30.09.2024
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
OLG Rostock
11.04.2023
3 W 74/21
ZEV 2024, 100
Vermutung der Testierfähigkeit bei rechtlich betreuten Personen [ PDF ]
Der Erblasser E verfasste drei gleichlautende, unterschriebene Testamente (mit leichten Unterschieden in den Schreib- und Darstellungsweisen), die später an unterschiedlichen Orten aufgefunden wurden. Inhalt der Testamente war die Einsetzung einer Alleinerbin und die „Vererbung“ seines PKWs an einen Dritten. Nach dem Ableben des E beantragten seine gesetzlichen Erben – die Beteiligten zu 1-4, welche die Testamente des E aufgrund einer Testierunfähigkeit für unwirksam hielten – die Ausstellung eines Erbscheins, der die gesetzliche Erbfolge ausweisen solle. Die testamentarische Alleinerbin – die Beteiligte zu 6) – beantragte wiederum die Erteilung eines Erbscheins dahingehend, dass E von ihr als Alleinerbin kraft letztwilliger Verfügung beerbt worden sei.
Der Erblasser litt erwiesenermaßen an einer frühkindlichen Hirnschädigung, die zu einer Intelligenzminderung führte, weshalb eine umfassende Betreuung eingerichtet wurde. Im Rahmen der Betreuungseinrichtung wurde ihm ärztlicherseits u.a. eine intellektuelle Minderbegabung, eine deutliche Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörung sowie eine verminderte Fähigkeit zu logischem und abstraktem Denken bescheinigt. Im Jahr 2018 habe die Betreuung nur aufgrund intensiver familiärer Hilfe aufgehoben werden können.
Unter Berücksichtigung der Feststellungen mehrerer ärztlicher Gutachter im Betreuungsverfahren, sah das NachlGer. die Voraussetzungen für die Erteilung eines Alleinerbscheins auf der Basis des Testaments als nicht gegeben an. Zur Begründung führte das NachlGer. an, dass basierend auf den Einschätzungen von drei Ärzten kein eindeutiger Testierwille des Erblassers im Zusammenhang mit der Erstellung der drei Testamentsexemplare festgestellt werden könne. Vielmehr bestünden erhebliche Zweifel am Testierwillen des Erblassers. Hiergegen erhob die Alleinerbin Beschwerde. Das NachlGer. legte die Beschwerde dem OLG zur Entscheidung vor.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Das NachlGer. habe zu Unrecht die Tatsachen zur Erteilung des von den Beteiligten zu 1-4 beantragten Erbscheins für festgestellt erachtet und den von der Beteiligten zu 6) begehrten Erbschein abgelehnt. Nach Auffassung des OLG habe der Erblasser E die in den drei Testamenten niedergelegten Erklärungen mit dem notwendigen Testierwillen und der erforderlichen Testierfähigkeit abgegeben.
Zunächst sei der Senat unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände, einschließlich solcher außerhalb der Testamente, und unter Anwendung der gebotenen Auslegung (gem. § 133 BGB), überzeugt davon, dass die in den drei Testamenten niedergelegten Erklärungen den Testierwillen des Erblassers widerspiegeln. Dies bedeute, dass die getroffenen Erklärungen auf seinem ernsthaften Wunsch beruhen, ein Testament zu errichten und rechtsverbindliche Anordnungen über sein Vermögen nach seinem Tod treffen. Hierauf ließen insbesondere die Ausführungen des bestellten Sachverständigen schließen.
Zur Testierfähigkeit führt das OLG aus, dass ein Erblasser bis zum Beweis des Gegenteils als testierfähig anzusehen sei, da die Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bilde. Dies gelte auch, wenn der Erblasser unter Betreuung steht. Die Testierunfähigkeit müsse also zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen. Da grundsätzlich von der Testierfähigkeit auszugehen sei, trage die Feststellungslast für die Testierunfähigkeit derjenige, der sich auf die darauf beruhende Unwirksamkeit des Testaments beruft; Zweifel gingen zu seinen Lasten. Gemäß § 2229 Abs. 4 BGB gelte jemand als testierunfähig, wenn er aufgrund krankhafter Störungen der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörungen nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung zu verstehen und entsprechend zu handeln. Entscheidend sei dabei, ob der Testierende noch in der Lage ist, die Tragweite seiner Anordnungen zu erfassen und frei von Einflüssen interessierter Dritter zu handeln. Die Tatsache, dass jemand unter Betreuung steht, beeinträchtige seine Testierfähigkeit nicht; für den Betreuten bestehe ebenfalls die Vermutung der Testierfähigkeit. Selbst Geistesstörungen würden nicht zwangsläufig zur Testierunfähigkeit führen. Solange die Testierunfähigkeit nicht nachweislich vom Gericht festgestellt ist, sei der Erblasser als testierfähig anzusehen.
Im Erbscheinsverfahren ist das NachlGer. daher verpflichtet, auffällige Verhaltensweisen des Erblassers während des Zeitraums der Testamentserrichtung genau zu untersuchen, medizinische Befunde zu prüfen und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen zu bewerten. Zweifel an der Testierfähigkeit sind in der Regel durch Gutachten eines psychiatrischen oder nervenärztlichen Sachverständigen zu klären. Ohne ein solches Gutachten werde das Gericht die Voraussetzungen des § 2229 Abs. 4 BGB in der Regel nicht bestätigen können.
Das NachlGer. habe vorliegend kein solches psychiatrisches oder nervenärztliches Gutachten eingeholt, weil es der Auffassung gewesen sei, dass es bereits an einem Testierwillen des E fehle. Das vom OLG in der Beschwerdeinstanz eingeholte Gutachten komme zudem zu dem Ergebnis, dass keine Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit des Erblassers vorlägen.
Die Thematik der Testierfähigkeit als besondere Form der Geschäftsfähigkeit, insbesondere von unter rechtlicher Betreuung stehenden Personen, ist ein zentrales und viel diskutiertes Thema im Erbrecht. Häufig stellt sich die Frage, inwiefern eine betreute Person noch rechtlich fähig ist, ein wirksames Testament zu verfassen. Nach Ansicht des OLG Rostock ist es jedoch unzulässig, einer unter Betreuung stehenden Person, ohne nähere Prüfung (regelmäßig durch ein psychiatrisches oder nervenärztliches Gutachten) generalisierend die Testierfähigkeit abzusprechen. Vielmehr wird die Testierfähigkeit auch zugunsten von betreuten Personen bis zum Beweis tatsächlicher gegenteiliger Anhaltspunkte gesetzlich vermutet.
Für den Notar gilt nach § 11 Abs. 1 S. 1 BeurkG, dass die Beurkundung einer Willenserklärungen (z.B. ein Testament) abgelehnt werden soll, wenn einem Beteiligten nach der Überzeugung des Notars die erforderliche Geschäftsfähigkeit fehlt. Zweifel an der erforderlichen Geschäftsfähigkeit eines Beteiligten soll der Notar in der Niederschrift feststellen (§ 11 Abs. 1 S. 2 BeurkG). Ist ein Beteiligter schwer krank, soll gem. § 11 Abs. 2 BeurkG in der Niederschrift vermerkt und angegeben werden, welche Feststellungen der Notar über die Geschäftsfähigkeit getroffen hat. Gemäß § 28 BeurkG wird diese Verpflichtung des Notars dahingehend erweitert, dass der Notar seine Wahrnehmung über die erforderliche Geschäftsfähigkeit des Erblassers ausnahmslos in der Niederschrift vermerken soll.