02.10.2024
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
BGH
15.11.2023
IV ZB 6/23
NZG 2024, 210
Streitgegenstand der Parteien ist das Recht der Beteiligten zu 1) – eine Kommanditgesellschaft – Einsicht in die Nachlassakten betreffend ihren im Jahr 2021 verstorbenen Kommanditisten C zu nehmen. Im Gesellschaftsvertrag der Beteiligten zu 1) war bestimmt, dass Gesellschafter durch letztwillige Verfügungen über ihre Gesellschaftsbeteiligung verfügen können, aber stets nur einen Nachfolger in ihre Gesellschafterstellung benennen dürfen. Der Beteiligten zu 2) wurde antragsgemäß ein Erbschein ausgestellt, der sie als Alleinerbin ihres Ehemanns C ausweist.
Die Beteiligte zu 1) hat am 10.02.2022 einen Antrag gestellt, ihr Einsicht in die Nachlassakten zu gewähren. Sie führte zur Begründung an, dass ihr nach dem Tod ihres Kommanditisten C mitgeteilt worden sei, dass die Beteiligte zu 2) die Erbschaft ihres Ehemannes ausgeschlagen habe. Weiterhin habe sie von der Beteiligten zu 2) erfahren, dass die Ausschlagungserklärung angefochten worden sei. Die Beteiligte zu 1) wolle prüfen, inwieweit sich die Ausschlagung und die Anfechtung der Ausschlagungserklärung auf die Erbenstellung ausgewirkt hätten.
Das Nachlassgericht hat das Akteneinsichtsgesuch der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen und ein berechtigtes Interesse i.S.v. § 13 Abs. 2 FamFG verneint. Die Beteiligte zu 1) habe aufgrund des übersandten Erbscheins bereits ausreichende Kenntnis von der Erbfolge. Im Rahmen des Erbscheinverfahrens wurde inzident über die Erbausschlagung entschieden. Gegen diese Entscheidung hat die Beteiligte zu 1) einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 23 EGGVG gestellt und hilfsweise eine Beschwerde gem. §§ 58 ff. FamFG eingelegt.
Im Verfahren gem. §§ 23 ff. EGGVG hat das OLG der Beteiligten zu 1) Wiedereinsetzung in die Antragsfrist gem. § 26 Abs. 1 EGGVG gewährt und das Nachlassgericht angewiesen, den Antrag der Beteiligten zu 1) auf Einsicht in die Nachlassakten unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des OLG neu zu entscheiden. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beteiligte zu 2) mit der vom OLG zugelassenen Rechtsbeschwerde.
Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2) vor dem BGH ist zwar zulässig, aber hat in der Sache keinen Erfolg.
Zunächst führt der BGH – in Übereinstimmung mit dem OLG – aus, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG der statthafte Rechtsbehelf gegen die von dem Nachlassgericht nach § 13 Abs. 2 und Abs. 7 FamFG getroffene Entscheidung über die Nichtgewährung der Einsicht in die Nachlassakten für Dritte – hier die Beteiligte zu 1) – bei einem abgeschlossenen Verfahren sei. In Rechtsprechung und Literatur sei umstritten, ob die nach § 13 Abs. 7 FamFG zu treffende Entscheidung über ein Akteneinsichtsgesuch eines nicht am Verfahren beteiligten Dritten als im Verfahren nach § 23 EGGVG zu überprüfender Justizverwaltungsakt oder als im Beschwerdeverfahren nach §§ 58 ff. FamFG zu überprüfende Endentscheidung zu qualifizieren ist. Nach Auffassung des BGH handle es sich jedenfalls bei der Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch Dritter nach Abschluss des Nachlassverfahrens funktionell um einen Justizverwaltungsakt, über den im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG zu entscheiden sei. Eine spruchrichterliche Tätigkeit finde dann nicht mehr statt, da die Aufbewahrung und Verwaltung von Gerichtsakten nach Abschluss eines Verfahrens grundsätzlich nicht Aufgabe des Spruchkörpers seien, der mit ihm befasst war, sondern der Gerichtsverwaltung.
In der Sache stellt der BGH fest, dass das OLG zutreffend ein berechtigtes Interesse der Beteiligten zu 1) als Dritte auf Gewährung von Einsicht in die Nachlassakten gem. § 13 Abs. 2 FamFG angenommen habe. Ein berechtigtes Interesse sei anzunehmen, wenn ein vernünftiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse besteht, das auch tatsächlicher, etwa wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher Art sein kann. Dies sei im Allgemeinen der Fall, wenn ein künftiges Verhalten des Antragstellers durch Kenntnis vom Akteninhalt beeinflusst werden kann. Ein berechtigtes Interesse liege regelmäßig vor, wenn die Rechte des Antragstellers durch den Inhalt der Akten auch nur mittelbar betroffen sein können und Kenntnis vom Akteninhalt für ihn erforderlich ist, um Rechte geltend zu machen oder Ansprüche abzuwehren.
Die Entscheidung über die Akteneinsicht obliege dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Die Ausübung dieses Ermessens erfolge durch eine Abwägung, die eine mehrstufige Prüfung umfasse. Zunächst werde festgestellt, ob der Dritte ein berechtigtes Interesse dargelegt hat. Anschließend sei eine diesbezügliche Glaubhaftmachung zu prüfen. Darüber hinaus dürften keine schutzwürdigen Interessen eines Beteiligten oder Dritten der Akteneinsicht entgegenstehen; ggf. bestehende verschiedene Interessen seien gegeneinander abzuwiegen.
Schließlich stehe die in § 2365 BGB normierte Vermutung der Richtigkeit des Erbscheins der Annahme des OLG, die Beteiligte zu 1) habe ein berechtigtes Interesse an einer Einsicht in die Nachlassakten dargelegt, nicht entgegen. Trotz den (negativen und positiven) gesetzlichen Vermutungen des Erbscheins würden die dort getroffenen Feststellung nicht in Rechtskraft erwachsen, sodass die Feststellung der Erbenstellung insoweit dem Erkenntnisverfahren vorbehalten bleibe.
Nach Ansicht des BGH ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG der statthafte Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung des Nachlassgerichts nach § 13 Abs. 7 FamFG über die Nichtgewährung von Einsicht in die Nachlassakten eines abgeschlossenen Verfahrens für einen am Verfahren nicht beteiligten Dritten.
Ausdrücklich offen ließ der BGH die Frage, ob ein Justizverwaltungsakt auch vor Abschluss des Nachlassverfahrens vorliegt, wenn ein Dritter Akteneinsicht verlangt. Nach Ansicht des OLG Schleswig ist jeder einsichtsberechtigt, der sich eines Erbrechts berühmt, sodass in diesen Fällen die Versagung der Akteneinsicht einen Justizverwaltungsakt darstelle. Bei einem laufenden Erbscheinverfahren haben jedenfalls die Verfahrensbeteiligten (§ 345 Abs. 1 FamFG) ein berechtigtes Interesse an einer Akteneinsicht. Verlangt eine Person, die nicht an einem laufenden Erbscheinverfahren beteiligt ist – etwa ein Pflichtteilsberechtigter – während des Verfahrens Akteneinsicht, ist obergerichtlich noch ungeklärt, ob in diesem Fall die Ablehnung einen Justizverwaltungsakt darstellt oder ob eine Beschwerde (nach §§ 58 ff. FamFG) erforderlich ist.