BGH IV ZB 23/23
Ausschlagung einer Erbschaft durch den Fiskus als Erbeserben

17.03.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
24.04.2024
IV ZB 23/23
NJW 2024, 1963

Leitsatz | BGH IV ZB 23/23

Das Ausschlagungsverbot des § 1942 II BGB gilt für den Fiskus als gesetzlichen Erben (§ 1936 BGB) nicht in Bezug auf das Recht, eine Erbschaft aus dem Nachlass eines Vorverstorbenen auszuschlagen.

Sachverhalt | BGH IV ZB 23/23

Streitgegenstand ist die Erbfolge nach dem verstorbenen Erblasser. Dieser setzte in einem notariellen Testament seinen Sohn als Alleinerben ein und bestimmte ersatzweise seinen Enkel als Erben, falls der Sohn vor ihm versterben sollte. Der Sohn starb kurz nach dem Erblasser, ohne ein eigenes Testament zu hinterlassen. Der Enkel, wie auch andere gesetzliche Erben des Sohns schlugen die Erbschaft aus. Daraufhin stellte das Nachlassgericht fest, dass es außer dem Freistaat Sachsen keine weiteren Erben für den Nachlass des Sohnes gibt (Feststellungsbeschluss). Der Freistaat lehnte die Erbschaft jedoch ebenfalls ab. Daraufhin erhielt der Enkel auf seinen Antrag einen Erbschein, der ihn als Alleinerben des ursprünglichen Erblassers auswies. Anschließend wurde über den Nachlass des Sohnes das Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter eingesetzt. Dieser beantragte, den erteilten Erbschein für den Enkel als ungültig zu erklären und stattdessen den Sohn als Erben auszuweisen. Sowohl das LG als auch das OLG wiesen dieses Begehren zurück.

Entscheidung | BGH IV ZB 23/23

Die zulässige Rechtsbeschwerde beim BGH ist erfolglos.
 
Für die Erbfolge ist das notarielle Testament des Erstverstorbenen maßgeblich, dem zufolge zunächst der Sohn als Erbe eingesetzt wurde. Da der Sohn die Erbschaft nicht ausschlug, ging sein Vermögen als Teil der Erbschaft auf den Enkel über. Dieser wurde mangels eines Testaments seitens des Zweitverstorbenen als gesetzlicher Erbe bestimmt. Die Erbschaftsausschlagung durch den Enkel erfolgte anschließend form- und fristgerecht, sodass der Erbschaftsanfall als nicht erfolgt galt. Der daraufhin erlassene Feststellungsbeschluss stellte fest, dass kein anderer Erbe als der Freistaat existiert, was die Vermutung begründete, dass der Freistaat gesetzlicher Erbe des Zweitverstorbenen ist.

Daraufhin hat der Freistaat die Erbschaft nach dem ursprünglichen Erblasser wirksam ausgeschlagen. Hierfür hatte der Freistaat ein Ausschlagungsrecht. Mit dem wirksamen Feststellungsbeschluss konnte der Freistaat entsprechend § 1966 BGB seine Rechte als gesetzlicher Erbe wahrnehmen. Zu den Rechten, die nach § 1922 I BGB durch die Gesamtrechtsnachfolge auf den Staat übergehen, zählt auch das Ausschlagungsrecht, da dieses nach § 1922 I BGB vererbbar ist. Der Einwand, dass der Fiskus wegen des höchstpersönlichen Charakters dieses Rechts nicht zur Ausschlagung berechtigt sei, greift nicht. Das Ausschlagungsrecht steht zwar ausschließlich dem Erben oder dessen Rechtsnachfolgern zu. Da der Freistaat als Erbeserbe gilt, ist sein Ausschlagungsrecht mit dem höchstpersönlichen Charakter des Rechts hier vereinbar. Auch die bloße gesetzliche Vermutung der Erbenstellung steht dem nicht entgegen, da diese lediglich dazu dient, die erbrechtlichen Ansprüche des Fiskus gegenüber Dritten durchzusetzen. Eine Ausnahme hiervon würde dem Ziel der Sicherstellung einer geordneten Abwicklung des Nachlasses widersprechen (§ 1936 BGB). Zudem wäre sonst die Regelung des § 1942 II BGB überflüssig, wenn das Ausschlagungsrecht bereits aufgrund des höchstpersönlichen Charakters ausgeschlossen wäre.

Darüber hinaus hindert der § 1942 II BGB den Fiskus nicht daran, die Erbschaft auszuschlagen. Entsprechend § 1942 II BGB darf der Fiskus die Erbschaft, die ihm als gesetzlicher Erbe anfällt, nicht ausschlagen. Entsprechend des Wortlauts bezieht sich das Verbot ausschließlich auf solche Erbschaften, die Gegenstand des Feststellungsbeschlusses sind. Es betrifft jedoch nicht das Recht eine andere, im Nachlass enthaltene Erbschaft auszuschlagen, die selbst vererbt wurde. Unterstützt wird dies vom Sinn und Zweck des § 1942 II BGB, der darin besteht, herrenlose Nachlässe zu vermeiden. Dieses Risiko besteht lediglich bei solchen Erbschaften, die Gegenstand eines Feststellungsbeschlusses (§1964 I BGB) sind. Bei einer im Nachlass enthaltenen Erbschaft kann hingegen nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden, dass noch weitere Erben existieren. Daher ist zunächst zu prüfen, ob nach der Ausschlagung durch den Fiskus andere Erben vorhanden sind. Die abstrakte Möglichkeit, dass der Erstnachlass herrenlos bleibt, wenn der Fiskus als Zwangserbe des Zweitnachlasses diesen ausschlägt, rechtfertigt keine Einschränkung des Ausschlagungsrechts. Auch in diesem Fall wird gemäß §§ 1936, 1964 BGB geprüft, ob andere Erben existieren. Sollte dies nicht der Fall sein, fällt der Nachlass wiederum dem Fiskus zu. Mithin besteht kein Grund, das Ausschlagungsrecht auszuschließen.
 
Darüber hinaus wird die Wirksamkeit der Ausschlagungserklärung nicht davon beeinflusst, wie das Vermögen auf den Freistaat übergeht. Nach § 1922 I BGB geht das Vermögen beim Erbfall von Gesetztes wegen unmittelbar auf den Fiskus über, wenn dieser Erbe wird. Der Grundsatz des sogenannten Vonselbsterwerbs gilt auch beim gesetzlichen Erbrecht des Staates, ohne dass der Gesetzgeber hierfür eine Ausnahme vorgesehen hat. Eine abweichende Regelung würde zur Entstehung eines herrenlosen Nachlasses führen, was durch die Fiskalerbschaft gerade verhindert werden soll. Die Feststellung des Erbrechts des Fiskus in einem förmlichen Verfahren dient lediglich dazu, einen unrechtmäßigen Zugriff des Staates auf den Nachlass sowie eine verfrühte Inanspruchnahme durch Nachlassgläubiger zu verhindern. Der Feststellungsbeschlusses beeinflusst jedoch weder den Zeitpunkt noch die Art des Vermögensübergangs.
 
Die Vorschriften der §§ 1942 ff. BGB fordern keinen spezifischen Grund für die Ausschlagung. Daher ist es unerheblich, dass der Gesetzgeber die Folgen einer Fiskuserbschaft dadurch erleichtert hat, dass der Fiskus im Vergleich zu anderen Erben sowohl materiellrechtlich als auch prozessual bevorzugt wird. 
Ebenfalls aus § 1952 II BGB kann kein Ausschlagungsverbot abgeleitet werden. Diese Vorschrift besagt, dass die Frist zur Ausschlagung einer Erbschaft, die dem Erben zugefallen ist, für den Erbeserben erst abläuft, wenn auch die Frist, für die ihm selbst angefallene Erbschaft endet. Beim Freistaat als gesetzlichen Erbeserben greift diese Regelung nicht, da aufgrund des Ausschlagungsverbots (§1942 II BGB) keine Ausschlagungsfrist läuft. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift dem Fiskus als Erbeserben das Recht zur Ausschlagung verwehren wollte.
 
Die Ausschlagung ist rechtzeitig erfolgt. Die Frist beträgt sechs Wochen, § 1944 I BGB. Für einen Erben, der aufgrund einer letztwilligen Verfügung eingesetzt wurde, beginnt die Frist erst, wenn diese Verfügung durch das Nachlassgericht bekannt gegeben wird. Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass die Bekanntgabe bereits zu Lebzeiten des Zweitverstorbenen erfolgt ist, sodass angenommen wird, dass die Frist frühestens mit der Bekanntgabe des Testaments an den Fiskus begann. Selbst, wenn man den spätestmöglichen Zeitpunkt der Bekanntgabe zugrunde legt, wurde die Ausschlagungserklärung innerhalb der Frist abgegeben und war somit fristgerecht.

Die Ausschlagungserklärung entspricht zudem der gesetzlichen Form (§ 1945 I BGB). Ob das Nachlassgericht örtlich zuständig war, ist unerheblich. Nach entsprechender Anwendung des § 2 III FamFG ist die Ausschlagungserklärung auch dann wirksam, wenn sie vor einem örtlich unzuständigen Gericht abgegeben wird, sofern dieses die Erklärung entgegennimmt und sich als Nachlassgericht betätigt. Die Fristwahrung hängt daher nicht davon ab, ob die Erklärung an das zuständige Gericht weitergeleitet wird.

Der Enkel ist aufgrund des testamentarisch bestimmten Ersatzerbrechts Erbe des Erblassers geworden. Die testamentarische Verfügung ist dahingehend auszulegen, dass der Enkel als Ersatzerbe auch dann eintreten soll, wenn der zunächst eingesetzte Erbe die Erbschaft ausschlägt. Vorliegend hat der Fiskus die Erbschaft ausgeschlagen.

Die Ausschlagungserklärung des Enkels bezog sich nicht auf die Erbschaft des ursprünglichen Erblassers, sondern nur auf die Erbschaft des Zweitverstorbenen, die ihm als gesetzlichem Erben angefallen war. Mit der Ausschlagung dieser Erbschaft, verliert der Enkel nicht die Rechte bezüglich der Erbschaft des Vorverstorbenen. Zwar kann der Erbe nicht den Nachlass des Erstverstorbenen annehmen und den des Zweitverstorbenen ausschlagen. Diese Regelung greift jedoch nur, wenn das Ausschlagungsrecht aus der Stellung des Erbeserben herrührt. In solchen Fällen wäre der Ausschlagende von Anfang an als Nichterbe anzusehen. Anders liegt der Fall jedoch hier.
 
Der Enkel wurde vom Erblasser testamentarisch als Ersatzerbe bestimmt. Seine Erbberechtigung in Bezug auf den Nachlass des Erblassers ist unabhängig von seiner Rolle als Erbeserbe. Aus diesem Grund hatte die Ausschlagung nach dem Tod des Zweitverstorbenen keinen Einfluss auf den Erwerb der Erbschaft nach dem ursprünglichen Erblasser. Dies widerspricht nicht dem Grundsatz, dass ein Erbeserbe nicht den Erstnachlass annehmen und den Zweitnachlass ausschlagen kann, sondern ergibt sich aus der testamentarischen Bestimmung des Enkels als Ersatzerben.

Praxishinweis | BGH IV ZB 23/23

Bei der Beratung zur Erbfolge und Ausschlagung von Erbschaften sollten besonders die Auswirkungen von Ausschlagungserklärungen bei komplexen Nachlasssituationen berücksichtigt werden. Insbesondere ist zu beachten, dass ein als Ersatzerbe eingesetzter Enkel die Erbschaft des Erstverstorbenen auch dann annehmen kann, wenn er die Erbschaft des Zweitverstorbenen ausschlägt.