18.04.2025
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
BFH
25.09.2024
II R 49/22 und II R 15/21
DStR 2025, 268 sowie BeckRS 2024, 40223
Der BFH hat am 25.09.2024 zwei Entscheidungen gefällt, die das relevante Thema betreffen, ob der Substanzwert von Anteilen auch dann anzusetzen ist, wenn ein niedrigerer Wert anhand zeitnaher Verkäufe im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zwischen fremden Dritten abgeleitet werden kann.
In dem einen Fall (Az. II R 49/22) übertrug der Vater unentgeltlich Geschäftsanteile einer Familienholding an seine Kinder. Zur Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage für die Schenkungsteuerbewertung wurde der Wert der Anteile auf Basis von mehr als 60 Anteilsverkäufen innerhalb von 12 Monate vor der Schenkung bestimmt. Die Mehrheit dieser Transaktionen erfolgte zwischen Personen, die in einem entfernten familiären Verhältnis zueinander standen. Für die Bewertung der Kaufpreise diente der von der Steuerabteilung der Holding festgestellte Substanzwert (Net Asset Value) als Orientierungsgröße. Auf diesen ermittelten Wert wurde ein einheitlicher Abschlag von 20 % angewandt. Das FA ließ den Holding-Abschlag nicht zu, erkannte jedoch die Wertermittlung nach dem Substanzwertverfahren an.
In dem zweiten Fall (Az. II R 15/21) war die Klägerin zu 1. eine GmbH und Familienholdinggesellschaft. Die Kläger 2. und 3. waren Erben ihrer 2014 verstorbenen Mutter, der ca. 9,95% der Anteile an der Klägerin gehört hatte. Seit 2009 wurden mehrfach Teilgeschäftsanteile der Klägerin zu 1. eingezogen, jeweils zu einem Einziehungskurs von 400 % des entsprechenden Nennkapitals, während gleichzeitig Anteilsübertragungen unter den Gesellschaftern zu einem Veräußerungspreis in gleicher Höhe erfolgten. Im Februar 2015 kam es zu zwei weiteren Einziehungen von Teilgeschäftsanteilen zu einem Einziehungskurs von 400 %, wobei die verbliebenen Anteile verhältnismäßig aufgestockt wurden. 2018 wurde dann innerhalb des Gesellschafterkreises ein zusätzlicher Anteil zu einem Veräußerungskurs von 380 % des Nennkapitals übertragen. Das beklagte Finanzamt legte unter Vorbehalt der Nachprüfung mittels Feststellungsbescheid den Wert der Anteile an der Klägerin zu 1. auf das Vierfache des Nominalwerts fest. Infolge einer konzernbetriebswirtschaftlichen Prüfung der Klägerin zu 1. wurde die ursprüngliche Bewertung durch das Finanzamt unter Ansatz des Substanzwerts revidiert.
In beiden Urteilen vom 25. September 2024 stellte der BFH fest, dass die Bewertung von Beteiligungen an nicht börsennotierten Kapitalgesellschaften grundsätzlich nach dem gemeinen Wert gemäß § 11 Abs. 2 BewG erfolgt. Werde dieser Wert nicht durch zeitnahe Transaktionen mit fremden Dritten (innerhalb eines Jahres) ermittelt, kämen standardisierte Bewertungsverfahren zur Anwendung, wobei der Substanzwert als untere Grenze zu beachten sei.
Bislang bestand Unklarheit darüber, ob der gesetzlich verankerte Substanzwert als absolute Untergrenze auch dann zu gelten hat, wenn sich der gemeine Wert aus derartigen Veräußerungen ableiten lässt. In seinen beiden Entscheidungen vom 25.09.2024 hat der BFH nun klargestellt, dass der Substanzwert nicht zwingend als Bewertungsuntergrenze anzusehen ist. Anders als die Finanzverwaltung annahm könne der Substanzwert unterschritten werden, sofern der gemeine Wert aus Verkäufen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr unter fremden Dritten ermittelt wird.
Diese Ableitung des gemeinen Werts konnte in den beiden zu entscheidenden Fällen nicht durchgeführt werden.
Ob die Parteien einen Preis vereinbart haben, der demjenigen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr entspreche, sei nach ständiger Rechtsprechung nach den Gesamtumständen des Einzelfalls unter Heranziehung objektiver Wertmaßstäbe zu entscheiden, zu denen v.a. das Gesamtvermögen und die Ertragsaussichten gehörten. Bei der Ableitung des gemeinen Werts seien alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen, §9 Abs. 2 S. 2 BewG. Auszuklammern seien dabei solche preisbildenden Faktoren, die mit der Beschaffenheit der Anteile selbst nichts zu tun haben. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse seien ebenfalls außer Acht zu lassen, §9 Abs. 2 S. 3 BewG. Die Beteiligten müssten freiwillig und im eigenen Interesse handeln können. Dies, so der BFG, sei in beiden Sachverhalten nicht gegeben gewesen.
Das Urteil II R 49/22 bezog sich auf eine Familienholding. Hier gab der BFH der Revision des FA statt und beließ es bei der Bewertung mit dem Substanzwert ohne Holdingabschlag.
Der Gesellschaftsvertrag der Holding enthielt Regelungen zum Anteilsverkauf, wonach etwa die Zustimmung einzelner Gesellschafter erforderlich ist und ein Vermittlungsbüro die Anteile nach einer festen Reihenfolge an Familienmitglieder anzubieten hat. Der BFH führte aus, dass unter diesen vertraglichen Rahmenbedingungen keine Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr – im „Freien Markt“ - habe angenommen werden können, da die Transaktionsparteien nicht uneingeschränkt eigeninteressiert und freiwillig handeln konnten. Zudem sei über mehrere Jahre konstant ein pauschaler Holdingabschlag von 20 % angesetzt worden, was im regulären Geschäftsverkehr unüblich sei. Dies bemängelte der BFH und betonte, dass zur Ermittlung des gemeinen Werts sämtliche Abschläge objektiv und spezifisch auf das jeweiligen Bewertungsobjekt angewendet werden müssten, wie seine ständige Rechtsprechung verdeutliche. Im vorliegenden Fall sei der pauschale Abschlag von 20 % über einen längeren Zeitraum hinweg auf alle und nicht auf die konkret veräußerten Anteile bezogen worden. Dem Einwand der Holding, dass dieser Abschlag in erster Linie die erschwerte Veräußerbarkeit von Holding-Anteilen infolge interner Restriktionen widerspiegeln solle, hält der BFH entgegen, dass solche „persönlichen Verhältnisse“ gemäß § 9 Abs. 2 S. 3 sowie Abs. 3 BewG bei der Bewertung für schenkungsteuerliche Zwecke unberücksichtigt bleiben müssten.
Im Urteil II R 15/21 stellte der BFH fest, dass unter Gesamtsicht keine marktgerechte Preisbildung vorgelegen habe, da über Jahre hinweg konstant derselbe Preis in Relation zum Nominalwert herangezogen worden sei, ohne veränderte Vermögensverhältnisse der Gesellschaft und ihrer Beteiligungsgesellschaften zu berücksichtigen.
Die beiden Urteile zeigen, dass der BFH den „gewöhnlichen Geschäftsverkehr“ des § 9 Abs. 2 S. 1 BewG nun strenger beurteilt, als dies in seiner früheren Rechtsprechung der Fall war (BFH v. 15.03.2018 –VI R 8/16, DStRE 2018, 900). Bisher reichte als Indiz für eine Preisbildung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr die Möglichkeit zum zwanglosen Handeln der Vertragspartner. Künftig muss aber gewährleistet sein, dass sowohl Verhandlungen als auch die Preisbildung ausschließlich den marktwirtschaftlichen Kriterien folgen. Einschränkende Vorgaben, beispielsweise hinsichtlich der Preisermittlung oder der Reihenfolge möglicher Käufer, können dazu führen, dass die Ableitung nicht mehr den Anforderungen eines marktwirtschaftlichen Verfahrens entspricht.
Da es sich hierbei um Einzelfallentscheidungen des FA oder des FG handelt, ist es in der Praxis ratsam, dass der Steuerpflichtige im Verwaltungsverfahren bereits zu einem frühen Zeitpunkt schlüssige Argumente vorlegt, aus denen die Beachtung marktwirtschaftlicher Bewertungsgrundsätze im Einzelfall hervorgeht.
Zudem ist festzuhalten, dass der BFH hier (II R 49/22) nicht darüber entscheiden musste, ob Holdingabschläge bei der Ermittlung des Substanzwerts überhaupt zulässig sind. Im zu entscheidenden Fall konnte schon in der Begründung des Abschlags persönliche Verhältnisse im weitesten Sinn gesehen werden. Diese sollen aber gemäß § 9 Abs. 2 S. 3 BewG bei der Feststellung des gemeinen Werts unberücksichtigt bleiben.