BGH II ZR 123/20
Kommanditistenhaftung der Obergesellschaft bei Insolvenz der Untergesellschaft

14.03.2022

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
03.08.2021
II ZR 123/20
NZG 2021, 1305

Leitsatz | BGH II ZR 123/20

Die Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft, die als Obergesellschaft an einer anderen Kommanditgesellschaft als Untergesellschaft beteiligt ist, haften auch gegenüber den Gläubigern der Untergesellschaft. Diese Haftung wird in der Insolvenz der Untergesellschaft von deren Insolvenzverwalter geltend gemacht, solange nicht über das Vermögen der Obergesellschaft ihrerseits das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.

Sachverhalt | BGH II ZR 123/20

Der Kläger ist Insolvenzverwalter von drei Schiffsfonds in der Rechtsform von Kommanditgesellschaften (Schuldnerinnen). Der Beklagte ist als Kommanditist mit einer Einlage von 100.000 Euro an der H Schifffonds II UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG iL (im Folgenden: Dachfonds) beteiligt. Der Dachfonds wiederum ist mit einer Einlage in Höhe von jeweils 4,3 Mio. Euro als Kommanditist an den Schuldnerinnen als Untergesellschaft beteiligt und erhielt nicht durch Gewinne gedeckte Ausschüttungen in Höhe von insgesamt 4.257.000 Euro (jeweils 1.419.000 Euro). Eine offene Haftung des Dachfonds von jeweils 942.802,60 besteht nach haftungsbefreienden Wiedereinlagen. Der Beklagte erhielt in den Jahren 2004-2007 nicht durch Gewinne gedeckte Ausschüttungen vom Dachfonds (insgesamt 33.042 Euro)
Der Kläger verlangt mithilfe der erhobenen Klage unter dem Aspekt der teilweisen Rückgewähr der geleisteten Kommanditeinlange für jede der Schuldnerinnen anteilig Zahlung in Höhe von 11.014 Euro. Die Klage hatte Erfolg, ebenfalls die Berufung des Beklagten. Der Kläger legt Revision ein.

Entscheidung | BGH II ZR 123/20

Die Revision ist zulässig und begründet.

Der Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft (Dachfonds), die als Obergesellschaft an einer anderen Kommanditgesellschaft als Untergesellschaft (Schuldnerinnen) beteiligt ist, hafte auch gegenüber den Gläubigern der Untergesellschaft. In der Insolvenz der Untergesellschaft werde diese Haftung von deren Insolvenzverwalter geltend gemacht (§ 171 Abs. 2 HGB).

Der Klageantrag sei im Zweifel wegen des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz und rechtliches Gehör dahingehend auszulegen, dass das gewollt ist, was nach Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage der erklärenden Partei entspricht. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sieht der BGH den geltend gemachten Anspruch als eindeutig bezeichnet an. Der Kläger mache eindeutig Ansprüche nach §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 4 HGB aus der Haftung des Beklagten in der Kette gegenüber den Gläubigern der Schuldnerinnen geltend.

Gemäß § 171 Abs. 2 HGB sei der Kläger als Insolvenzverwalter der Schuldnerinnen zur Einziehung der wiederaufgelebten Außenhaftung des Beklagten für die Gläubiger der Schuldnerinnen befugt. Nicht einheitlich beantwortet werde die Frage, ob bei mehrstöckigen Kommanditbeteiligungen der Insolvenzverwalter ermächtigt ist zur Geltendmachung der Haftung der Kommanditisten der Obergesellschaft gegenüber den Gläubigern der Untergesellschaft, sofern bei der Obergesellschaft kein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts entscheidet sich der Senat für eine Einziehungsbefugnis des Insolvenzverwalters sowie für die Haftung in Form einer Kette. Mithin hafte der Beklagte für die Gläubiger der Schuldnerinnen. Die Haftung der Obergesellschaft für die Verbindlichkeiten der Untergesellschaft ergebe sich aus §§ 171, 172 HGB bzw. § 128 HGB. Diese Außenhaftung stelle eine Verbindlichkeit der Obergesellschaft dar, für die der Kommanditist der Obergesellschaft (Beklagter) haftet. Eine Ablehnung der Einziehungsbefugnis und der Haftung widerspräche sowohl dem Wortlaut des § 171 Abs. 2 HGB als auch dem Sinn und Zweck der Norm.

Die Haftung der Obergesellschaft sei in Höhe von jeweils 942.802,60 Euro wiederaufgelebt. Somit sei die Haftung des Beklagten gegenüber den Gläubigern der Schuldnerinnen in Höhe von 33.042 Euro wiederaufgelebt, da er in dieser Höhe in den Jahren 2004-2007 nicht durch Gewinne gedeckte Ausschüttungen erhalten habe. Die Gläubiger der Schuldnerinnen seien als Gesamtgläubiger nach § 427 S. 1 BGB anzusehen.

Das Berufungsurteil sei aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und an das Berufungsgericht zurückzuweisen (§ 563 Abs. 1 S. 1 ZPO).

Praxishinweis | BGH II ZR 123/20

Das Urteil des Bundesgerichtshofs verdeutlicht, dass Gesellschaften und deren Gesellschafter für die Ausgestaltung der Gesellschaftsform und -hierarchie selbst verantwortlich sind. Dass sich der Kommanditist einer Obergesellschaft für eine mehrstöckige Kommanditbeteiligung entscheidet, kann aus Sicht des Gläubigerschutzes im Insolvenzverfahren nicht zum Nachteil der Gläubiger werden. Es sollte sich bei der Entscheidung zu einer Kommanditistenstellung, wie sie der Beklagte innehat, im Voraus Gedanken über den umfassenden Umfang der Gesellschafterhaftung und den mangelnden Einfluss auf die Untergesellschaft und mithin auch deren Gläubiger gemacht werden.