OLG Nürnberg 4 U 347/21
Auskunftsanspruch nach DSGVO über personenbezogene Daten gegen den Arbeitgeber

27.12.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Nürnberg
29.11.2023
4 U 347/21
NZG 2024, 605

Leitsatz | OLG Nürnberg 4 U 347/21

  1. Der Anspruch auf Auskunft über personenbezogene Daten gem. Art. 15 DS-GVO ist voraussetzungslos. Es liegt insbesondere kein Missbrauch i.S.v. Art. 12 Abs. 5 DS-GVO vor, wenn ein Betroffener das Auskunftsrecht (auch) für datenschutzfremde Motive verwendet. Dies gilt auch, wenn die Auskunft gem. Art. 15 DS-GVO beim Verantwortlichen erheblichen Aufwand verursacht, da der Aufwand des Verantwortlichen für Art. 15 DS-GVO keine Rolle spielt, oder wenn der Betroffene mehrfache Auskunftsansprüche geltend macht, da sie nur im Rahmen des Exzesses einen Rechtsmissbrauch begründen.
  2. In den Fällen der Geltendmachung eines Auskunftsanspruchs gem. Art. 15 Abs. 1 DS-GVO ist für die Bestimmtheit des Klageantrags grundsätzlich ausreichend, wenn der Klageantrag dem Wortlaut der Vorschrift entsprechend auf Erteilung einer vollständigen Auskunft über die von der beklagten Partei verarbeiteten personenbezogenen Daten der klagenden Partei gerichtet ist. Eine Spezifizierung dieser Daten ist grundsätzlich nicht erforderlich.
  3. Ein Anspruchsteller, der zu einer genaueren Bezeichnung, von welchen personenbezogenen Daten eine Kopie gem. Art. 15 Abs. 3 DS-GVO verlangt wird, außerstande ist, ist nicht gehalten, im Wege der Stufenklage zunächst eine Auskunft darüber zu verlangen, welche personenbezogenen Daten der Anspruchsgegner verarbeitet, um auf dieser Grundlage sodann einen Antrag auf Überlassung einer Kopie der sich aus der Auskunft ergebenden Daten stellen zu können.

Sachverhalt | OLG Nürnberg 4 U 347/21

Der Kläger ist ehemaliger Mitarbeiter der Beklagten und war von Januar 2000 bis September 2016 in verschiedenen Positionen tätig, zuletzt vier Jahre als Vorstandsmitglied und davor sechs Jahre als Geschäftsführer. In einem (anderen) Verfahren vor dem LG Oldenburg begehrt der Kläger u.a. Zahlungsansprüche und macht geltend, dass der zwischen den Parteien bestehende Dienstvertrag nicht wirksam durch den Aufhebungsvertrag beendet wurde, da er diesen wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten habe.

Im vorliegenden Verfahren verlangt der Kläger umfassende Auskunft über sämtliche bei der Beklagten gespeicherten personenbezogenen Daten sowie die Herausgabe einer Kopie dieser Daten nach Art. 15 Abs. 1 und 3 DS-GVO.

Das erstinstanzlich zuständige LG Nürnberg-Fürth wies die Klage ab, da der Kläger seine Ansprüche nicht hinreichend konkretisiert habe und die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs unter den gegebenen Umständen als rechtsmissbräuchlich einzustufen sei. Die vom Kläger geforderte Auskunft sei zu weit gefasst und er habe diese trotz Aufforderung der Beklagten nicht näher konkretisiert. Zudem verfolge der Kläger die Auskunft offenbar nur, um sich einen Vorteil in einem separaten Verfahren vor dem LG Oldenburg zu verschaffen, was nicht dem Sinn und Zweck des Auskunftsanspruchs entspricht und daher missbräuchlich sei (LG Nürnberg-Fürth v. 29.01.2021 – 11 O 5353/20, BeckRS 2021, 64323).

Der Kläger verfolgt sein Begehren weiter mit der Berufung vor dem OLG Nürnberg.

Entscheidung | OLG Nürnberg 4 U 347/21

Die zulässige Berufung ist begründet.

Zunächst stellt das OLG Nürnberg fest, dass es für die Geltendmachung eines Auskunftsanspruchs gem. Art. 15 Abs. 1 DSG-VO grundsätzlich genüge, wenn der Klageantrag dem Wortlaut der Vorschrift entsprechend auf Erteilung einer vollständigen Auskunft über die von der Bekl. verarbeiteten personenbezogenen Daten des Kl. gerichtet ist. Eine Spezifizierung dieser Daten sei grundsätzlich nicht erforderlich.

Das OLG Nürnberg führt weiter aus, dass der umfassende Auskunftsanspruch über personenbezogene Daten gem. Art. 15 DS-GVO voraussetzungslos und kostenfrei sei. Nach der Rspr. des EuGH sei Art. 12 Abs. 5 und 15 Abs. 1 und 3 DS-GVO dahingehend auszulegen, dass die Verpflichtung des Verantwortlichen, der betroffenen Person unentgeltlich eine erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, zur Verfügung zu stellen, auch dann gilt, wenn der betreffende Antrag mit einem anderen als den in S. 1 des 63. Erwägungsgrundes der Verordnung genannten Zwecken begründet wird.

Zudem sei der Anspruch des Klägers nicht nach Art. 12 Abs. 5 S. 2 DS-GVO ausgeschlossen. Nach dem Wortlaut und Zweck von Art. 12 Abs. 5 S. 1 sowie Art. 15 DS-GVO liege kein Missbrauch vor, wenn ein Betroffener sein Auskunftsrecht auch für datenschutzfremde Motive nutzt, beispielsweise um Informationen für Vergleichsverhandlungen oder um nicht mehr vorhandene Vertragsinformationen zu erhalten (z.B. Auskünfte über Konten, Versicherungsbedingungen etc.). Dies gilt auch, wenn die Auskunft gemäß Art. 15 DS-GVO für den Verantwortlichen erheblichen Aufwand bedeutet, da der Aufwand des Verantwortlichen für die Erfüllung von Art. 15 DS-GVO keine Rolle spielt. Ebenso führt die mehrfache Geltendmachung von Auskunftsansprüchen nicht automatisch zu einem Missbrauch, sondern nur, wenn ein „exzessiver“ Gebrauch vorliegt. Die Auskunft sei im vorliegenden Fall schon nicht „exzessiv“, weil es sich um den ersten Antrag handle.

Darüber hinaus sei die Geltendmachung des Anspruchs durch den Kläger nicht als rechtsmissbräuchlich einzuordnen. Der Auskunftsanspruch sei eingeführt worden, um dem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zur Durchsetzung zu verhelfen. Daher könne seine Geltendmachung über die gesetzlich geregelten (hier nicht einschlägigen) Tatbestände hinaus nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen werden. Dass aufgrund der Dauer und Art der Tätigkeit des Klägers sehr viele Daten angefallen sind, stehe der Geltendmachung seiner Rechte nicht entgegen.

Abschließend stellt das OLG Nürnberg fest, dass der streitgegenständliche Antrag ausdrücklich auch das Recht auf „Kopien“ erfasse. „Kopie“ i.S.v. Art. 15 Abs. 3 DS-GVO meine nach der Rspr. des EuGH eine originalgetreue und verständliche Reproduktion (Kopien von Auszügen oder ganzen Dokumenten, Auszüge aus Datenbanken) aller personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, wenn die Zurverfügungstellung einer solchen Kopie unerlässlich ist, um der betroffenen Person die wirksame Ausübung der ihr durch diese Verordnung verliehenen Rechte zu ermöglichen, wobei insoweit die Rechte und Freiheiten anderer zu berücksichtigen sind. Außerdem sei ein Anspruchsteller, der zu einer genaueren Bezeichnung, von welchen personenbezogenen Daten eine Kopie verlangt wird, außerstande ist, nicht gehalten, im Wege der Stufenklage zunächst eine Auskunft darüber zu verlangen, welche personenbezogenen Daten der Anspruchsgegner verarbeitet, um auf dieser Grundlage sodann einen Antrag auf Überlassung einer Kopie der sich aus der Auskunft ergebenden Daten stellen zu können. Art. 15 DS-GVO enthalte nach der Rechtsprechung des EuGH einen einheitlichen Auskunftsanspruch, welcher ohne Spezifizierung der personenbezogenen Daten geltend gemacht werden könne.

Praxishinweis | OLG Nürnberg 4 U 347/21

Nach Ansicht des OLG Nürnberg ist der Anspruch auf Auskünfte über personenbezogene Daten gem. Art. 15 DS-GVO voraussetzungslos. Personenbezogene Daten sind nach Art. 4 Nr. 1 DS-GVO alle Informationen, die sich auf eine zumindest identifizierbare natürliche Person beziehen. Laut dem OLG Nürnberg umfasst der Begriff der personenbezogenen Daten potenziell alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Natur in Form von Stellungnahmen oder Beurteilungen (von Beratern und Rechtsbeiständen). Voraussetzung sei jedoch stets, dass es sich um Informationen „über“ die in Rede stehende Person handelt, was wiederum der Fall ist, wenn die Information aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen mit einer bestimmten Person verknüpft ist.

Die Auffassung des OLG Nürnberg eröffnet zugleich verschiedene (zivil- und straf-) prozesstaktische Möglichkeiten. Durch die Feststellung, dass ein Auskunftsanspruch auch bei datenschutzfremden Motiven zulässig ist, ist es möglich, einen „strategischen“ Auskunftsanspruch gegen das Unternehmen geltend zu machen, um Einsicht in die benötigten Unterlagen zu bekommen. Dies kann die Position des Arbeitnehmers in Rechtsstreitigkeiten mit dem Unternehmen (z.B. Führung eines Entlassungsbeweis) oder sogar eine strafrechtliche Verteidigung bedeutsam verbessern. Auch bei (den im Urteil ausdrücklich genannten) Vergleichsverhandlungen kann die betroffene Person durch Geltendmachung des Auskunftsanspruch ihre Verhandlungsposition gegenüber dem Verantwortlichen anhand der vorliegenden Daten besser einschätzen.

Diese Auswirkungen sollten zukünftig auch Unternehmen beachten, wenn ein (Ex-)Mitarbeiter in Anspruch genommen wird. Die Verteidigungsmöglichkeit des Unternehmens, die originalgetreue und vollständige Reproduktion der personenbezogenen Daten nicht herausgeben zu müssen, beschränkt sich auf Art. 15 Abs. 4 DS-GVO, indem geltend gemacht wird, dass die Rechte und Freiheiten anderer Personen beeinträchtigt werden.