LG Lübeck 7 T 208/23
Keine Antragsrücknahme durch einen von zwei Geschäftsführern bei Streit über Vertretungsbefugnisse

16.12.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

LG Lübeck
08.01.2024
7 T 208/23
NZI 2024, 174

Leitsatz | LG Lübeck 7 T 208/23

  1. Ist durch einen von zwei Geschäftsführern die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GmbH beantragt worden, kann dieser Antrag nicht wirksam durch den anderen Geschäftsführer zurückgenommen werden, wenn aufgrund der streitigen Vertretungsverhältnisse nicht feststellbar, ob der die Rücknahme Erklärende im Zeitpunkt der Rücknahme zur alleinigen Vertretung der Gesellschaft berechtigt ist.
  2.  Eine Pflicht zur umfangreichen Inzidentprüfung gesellschaftsrechtlicher Streitigkeiten im Insolvenzverfahren besteht für die Insolvenzgerichte auch in Anbetracht des § 5 InsO nicht.
  3.  Die Rücknahme eines Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens scheidet zudem aus, wenn das Insolvenzgericht ein allgemeines Verfügungsverbot nach § 21 II 1 Nr. 2 Alt. 1 InsO angeordnet und dieses vor Rücknahmeerklärung nicht wieder aufgehoben hat.

Sachverhalt | LG Lübeck 7 T 208/23

Im vorliegenden Fall geht es um einen Streit zwischen zwei Geschäftsführern, A und B, einer GmbH, die jeweils mit Einzelvertretungsbefugnis im Handelsregister eingetragen sind. Beide Geschäftsführer wurden vom jeweils anderen Gesellschafterkreis abberufen, wobei gegen diese Abberufungen Gerichtsverfahren anhängig sind:

B wurde am 26.08.2020 als Geschäftsführer abberufen, wogegen er gerichtlich vorging. Das OLG Schleswig wies die Berufung gegen die Abberufung zurück, ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren beim BGH ist anhängig.
A wurde am 20.09.2021 als Geschäftsführer abberufen, das LG Lübeck erklärte den Beschluss für nichtig; jedoch ist die Berufung anhängig. Denn es stellte sich heraus, dass unterschiedliche Protokolle der Gesellschafterversammlung vom 12.10.2021 bezüglich der Abberufung von A vorliegen.

Am 04.10.2022 beantragte die Schuldnerin, vertreten durch A als Geschäftsführer, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Am 12.10.2022 widersprach die Schuldnerin, vertreten durch B, der Insolvenzeröffnung. Infolgedessen erließ das Insolvenzgericht ein allgemeines Verfügungsverbot.

Zwar nahm B den Insolvenzantrag zurück, dennoch eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren, da A als antragsberechtigt eingetragen war und ein Insolvenzgrund vorlag. B legte daraufhin sofortige Beschwerde gegen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein. B argumentierte in diesem Rahmen, dass A nicht antragsberechtigt war und der Antrag bereits zurückgenommen wurde. Diese sofortige Beschwerde der Schuldnerin, vertreten durch B, hatte keinen Erfolg. Das AG lehnte die Beschwerde am 23.05.2023 ab und legte sie dem LG Lübeck vor. Das LG Lübeck hingegen wies die Anträge auf Aussetzung des Eröffnungsbeschlusses am 15.06.2023 und 29.06.2023 zurück. Die Beschwerdekammer bestätigte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Entscheidung | LG Lübeck 7 T 208/23

Die Beschwerde war statthaft und zulässig, aber unbegründet gemäß §§ 34 II, 6 I 1 InsO.

Grundsätzlich ist ein Schuldner nicht beschwert, wenn das Insolvenzverfahren auf seinen Antrag hin eröffnet wird. Jedoch machte das LG Lübeck eine Ausnahme, weil die Schuldnerin den Eröffnungsantrag vor der Entscheidung zurückgenommen hat. Außerdem steht die Wirksamkeit der Abberufung von B als Geschäftsführer am 26.08.2020 der Zulässigkeit der Beschwer nicht entgegen, da die Schuldnerin analog § 15 I InsO bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die gesetzliche Vertretung als durch B wirksam vertreten gilt.

In der Begründetheit prüfte das LG lediglich, ob das Insolvenzantragsverfahren durch die Rücknahme beendet wurde, nicht jedoch andere materielle oder verfahrensrechtliche Voraussetzungen. Denn es ist nicht Aufgabe der Insolvenzgerichte, Streitigkeiten organschaftlicher Vertreter zu entscheiden und anderswo anhängigen Erkenntnisverfahren vorzugreifen. Die Rücknahme des Insolvenzantrags vom 15.12.2022 führte nicht zur Beendigung des Verfahrens, da ein allgemeines Verfügungsverbot seit dem 21.10.2022 bestand. Eine Antragsrücknahme würde dem Schuldner ermöglichen, wieder über das Vermögen zu verfügen. Ein allgemeines Verfügungsverbot schließt eine solche Rücknahme des Insolvenzantrags daher aus, um das Vermögen vor nachteiligen Veränderungen und Manipulationen zu schützen. Zudem würde ansonsten der Gläubigerschutz untergraben werden.

Das LG Lübeck folgte der Ansicht des AG Hannover, dass ohne umfangreiche Prüfung der gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten feststellbar sein muss, dass der die Rücknahme Erklärende zur alleinigen Vertretung der Gesellschaft berechtigt ist. Ist dies nicht feststellbar, hat die Rücknahme keine verfahrensbeendende Wirkung. Die Vertretungsbefugnis von B für die Rücknahme ist allerdings nicht feststellbar, da es zahlreiche gerichtliche Auseinandersetzungen über die Vertretungsberechtigung gibt. Das Handelsregister weist sowohl B als auch A als Geschäftsführer aus, sodass keine eindeutige Vertretungsberechtigung feststellbar ist. Es ist jedoch nicht Aufgabe der Insolvenzgerichte, diese komplexen gesellschaftsrechtlichen Streitfragen zu klären.

Praxishinweis | LG Lübeck 7 T 208/23

Die vorliegende Entscheidung des LG Lübeck ist äußerst praxisrelevant, da es in kritischen Zeiten vor Insolvenzeröffnung häufig zu Uneinigkeit oder Streit in der Geschäftsführung kommen kann (Kittner, GWR 2024, 149). Das Urteil bestätigt, dass eine formelle Beschwer dann bejaht wird, wenn der Schuldner den Insolvenzantrag vor Erlass des Eröffnungsbeschlusses wieder zurückgenommen hat.

Dabei muss im Rahmen der Beschwer aber keine Inzidentprüfung der Wirksamkeit der Rücknahme erfolgen, denn die Rücknahme des Insolvenzantrages ist eine doppelrelevante Tatsache. Folglich reicht allein die Behauptung der Rücknahme vor Eröffnung für die Beschwer aus. Gleiches gilt für die Vertretungsbeugnis (Straubmeier, FD-InsR 2024, 804252).

Weiter ergab sich die Problematik, ob ein Insolvenzantrag nach Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots nach § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 1 InsO überhaupt noch zurückgenommen werden kann. Das LG Lübeck verneint diese Streitfrage. Durch die Rücknahme eines Insolvenzantrages nach § 13 Abs. 2 InsO könnten gerichtliche Sicherungsmaßnahmen unterlaufen werden. Ferner sprechen der Verlust der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners gegen eine Rücknahme. Außerdem wollte LG Lübeck einen dahingehenden taktischen Einsatz verhindern (Straubmeier, FD-InsR 2024, 804252).

Das LG Lübeck lässt weitergehend die Frage offen, ob ein Geschäftsführer den Antrag des anderen zurücknehmen kann. Eine Antragsrücknahme wird daher nur bei feststellbarer Vertretungsbefugnis relevant. Auch das Insolvenzgericht kann bei einer streitigen Vertretung nur eine Evidenzkontrolle durchführen. Dabei gelten unterschiedliche Maßstäbe für Antragstellung und Antragsrücknahme – die Klärung von Insolvenzgründen hat bei Unklarheit über Vertretungsbefugnis Priorität (Straubmeier, FD-InsR 2024, 804252). Im Zweifel wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aber zugelassen, um die Interessen der Gläubiger zu schützen (Kittner, GWR 2024, 149). Daher gilt, dass solange die Rücknahmebefugnis streitig ist, der Eröffnungsbeschluss aus Gründen des Gläubigerschutzes nicht aufgehoben werden darf (Dahl, NJW-Spezial 2024, 183). Das verdeutlicht abermals, dass das LG Lübeck einen pragmatischen Ansatz verfolgt, der den Gläubigerschutz priorisiert (Kittner, GWR 2024, 149).