BayObLG 101 VA 243/23
Akteneinsicht für Gläubiger aus primär insolvenzfremden Zwecken

28.02.2025

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BayObLG
31.05.2024
101 VA 243/23
NZI 2024, 673

Leitsatz | BayObLG 101 VA 243/23

1. Es liegt ein Rechtsfehler vor, wenn der Rechtspfleger es unterlässt den Insolvenzverwalter nach seinem Einverständnis zur Akteneinsicht zu fragen.
2. Personen, die nicht am Verfahren beteiligt sind, können Akteneinsicht erhalten, wenn sie ein rechtliches Interesse nachvollziehbar darlegen.
3. Insolvenzgläubiger haben selbst dann ein rechtliches Interesse, wenn sie ihre Forderung nicht zur Insolvenztabelle anmelden. 
4. Das rechtliche Interesse entfällt nicht schon deswegen, weil mit dem Akteneinsichtsgesuch vorrangig festgestellt werden soll, ob Schadensersatzansprüche bestehen.
 

Sachverhalt | BayObLG 101 VA 243/23

Die Ast. hat mit der Schuldnerin (GmbH & Co. KG) einen Kaufvertrag über ein Sofa abgeschlossen. Nach Zahlung des vereinbarten Kaufpreises, hat sie das Sofa erst erhalten, nachdem sie aufgrund eines Folgeauftrags eine weitere Zahlung vorgenommen hat. Die Ast. ist davon überzeugt, dass sich die Schuldnerin schon bei Abschluss des Kaufvertrages in einer finanziellen Not befand und sich dessen bewusst gewesen sein muss, dass sie die geschuldete Leistung nicht erbringen kann. Um zu überprüfen, ob der Ast. ein Schadensersatzanspruch gem. § 823 II BGB i.V.m. § 15a InsO sowie i.V.m. § 263 StGB zusteht, ist eine Akteneinsicht notwendig. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Schuldnerin beantragte die Ast. Akteneinsicht in die gerichtliche Insolvenzakte. Die Ast. hat keine Forderung angemeldet und ist somit eine außerhalb des Verfahrens stehende Dritte. Der Antrag auf Akteneinsicht wurde vom Rechtspfleger des AG in mehreren aufeinanderfolgenden Bescheiden mit den Hinweisen abgelehnt, dass die Ast. keine Verfahrensbeteiligte ist und zudem auch kein rechtliches Interesse nachweisen kann, da etwaige Ansprüche gegen die Schuldnerin zur quotalen Befriedigung an die Insolvenzmasse geleistet werden müssen. Die Ast. wehrt sich gegen die Bescheide.

Entscheidung | BayObLG 101 VA 243/23

Der Antrag ist zulässig und begründet.
 
[Da die Ast. keine angemeldete Forderung geltend macht und somit nicht am Insolvenzverfahren beteiligt ist, kann sich das Akteneinsichtsgesuch nicht nach § 4 S. 1 InsO i.V.m. § 299 I ZPO richten. Für Dritte, die nicht am Insolvenzverfahren beteiligt sind, bestehen jedoch entsprechend § 299 II ZPO zwei Möglichkeiten. Zum einen kann das Einverständnis des Verwalters als Verfahrensbeteiligter eingeholt werden und zum anderen kann ein rechtliches Interesse nachvollziehbar dargelegt werden.]

Die Ablehnung des Akteneinsichtsgesuchs ist aus mehreren Gründen rechtfehlerhaft. 

Zum einen liegt schon deshalb ein Rechtsfehler vor, weil der Rechtspfleger es unterlassen hat den Insolvenzverwalter nach seinem Einverständnis zur Akteneinsicht zu fragen. Sofern ein Einverständnis eingeholt werden kann, muss die Ast. kein rechtliches Interesse nachweisen. 

Zum anderen wird zu Unrecht das Fehlen des rechtlichen Interesses festgestellt. Rechtliches Interesse besteht, wenn persönliche Rechte des Ast. durch den Gegenstand des Verfahrens, in dessen Akten Einsicht begehrt wird, berührt werden. Hierfür muss zumindest ein gegenwärtiges Verhältnis zweier Personen bestehen, welches auf Rechtsnormen beruht. Die Ast. hat glaubhaft dargelegt, dass die Schuldnerin ihre Pflicht aus dem Kaufvertrag nicht erfüllt hat, sodass die Ast. folglich berechtigt wäre eine Insolvenzforderung geltend zu machen. Aufgrund dieser Gläubigerstellung besteht ein unmittelbares rechtliches Verhältnis der Ast. zum Schuldner. Es schadet nicht, dass die Ast. die Forderungen zur Insolvenztabelle nicht angemeldet hat, da die Ast. ihren eigenen Anspruch gegen die Schuldnerin verfolgen kann. Der Anspruch stehe weder dem Insolvenzverwalter zu, noch müsse ein denkbarer Schadensersatz am die Insolvenzmasse geleistet werden. Darüber hinaus ist irrelevant, dass der Anspruch schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Entscheidend ist, ob die Forderung die Ast. zur Teilnahme an der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger berechtigt. Ebenfalls irrelevant ist, dass die Ast. durch den Akteneinsichtsgesuch vorrangig feststellen möchte, ob ihr Schadensersatzansprüche zustehen. Dies hat den Hintergrund, dass sich das Gläubigerinteresse nicht in ein geschütztes rechtliches Interesse an der Feststellung des Vermögens bei der Schuldnerin und in ein nicht geschütztes ausschließlich wirtschaftliches Interesse bezüglich der Erfolgsaussichten eines Schadensersatzanspruches gegen die Organe der Schuldnerin unterteilen lässt. Vielmehr ist der Anspruch auf Lieferung und Übereignung der Ware rechtlich untrennbar mit dem Schadensersatzanspruch verbunden. 

Da aus der Feststellung des rechtlichen Interesses kein Anspruch auf Akteneinsicht folgt, kann der Senat nicht abschließend über das Akteneinsichtsgesuch entscheiden. Die Sache ist an die Justizbehörde zurückzugeben, die neu entscheiden wird.

Praxishinweis | BayObLG 101 VA 243/23

Auch Dritte ohne Forderungsanmeldung können unter bestimmten Voraussetzungen ein Akteneinsichtsrecht im Insolvenzverfahren haben. Oft wird übersehen, dass ein Einverständnis des Insolvenzverwalters eingeholt werden kann. Stimmt der Insolvenzverwalter jedoch nicht, oder nicht in vollem Umfang zu, muss der Antragsteller ein rechtliches Interesse darlegen. Für die Darlegung des rechtlichen Interesses genügt es, wenn ein gegenwärtiges Verhältnis zwischen dem Antragsteller und dem Schuldner glaubhaft gemacht wird, beispielsweise durch eine nicht erfüllte Leistungspflicht aus einem Kaufvertrag.