. Riewe/Kaubisch, NZI 2024, 719). Insoweit spricht einiges dafür, dass es sich im streitgegenständlichen Fall um ein Recht der Masse handelte und die Entscheidung des OLG Nürnberg in einem etwaigen Revisionsverfahren Bestand haben wird.