BGH IX ZA 14/23
Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft außerhalb des Insolvenzverfahrens

13.09.2024

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
28.09.2023
IX ZA 14/23
NJW 2024, 366

Leitsatz | BGH IX ZA 14/23

  1. Ist der Schuldner Miterbe in einer nicht auseinandergesetzten Erbengemeinschaft, erfolgt die Auseinandersetzung außerhalb des Insolvenzverfahrens nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
  2. Ist dem Schuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Erbschaft angefallen oder geschieht dies während des Verfahrens, so steht neben der Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft auch die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist nur dem Schuldner zu.

Sachverhalt | BGH IX ZA 14/23

Am 22.07.2010 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Treuhänder und Insolvenzverwalter bestellt. Die Schuldnerin ist die Tochter des Erblassers aus erster Ehe. Die Beklagte ist die Ehefrau des Erblassers. Nachdem die Schuldnerin und die Beklagte die Frist für die Ausschlagung der Erbschaft hatten verstreichen lassen, trat nach dem Tod des Erblassers im Jahr 2013 zunächst die gesetzliche Erbfolge ein.

Im März 2016 stellte das FA Steuerverbindlichkeiten des Erblassers i.H.v. 400.000 EUR gegenüber den Erbinnen fest. Diese Verbindlichkeiten überstiegen den Wert der Aktiva des Nachlasses. Aufgrund dessen erklärte die Schuldnerin die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist gegenüber dem Nachlassgericht wegen Irrtums über die Existenz der Steuerverbindlichkeiten.

Der Kläger begehrte im Rahmen einer Erbenfeststellungsklage die Feststellung, dass die Schuldnerin Erbin mit einem Erbteil von ¾ geworden ist, da sie die Versäumung nicht wirksam hätte anfechten können. Zusätzlich mochte der Kläger wissen, ob die Verbindlichkeit gegenüber dem FA eine Neuverbindlichkeit, Masseverbindlichkeit oder Insolvenzforderung darstellt. AG und LG wiesen die Klage ab.

Das LG ließ die Revision zur Klärung der Frage zu, ob eine Nachlassverbindlichkeit bei Insolvenz des Erben als Neuverbindlichkeit, Masseverbindlichkeit oder Insolvenzforderung zu qualifizieren ist. Der Kläger begehrt nun die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die vom BerGer. zugelassene Revision.

Entscheidung | BGH IX ZA 14/23

Der BGH lehnte den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete, § 114 I 1 ZPO. Die vom BerGer. zugelassene Revision wäre durch Beschluss nach § 552a S. 1 ZPO zurückzuweisen.

Gemäß § 552a S. 1 ZPO könne die Revision zurückgewiesen werden, wenn ein Zulassungsgrund nachträglich weggefallen ist oder von vornherein nicht gegeben war und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. Diese Voraussetzungen seien vorliegend gegeben.

Zunächst stellte der BGH fest, dass ein Zulassungsgrund i.S.d. § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliege. Es fehle die für die Zulassung der Revision erforderliche Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage. Denn das BerGer. habe zutreffend festgestellt, dass die streitige Rechtsfrage, ob eine Nachlassverbindlichkeit bei Insolvenz des Erben als Neuverbindlichkeit, Masseverbindlichkeit oder Insolvenzforderung zu qualifizieren ist, nicht entschieden werden müsse, sofern der Schuldner – wie hier – Miterbe in einer nicht auseinandergesetzten Erbengemeinschaft ist. Die Miterben erwürben den Nachlass zur gesamten Hand, was bedeutet, dass ein Miterbe bis zur Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft über seinen Anteil an den Nachlassgegenständen nicht verfügen könne (§§ 2032, 2033 Abs. 2 BGB). Die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft erfolge gem. §§ 2042 ff. BGB. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung seien gem. § 2046 Abs. 1 S. 1 BGB zunächst die Nachlassverbindlichkeiten aus dem Nachlass zu begleichen. Dies gelte auch im Fall der Insolvenz eines der Miterben gemäß § 84 Abs. 1 S. 1 InsO, der nach allgemeiner Auffassung auch auf die Erbengemeinschaft anwendbar sei. Gemäß § 84 Abs. 1 S. 1 InsO werde der Insolvenzverwalter auf die Teilung und sonstige Auseinandersetzung nach den Regeln der entsprechenden Gemeinschaft verwiesen. Erst im Anschluss an die Auseinandersetzung der Gesamthandsgemeinschaft höre das vormalige Gesamthandsvermögen als Sondervermögen auf zu existieren. Der Insolvenzmasse stehe dann nur das auf den Schuldner entfallende Auseinandersetzungsguthaben zur Verfügung.

Nach Ansicht des BGH erfordere die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob der Insolvenzschuldner zur Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist nach §§ 1956, 1954 BGB berechtigt ist, ebenfalls nicht die Zulassung zur Revision, da sich ihre Beantwortung unmittelbar aus dem Gesetz ergebe. Nach dem Wortlaut des § 83 Abs. 1 S. 1 InsO stehe zwar ausdrücklich nur die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft dem Schuldner zu. Die Vorschrift erfasse jedoch gleichermaßen die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist gem. §§ 1956 und 1954 BGB. Dies ergebe sich bereits daraus, dass gem. § 1957 Abs. 1 BGB die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist als Ausschlagung der Erbschaft gilt. Der Sinn und Zweck des § 83 Abs. 1 S. 1 InsO, dem Schuldner wegen der höchstpersönlichen Natur des Rechts über die Ausschlagung oder Annahme der Erbschaft die Entscheidung und Ausübung dieser Rechtsakte vorzubehalten, könne nur erreicht werden, wenn auch die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist von dem Anwendungsbereich der Norm erfasst werde.

Abschließend stellt der BGH fest, dass die beabsichtigte Revision darüber hinaus keine Aussicht auf Erfolg habe, da sich die Entscheidung des BerGer. unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen als richtig erweise.

Praxishinweis | BGH IX ZA 14/23

Aus der Entscheidung des BGH lassen sich für die Insolvenzverwalterpraxis im Umgang mit erbenden Insolvenzschuldnern zwei wesentliche Erkenntnisse ableiten. Einerseits ergibt sich aus der dem Insolvenzschuldner zugewiesenen Entscheidungsfreiheit über die Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft, dass sowohl die unmittelbare Erklärung der Annahme bzw. Ausschlagung als auch die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist, die gem. § 1957 Abs. 1 BGB die Wirkung einer Ausschlagung hat, ausschließlich vom Insolvenzschuldner vorgenommen werden können. Andererseits folgt aus der vorrangigen, gem. § 84 Abs. 1 S. 1 InsO außerhalb des Insolvenzverfahrens stattfindenden Auseinandersetzung einer bestehenden Erbengemeinschaft nach den §§ 2042 ff. BGB, dass nach Abschluss der Auseinandersetzung der Insolvenzmasse lediglich das auf den Schuldner entfallende Auseinandersetzungsguthaben zur Verfügung steht.